Nachrichten Tschechische Republik
Ein von "Inventur der Demokratie" organisiertes Happening am 17. November 2009 in Prag

Demokratie ist Chef- und Jugendsache!

Angesichts der Tatsache, dass die Politiker immer umstrittener sind, haben Prager Studenten beschlossen, ihren Blickwinkel dem einiger politischer Führungskräfte gegenüberzustellen. Ihr Ziel: Die Perspektiven ändern und eine Erneuerung der demokratischen Landschaft vorbereiten.

Veröffentlicht am 30 November 2009 um 14:39
Ein von "Inventur der Demokratie" organisiertes Happening am 17. November 2009 in Prag

Zur Feier des 20. Jahrestags der Samtenen Revolution fragten sich tschechische Studenten, wie sie die Demokratie in ihrem Land stärken können. Ihre Initiative "Inventura Demokracie" (Inventur der Demokratie) brachte sie dazu, die Politik, aber auch sich selbst mit anderen Augen zu sehen. "Hören wir auf, den Politikern Vorwürfe zu machen, und sehen wir uns selbst an." Mit diesem Slogan wollten die Mitglieder der tschechischen Studenteninitiative "Inventur der Demokratie" den 20. Jahrestag des Zusammenbruchs des Kommunismus in der Tschechoslowakei feiern. Zehn Jahre nach "Danke, geht jetzt", einer Oppositionsbewegung gegen die damals regierungsführende Elite, vollziehen diese jungen Tschechen eine Kehrtwende und raten zur Selbstbeobachtung.

Auf den ersten Blick wissen wir alles über diese Generation. Sie reist ins Ausland, kennt Facebook in- und auswendig und stellt sich nicht viele Fragen über die kommunistische Vergangenheit unseres Landes. Doch diese Auffassung ist falsch. Im Laufe der letzten Wochen hat diese Generation mehrmals in aller Öffentlichkeit Hunderte von Personen dazu aufgefordert, aktive Bürger zu werden. "Ich bin mir selbst nicht sicher, dass ich es schaffe. Aber ich will nicht, dass es wie alle diese Initiativen endet, die zu nichts Konkretem führen", erklärt Réza Vlasáková, eine 24-jährige Soziologiestudentin. Doch nur ein Jahr nach dem Start des Projekts "Inventur der Demokratie", im Rahmen dessen die Studenten den Politikern eine Liste mit Forderungen vorlegten, um die aktuelle Situation zu ändern, weiß sie schon, dass sie nicht Politikerin werden will. "Politiker spielen kein faires Spiel. Doch das ist eigentlich unsere Schuld, denn wir lassen das zu."

Von Kleinkindern zu mündigen Bürgern

Ein Jahr lang hat sie mit rund 15 anderen Studenten über diese Feststellung nachgedacht.

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Im November 1989 waren sie alle noch Kleinkinder. Sie haben sich ihre Meinung über den Sinn der kommunistischen Vergangenheit alleine bilden müssen. "Mich stört nicht so sehr der rote Stern auf dem Hotel International, sondern eher die Tatsache, dass die Leute diese errungene Freiheit in einer Art Seifenblase durchleben und dass ihnen das ganze Chaos rundherum völlig egal ist", meint Réza Vlasáková. Wie ihre Kommilitonen liest sie weder die Tagespresse noch die Nachrichten im Internet. Sie informiert sich in der Wochenpresse, liest Blogs und debattiert vor allem mit ihren Freunden.

Was werden sie tun, wenn sie einen Wahlzettel in der Hand haben? Sie haben noch nicht entschieden, wem sie ihre Stimme geben wollen. "Ich schließe zuerst einmal die beiden großen Parteien aus", erklärt Tereza Selmbacherová, 24, Soziologiestudentin. "Ich habe dieses Jahr gemerkt, dass sie keine klaren Vorstellungen haben, dass sie sich beide gegenseitig brauchen und dass sie zusammen die kleinen Parteien ersticken. Dann scheiden natürlich die Kommunisten aus. Letztendlich werde ich mich für eine der übrigen Parteien entscheiden, indem ich ihre Programme sorgfältig studiere."

Zu jung für Parteipolitik

Das vergangene Jahr hat für diese jungen Leute radikal den Blick geändert, den sie auf die Politik und auf sich selbst werfen. Sie haben nicht nur gelernt, vor einem Publikum zu sprechen, als Team zu arbeiten und mit den Behörden zu kommunizieren, sondern es ist ihnen auch bewusst geworden, dass diese politischen Führungsschicht, die sie für unzugänglich hielten, auch nur aus Menschen besteht. Sie haben etwa 20 führende Politiker besucht und sie dazu aufgefordert, die "Absurditäten" zurückzunehmen, die sie von sich gegeben hatten. Diese Begegnungen wurden mit einer Kamera, die ihnen von der Karlsuniversität im Rahmen eines von der Europäischen Union mitfinanzierten Projekts geliehen wurde, gefilmt. In den Filmen der ersten Treffen mit den Politikern sind die Schwächen der jungen Leute noch himmelschreiend: Sie können weder argumentieren noch Fragen stellen. "Nach einiger Zeit", erzählt Jakub Bachtík, 24, der Kunstgeschichte und Tschechisch studiert, "haben wir uns statt auf die Politiker auf uns selbst konzentriert, und ab da haben wir wirklich angefangen zu lernen."

Die Hauptbotschaft der Rede, die der ehemalige Staatspräsident Václav Havel von der Tribüne der Initiative "Inventur der Demokratie" auf dem Wenzelsplatz hielt, war die Aufforderung, einer politischen Partei beizutreten. Doch dafür fühlen sie sich noch zu jung und unerfahren, und sie wollen vor allem in Ruhe ihr Studium abschließen können. Gewiss, so denken nicht alle. "Vor zwei Monaten habe ich auch noch gesagt, dass ich nicht in die Politik gehe. Aber ich habe meine Meinung geändert. Unsere Generation muss sich engagieren, damit sich die politischen Parteien verjüngen", findet Jakub Bachtík, der dem "Verein für das alte Prag" beigetreten ist, mit dem dazu beitragen will, das Erbe der Hauptstadt zu erhalten.

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