Friedensnobelpreis
Die Präsidenten von Rat, Kommission und Parlament Herman Van Rompuy, José Manuel Barroso und Martin Schulz nehmen in Oslo den Friedensnobelpreis für die EU entgegen. 10 Dezember 2012

Verdiente Vorschusslorbeeren

Am Tag der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU feiert Europas Presse die Anerkennung für geleistete Arbeit. Die Ehrung sei eine Ermutigung für die Zukunft, allerdings nicht ohne Vorbehalte.

Veröffentlicht am 10 Dezember 2012 um 15:19
Die Präsidenten von Rat, Kommission und Parlament Herman Van Rompuy, José Manuel Barroso und Martin Schulz nehmen in Oslo den Friedensnobelpreis für die EU entgegen. 10 Dezember 2012

„Hoch leben die langweiligen Eurokraten“,titelt Gazeta Wyborcza und bezeichnet die Union „historisch betrachtet [als] erfolgreichste Maschine zur Herstellung von Frieden“.

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Seit annähernd siebzig Jahren musste keiner der Mitgliedsstaaten den Albtraum Krieg durchmachen. Frieden hat weder einen besonderen Geschmack oder Duft, noch eine spezifische Farbe. Er ist wie Luft. Ich kenne niemanden, der sich glücklich schätzt, nur weil er atmet. Es ist einfach schwer vorstellbar, dass uns eines Tages irgend jemand die Luft nimmt. Allein aufgrund der Tatsache, dass wir uns solche Gedanken nicht einmal machen müssen, verdient die EU den Nobelpreis.

Heute „ist man entweder für oder gegen Europa“, beklagen zwei Wissenschaftlerin der niederländischen Tageszeitung Trouw. Schuld daran ist, dass „die politischen Diskussion weitestgehend im Inneren geführt wurden“. Damit der Friedensnobelpreis auch in Zukunft seine Rechtfertigung findet, sollte die Union ihren Bürgern eine wirkliche Stimme verleihen, meint die Zeitung und fügt hinzu:

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Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU sagt viel über die Vergangenheit, aber nur wenig über die Zukunft der EU aus. Dabei sollten die Bürger wirklich entscheiden können, welche Art von Europa sie wollen. Wählt man [einen Abgeordneten] derzeit ins EU-Parlament, so gibt man dem Vorstand oder einer spezifischen Führungskraft noch lange keine Farbe und entscheidet auch nicht über einen bestimmten Kurs. Erst wenn die Zusammensetzung der Kommission in irgendeiner Form die Farbe des Parlaments nachahmt, werden europaweite Diskussionen unter den Bürgern möglich sein. [Erst dann werden] die einzelnen Bürgerstimmen den Weg weisen, den die EU gehen soll. So würde die EU ihr Versprechen einlösen, das ihr [dieser] Nobelpreis [auferlegt]: Nicht nur in der Vergangenheit [für Frieden gekämpft zu haben], sondern den Blick auch in die Zukunft zu richten.

„So mancher übte Kritik an der Verleihung des Preises an die Europäische Union“, berichtet Diário de Notícias in seinem Leitartikel und fügt hinzu: „Wenn man bedenkt, dass diese Ehre bislang nur Persönlichkeiten wie Mutter Theresa oder Nelson Mandela, bzw. Institutionen wie dem Roten Kreuz oder UNICEF zuteil wurde, mag [die Entscheidung] in der Tat verwundern.“ Allerdings fügt die Tageszeitung aus Lissabon auch hinzu, dass —

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... die Entscheidung des norwegischen Nobel-Komitees verständlicher wird, wenn man sich Westeuropa als eine Region des Friedens anschaut. Genau dazu ist es schließlich seit Beginn des europäischen Projektes angewachsen. Durch die Annäherung Frankreichs und Deutschlands im Rahmen der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stellte man sicher, dass es nie wieder solch gravierende Missverständnisse geben würde, wie jene, die zu den Weltkriegen geführt hatten. Demzufolge sollte man den Preis als eine Art Ergänzung zur Vergangenheit und Anreiz für die Entfaltung des europäischen Projektes ansehen. Während der heutigen Zeremonie in Oslo schlittert Italien in eine politische Krise. Neben den zahlreichen Problemen in Griechenland, Irland, Portugal und selbst in Spanien ist dies wohl das allerletzte, was die EU jetzt braucht. Allerdings ist es vor allem der Beweis dafür, dass die Krise jeden etwas angeht, und Europa nur dann eine Zukunft vor sich hat, wenn es eine solidarische Antwort findet.

Sydsvenskan berichtet indessen, dass „die Entscheidung des norwegischen Nobel-Komitees von zahlreichen Seiten scharf kritisiert wurde“. Nach Meinung der Tageszeitung aus Malmö liegt das vor allem daran, dass —

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... die Entscheidung umstritten ist. Und das ist auch gut so. Für eine Union aus 27 Mitgliedsstaaten, die für Frieden, Demokratie und Freiheit eintritt, sind Kritik und Opposition unverzichtbar. In der gestrigen Ausgabe des Dagens Nyheter beschäftigten sich [die Politikwissenschaftler] Stefan Jonsson und Peo Hansen mit einem weniger schmeichelhaften Aspekt der europäischen Geschichte. Was Deutschland und Frankreich wirklich dazu angetrieben haben soll, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu gründen? Gemeinsame – ausbeuterische – Interessen in Afrika – eine Art Gegenwarts-Kolonialstil. Die politischen Spielchen und die historischen Fakten, auf die sich die Autoren bei ihrer Analyse der Schaffung der Union stützen, sollten keinesfalls unterschätzt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob Hansen und Jonsson mit ihrer Behauptung Recht haben, die EWG sei ganz und gar nicht als Friedensprojekt geschaffen worden. Ist die Idee eines Friedensprojekts tatsächlich nur ein „Mythos“? Die Tatsache, dass ihre Geschichte zu einem nuancenreichen Bild der Geschichte der EU beiträgt, ist sehr zu begrüßen. Kein einziges Land und keine einzige zwischenstaatliche Organisation wurden jemals ohne irgendein Eigeninteresse geschaffen, nur um die Welt ein bisschen besser zu machen. Die Geschichte eines Phänomens zu erforschen ist eine sehr sinnvolle Sache. Die EU ist keine Union, die ein für alle Mal als endgültige [Institution] geschaffen wurde. Sie wird sich stets weiterentwickeln. Dabei darf ihre Bedeutung als Friedensprojekt keinesfalls unterschätzt werden.

Als „Unding“ bezeichnet dagegen The Daily Telegraph den Preis. Die Zeitung prangert die Handlungsunfähigkeit der EU während der Balkankonflikte und der zwischenstaatlichen Spannungen an, die der Euro herbeigeführt hat.

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Doch all das wird vergessen sein, wenn die EU-Wichtigtuer ihren Preis entgegennehmen: In ihren Augen hat das europäische Projekt diesen Preis auf alle Fälle verdient. Hier zeigt sich wieder einmal, wie tief die Kluft zwischen den regierenden Spitzen in Brüssel und den 500 Millionen EU-Bürgern ist.

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