Republikanische Gefangene in den Händen der Franquisten während der Schlacht von Somosierra, November 1936.

Der Bürgerkrieg bleibt eine offene Wunde

Vor 75 Jahren unternahm der antirepublikanische General seinen Staatsstreich. Bis heute ist es dem spanischen Königreich nicht gelungen, eine objektive und unbestrittene Geschichte seiner Diktatur zu schreiben. Ein Teil der politischen Rechten beharrt immer noch darauf, das selektive Vergessen hochzuhalten.

Veröffentlicht am 18 Juli 2011 um 15:10
Republikanische Gefangene in den Händen der Franquisten während der Schlacht von Somosierra, November 1936.

Die Traumata aus der Zeit von 1929 bis 1945 haben im historischen Gedächtnis – nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern in allen betroffenen Ländern – schwere Schäden hinterlassen. Jetzt, anlässlich des 75. Jahrestags des Beginns des spanischen Bürgerkriegs, sollten wir uns zuerst daran erinnern. Die besondere Tragik dieses schweren Schadens zeigt sich in unserem Land treffend in dem Slogan „Spain is different“.

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland und der Besetzung Polens und Österreichs und dem Aufruhr in Frankreich, das dann seinerseits besetzt wurde, haben all diese Länder die Ereignisse ganz unterschiedlich erlebt. Die 30er Jahren waren in Europa bestimmt vom Erstarken der faschistischen Ideologien, was in Spanien eine Krise und dann eine nicht enden wollende Militärdiktatur, an die wir uns alle erinnern, zur Folge hatte.

Eine Besonderheit Spaniens ist der schlechte gegenwärtige Zustand des Landes und die mangelnde Aufarbeitung seiner Vergangenheit. Anfangs haben die betroffenen Länder es vorgezogen, stillschweigend über die Wunden der Vergangenheit hinwegzugehen, indem die Geschichte vereinfacht dargestellt wurde, um die Schatten dieser noch jungen Vergangenheit von der Gegenwart fernzuhalten. Dazu wurde die Kollektivschuld der deutschen Bevölkerung am Nationalsozialismus verneint, oder wie in Frankreich und Italien das Bild des Widerstandes hochgehalten. Nun ist es an der Zeit, die Vergangenheit in ihrer ganzen Komplexität zu betrachten.

Erst die Massengräber warfen das Thema auf

In Frankreich ist dies durch Filme wie Lacombe Lucien de Malle oder Le chagrin et la pitié von Marcel Ophüls geschehen, später dann durch die dunkle Vergangenheit Mitterrands; in Deutschland durch Bücher wie Hitlers willige Vollstrecker von Goldhagen, oder in Italien durch die Anerkennung der Jahre 1943-45 als wirklichen Bürgerkrieg zwischen den Widerständlern und den Anhängern Mussolinis während der Besatzung. Wenn man sich einmal auf ein echtes Geschichtsbild geeinigt hat, was manchmal erst nach Jahren verbitterter Diskussionen möglich ist, wie der Historikerstreit in Deutschland, dann setzt eine Periode des relativen Friedens ein, die immer auf die demokratische Rückversicherung in den bleiernen Jahren verweist.

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In Spanien fehlt eine solche Aufarbeitung der Vergangenheit. Auf diskrete Art hat das Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung [2007] dem Staat die Möglichkeit gegeben, jenes Gleichgewicht wieder herzustellen, das den Demokraten damals verweigert wurde, indem ihre Rolle in dieser tragischen Geschichte erst anerkannt wurde, als das Thema der anonymen Massengräber aufkam.

Die Aufarbeitung des franquistischen Unterdrückungsstaates und des über Jahre hin organisierten Mordes an Zehntausenden erfolgte nur unzureichend; hier kann man von einem Völkermord sprechen, der nur aufgearbeitet werden konnte, weil die Hinterbliebenen um die sterblichen Überreste der Opfer jenes „chirurgischen Eingriffs“ kämpften, den Franco bereits im November 1935 angekündigt hatte. Dieses Engagement der Hinterbliebenen muss nun noch von allen als ein Schmerz aller anerkannt werden, so wie es der Historiker Ian Gibson formuliert hat.

Schlimmer ist aber, dass große Teile der spanischen Rechten eine Aussöhnung aller Spanier ablehnt und gegen das Gesetz zur Vergangenheitsbewältigung wettert und zusätzlich noch die Argumente der Franquisten wieder vorbringt, um den Militärputsch von damals zu legitimieren. Die Dämonisierung des Richters Garzón und die Freude über seine Suspendierung geschah im Namen einer Vision von 1936, die auf einen bewussten Schulterschluss mit den Siegern von damals schließen lässt.

Kein Wort über die faschistischen Systeme in Europa, über die Geschehnisse in Deutschland oder in Österreich oder über die Vorschläge und das Vorgehen der Rechten von damals. Hier muss man trotz allen Respekts vor der demokratischen Rechten in Europa leider immer noch sagen: „Spain is different“.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

Standpunkt

„Lasst uns nach vorn schauen“

75 Jahre nach dem Franco-Putsch „ist der spanische Bürgerkrieg immer noch nicht zu Ende“, bedauert José María Carrascal in der ABC. „Er wird in Büchern, Artikeln, Konferenzen und Debatten mit demselben Eifer, derselben Brutalität und Voreingenommenheit weiter geführt. Denn die Besiegten fordern zumindest den moralischen Sieg ein, welchen ihnen die Sieger nicht anerkennen. In diesem Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer, denn in einem Bürgerkrieg wird die Wahrheit zweimal ermordet, einmal von jedem Gegner.“ „Bis wann werden die Spanier unseren Bürgerkrieg noch führen? Wann schließen wir endlich Frieden mit uns selbst?“, fragt sich der Journalist. „Ich weiß es angesichts des masochistischen Vergnügens, das wir immer noch dabei empfinden, auch nicht.“

Die konservative Tageszeitung El Mundo findet, dass „die Aufarbeitung der Vergangenheit, wie beispielsweise das im Oktober 2007 verabschiedete Gesetz über die Historische Erinnerung von Zapatero, von einer Art Paranoia oder zwanghaften Neurose ausgeht, mit der die gegenwärtigen Ereignisse mit Hilfe der politischen Lösungsansätze der republikanischen Zeit oder des Bürgerkrieges interpretiert werden, als wäre Spanien immer noch das gleiche Land wie vor acht Jahrzehnten.“ „Lasst uns endlich nach vorn schauen und den Gedanken verwerfen, dass die Geschichte ein Phantom ist, das uns verfolgt und das Schlimmste in uns zum Vorschein bringt”, schließt die Zeitung.

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