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Florenz (Italien), 13. Dezember. Die Körper der zwei vom Rechtsextremisten Gianluca Casseri getöteten Senegalesen.

Das Gift der Krise

Die Ermordung zweier Senegalesen in Florenz ist das letzte Zeugnis eines immer stärker werdenden Hasses in Europa. Mit dem Massaker von Utoya, den heftigen Reaktionen auf die Griechenlandkrise, der isolierten Stellung Großbritanniens und dem steigenden Rechtsextremismus nimmt dieser Trend verschiedenste, aber sehr beunruhigende Formen an.

Veröffentlicht am 14 Dezember 2011 um 16:04
Florenz (Italien), 13. Dezember. Die Körper der zwei vom Rechtsextremisten Gianluca Casseri getöteten Senegalesen.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der europäischen Schuldenkrise, enttäuschenden Gipfeln, die nichts ausrichten können, und der Ermordung zweiter Senegalesen in Florenz? Auf den ersten Blick nicht: Auf der einen Seite ein im Luxus lebender Kontinent und seine Führungskräfte, denen nach 50 erfolgreichen Jahren kein Neustart gelingen will, auf der anderen Seite ein neofaschistischer, rassistischer, bewaffneter Extremist. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, wie das schlimmste Gift der Geschichte wieder an die Oberfläche kommt, durch die Rezessionsstimmung aus den Tiefen des Bewusstseins hervorgeholt.

Als der englische Premier David Cameron nach dem überstürzten Bruch mit Europa nach London zurückkehrte, wurde er zwar von den Londoner Analysten kritisiert, die er laut eigener Angabe schützen wollte, die konservativen Abgeordneten feierten ihn jedoch unter “Bulldog Spirit”-Rufen, also unter Berufung auf jenen Kampfgeist, der einst Churchill teuer war.

Nach wenigen Monaten Euro-Debatte sind die abscheulichsten Stereotype wieder aus unserem Erinnerungsalbum aufgetaucht – es waren schlechte Erinnerungen, die wir längst vergessen glaubten. In Griechenland wurden die “Kriegsschulden als Wiedergutmachung für die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs” zur Tilgung der griechischen Schulden eingefordert. Deutsche Zeitungen, allen voran die Bild Zeitung, beschrieben die Griechen als Faulpelze und die Italiener als orgiastische Verschwender.

Die schlimmsten Klischees

Als Reaktion auf die Kritiken deutscher Wirtschaftsexperten an Italien tauchten auf italienischen Websites anonyme Kommentare wie “Deutsche = SS” auf, nach Camerons Veto war im Web dann unter anderem vom ”perfiden Albion” die Rede. Hass, Missgunst, Rassismus, Verachtung der anderen, Intoleranz – Ureigenschaften, die in Krisenzeiten wieder ans Licht kommen, wie auch gestern [13. Dezember] in Florenz.

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2003, am Vorabend des Irakkrieges, brachen die USA und Europa miteinander – die Verbündeten, die erst 15 Jahre zuvor ohne jedes Blutvergießen den Kalten Krieg gewonnen hatten, beschimpften einander mit unvermuteter Hitzigkeit. Sie erinnern sich? Die Amerikaner kommen vom Mars, die Europäer von der Venus, Dummheiten, die das Klima verdarben, Ausdruck eines Unbehagens und einer Distanz, die bis heute nicht überbrückt ist.

Im Frühjahr 2003 lud der US-Kongress vier europäische Zeugen zu einer parlamentarischen Anhörung, um die Kluft zwischen Washington und Brüssel zu beseitigen. Ich war einer von ihnen, ein weiterer war Radek Sikorski, der heutige polnische Außenminister. Wir versuchten deutlich zu machen, dass es gefährlich ist, im schwierigen wirtschaftlichen Klima des neuen Jahrhunderts mit dem Feuer des Populismus und des Nationalismus zu spielen.

Und heute sehen seriöse europäische Analysten wie Gideon Rachman, Martin Wolf sowie der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman im wachsenden Hass im Internet und in der durch die Fehlentscheidungen Merkels und Sarkozys ausgelösten Rezession die Anfänge einer tragischen Zeit wie die der 30er Jahre in Europa mit totalitärem Faschismus in Italien, Spanien und Deutschland und den stalinistischen Säuberungen in Moskau.

“Die Anderen” beschuldigen

Krugman schreibt: “Die Rezession … lässt eine riesige Wut … gegen das aufkeimen, was viele Europäer nur als harte deutsche Bestrafung sehen. Wer immer die Geschichte Europas kennt, kann nur erschaudern ob dieser wiederkehrenden Feindseligkeit.” Der Nobelpreisträger hat seinen Artikel vor dem Amoklauf in Florenz geschrieben, erwähnte aber bereits die Neonazis im Umkreis der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die fremdenfeindlichen Basisfinnen in Helsinki, die Roma-feindliche und antisemitistische Jobbik-Partei und die autoritären Anwandlungen der von der Fidesz-Partei geführten Regierung in Ungarn. Man könnte nun noch die Neofaschisten in England und Frankreich und Italiens rassistische Stimmen hinzufügen, schließlich noch das Blutbad im so zivilisierten Florenz, seit 500 Jahren Wiege der europäischen Kultur.

Übertreibt Krugman? Ich hoffe, ja. Im Gegensatz zu den englischen Kollegen und Krugman glaube ich nicht, dass sich die 30er Jahre wiederholen und wir wieder Schwarzhemden auf den Straßen sehen werden, denn die Geschichte verläuft nicht mechanisch, das Böse ist einfallsreich und hat viele Gesichter. Ich glaube aber, dass es angesichts der wirtschaftlich harten Zeiten, die auf uns zukommen, bald zum weit verbreiteten Übel wird, sich mit den Letzten anzulegen, sich auf die eigene, bislang verborgene Identität zu berufen, “die Anderen” zu beschuldigen und sich selbst - “Uns” – zu verteidigen.

Politiker, die dieses grassierende Übel für eine Stimme mehr ausnützen wollen, oder Journalisten, die für ein verkauftes Exemplar mehr oder einen Klick mehr Hass und Populismus verbreiten, brauen damit einen Höllentrank, der viel Böses anrichten kann. Es ist nicht die gefürchtete Wiederkehr einer autoritären Vergangenheit, die uns dazu bringen muss, für Wohlstand, Wachstum, Dialog und Toleranz zu kämpfen, sondern die Angst vor den Dämonen der Zukunft, die die Intoleranz heraufbeschwört: Sie tragen zwar nicht Schwarz oder Braun, doch bei Ereignissen wie dem Massaker an den Studenten in Oslo bis hin zur Ermordung der Senegalesen in Florenz blickt uns schon ihre schreckliche Fratze entgegen.

Griechenland

Migranten als Sündenbock

Mit der Krise ist in Griechenland auch ein besorgniserregender Anstieg der Gewalt gegen Ausländer festzustellen. In einer Reportage berichtet De Volkskrant, wie die Migranten als Sündenböcke herhalten müssen: “Mit der steigenden Arbeitslosigkeit und den schmerzhaften Sparmaßnahmen nimmt auch die Gewalt gegenüber Migranten zu”, schreibt die niederländische Tageszeitung.

Zudem, fährt das Blatt fort, sei Griechenland zur wichtigsten Eingangsforte für Migranten in die EU geworden, die über die Grenze mit der Türkei kämen. 40.000 Ausländer kämen jährlich nach Athen, schliefen in verfallenen Häusern oder in Parks. Der Groll gegen sie wachse. “Jeder, der auch nur wie ein Ausländer aussieht, läuft Gefahr zusammengeschlagen zu werden, ganz egal wie integriert er auch sein mag”, erklärt gegenüber De Volkskrant Judith Sunderland der NGO Human Rights Watch Europe.

Es gebe es zahlreiche rassistische Übergriffe, doch seit 1999 sei kein einziger der Täter, von denen manche der rechtsextremen Szene zugeschrieben werden, verurteilt worden. Sie meint: “Gegen dieses Phänomen vorzugehen, ist keine Priorität der Regierung.”

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