Milo Djukanović am Tag seines Rücktritts, am 21. Dezember 2010.

Der Großputz hat begonnen

Kroatien, Kosovo, Montenegro: Innerhalb von nur zwei Wochen wurden die momentanen oder ehemaligen Führungseliten dieser drei Länder angeklagt oder festgenommen. Die montenegrinische Wochenzeitung stellt eine Gemeinsamkeit fest: Die Europäische Union will einen sauberen Weg zum Beitritt.

Veröffentlicht am 22 Dezember 2010 um 23:48
Milo Djukanović am Tag seines Rücktritts, am 21. Dezember 2010.

Die Festnahme des früheren kroatischen Regierungschefs Ivo Sanader [am 10. Dezember] glich einem Krimi. Nachdem in seinem Land einHaftbefehl erlassen wurde, nahm man ihn in Österreich fest. Nun wartet er im Salzburger Gefängnis auf seine Auslieferung und erklärte sich bereit, Stellung zu den Korruptionsvorwürfen zu nehmen. Ein oder zwei Tage vor seiner Verhaftung – kurz bevor das Parlament seine Immunität aufhob – flüchtete er aus Kroatien. Geplant hatte er, von den USA aus an seinem Prozess „teilzunehmen“. Jedoch ging sein Plan schief, weil die Amerikaner sein Visum für nichtig erklärten und die österreichischen „Freunde“ ihn seiner Freiheit beraubten. Vor nur einem Jahr lobten Washington und Wien ihn noch in den Himmel.

Im Balkan ist das Leben schauerlicher als jede Fiktion

Der Sieger der kürzlich erfolgten Wahlen im Kosovo – Premierminister Hashim Thaçi – hatte nicht einmal genug Zeit, zu feiern. Am Tag nach seinem Triumph veröffentlichte Europarat-Ermittler Dick Marty (der für seine Untersuchungen dergeheimen CIA-Gefängnisse auf europäischem Boden bekannt ist) einen Bericht, in dem er Thaçi als Anführer einer mafiaähnlichen Organisation entlarvt, die Waffen-, Drogen-, sowie -einem Horrorfilm gleichend- Organhandel betreibt. Die Vorwürfe Martys knüpfen an die Enthüllungen an, die Carla Del Pontes [die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien] in ihrem Buch Im Namen der Anklage: Meine Jagd auf Kriegsverbrecher und die Suche nach Gerechtigkeit veröffentlicht hatte. Als Anführer der Drenica-Gruppe, in der sich die Spitzen der UÇK, der Befreiungsarmee des Kosovo versammelten, soll Thaçi in den 1990er Jahren die Entführung und Entsendung von Gefangenen nach Albanien organisiert haben, wo ihnen ihre Organe entnommen wurden.

Im Balkan ist das Leben schauerlicher als jede Fiktion. So als seien die Verbrechen und die Kriege der 1990er Jahre noch nicht genug. Im Großteil der Länder dieser Region hat man kleptokratische Systeme geschaffen, die auf organisiertem Verbrechen und vermeintlichem Patriotismus beruhen. Aus den Ruinen des ehemals vereinigten Staates tauchten seltsame Führungskräfte auf, die vielmehr ins Gefängnis oder Irrenhaus gehören.

Die internationale Gemeinschaft trägt Mitschuld am Balkandebakel

Die grenzenlose Macht dieser Eliten gründet auf einem ungeheuren Reichtum. Von Zagreb bis Pristina haben die Führungskräfte der Region die Landesressourcen in ihre eigene, oder die Tasche von Freunden gespielt. In den Medien, aber auch auf Universitätslehrstühlen für Geschichte und Politik legte eine Armee von Propagandisten das Fundament für ihre außergewöhnliche Macht. Ihre nationalen Führungskräfte stellten sie als Erlöser dar und aus ihren Gegnern und Zeugen ihrer Verbrechen machten sie Kriminelle. Die verarmten Bevölkerungsmassen haben mit ihren Wahlzetteln nur die Lüge bestätigt, mit der die Befreier an die Macht gekommen sind: Sie seien die Garanten eines Staates, der unzählbaren Bedrohungen ausgesetzt ist.

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Am Balkandebakel trägt die internationale Gemeinschaft zweifellos einen großen Teil der Verantwortung. „Mit einem Gefühl von Entsetzen und moralischer Beschämung habe ich noch einmal die Geheimdokumente über Thaçi gelesen, die von westlichen Experten geschrieben wurden“, schreibt Marty. Sie wussten alles, setzten aber auf Thaçi. Martys Bericht gibt preis, was die westlichen Diplomaten inoffiziell zugaben: Im Kosovo zieht der Westen die Stabilität vor und opfert dafür die Justiz, analysiert die Agentur Reuter die Situation. So als könnte man Stabilität ohne Justiz schaffen!

Auch wenn Milo Ðukanović [Premierminister und ehemaliger Präsident Montenegros, der am 21. Dezember seinen Rücktritt ankündigte] in aller Öffentlichkeit von den Diplomaten in Podgorica gelobt wird, so geben diese doch unter vier Augen zu, dass Montenegros politisches System vielmehr dem des Kosovo gleicht, als dem Kroatiens. Ðukanović wäre ach so glücklich, wenn seine unerlaubten Beziehungen zum Marketing-Unternehmen einer engen Freundin das Hauptproblem seiner Regierung wären. Oder wenn sie sich nur um die Kredite sorgen müsste, die seinen Freunden von der Hypo Alpe Adriagenehmigt wurden; jener österreichischen Bank, von der man vermutet, sie sei in verschiedenste Korruptions-Skandale verwickelt. Nun handelt es sich dabei aber um die hauptsächlichen Anklagepunkte gegen Sanader.

Montenegro ist Drehscheibe für Kokain- und Heroinhandel

Aber kommen wir zur Ähnlichkeit mit Thaçi zurück. In Montenegro hat man sich glücklicherweise nicht dem Organhandel verschrieben. Dafür handelte man mit ganz anderen Dingen und schloss Geschäfte mit dem Teufel: Nach dem Zigarettenhandel ist Montenegro zur Drehscheibe für Kokain- und Heroinhandel geworden. In zwei Jahrzehnten, in denen es quasi keine Gewaltenteilung gab, hat sich der Premierminister mit seinen Partnern und seiner Familie die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes angeeignet. Zudem hat er äußerst dubiose Projekte auf den Weg gebracht. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Die Privatisierungen des Aluminiumkombinats in Podgorica und der Eisenhütte, aber auch der Prva Banka, [die dem Bruder des Premiers – Aco Đukanović – gehört]. Und alles ist so, als sei nichts geschehen! In einem normalen Land hätte allein die Prva Banka-Affäre, die zum Zusammenbruch des Finanzsystems Montenegros geführt hat, ausgereicht, um den Premierminister, seine Brüder und seine Paten hinter Gitter zu bringen. Aber der Westen hat dem Ganzen mit wohlwollendem Auge zugeschaut und Đukanović lange Zeit vergöttert…

Sind wir gerade dabei, zu begreifen, dass die größte Bedrohung für die Stabilität der Balkanländer gar nicht so sehr von den ethnischen Konflikten ausgeht, als vielmehr vom organisierten Verbrechen? Es scheint, als habe der Westen endlich beschlossen, sich der Politik grundlegender Veränderungen zu widmen, die viel zu lange hinausgeschoben wurde. Dafür spricht der Fall Sanader in Kroatien, der Bericht des Europarates zum Kosovo, und die Forderung, gegen die Korruption auf höchster Ebene vorzugehen – das sind die Bedingung der EU, bevor die Beitrittsverhandlungen mit Montenegro eröffnet werden können. [Das Land hat am 17. Dezember den Status als Beitrittskandidat erhalten.]

Der Großputz, der in Zagreb begonnen hat, wird gewiss auch Montenegro erreichen. Der Staatsspitze und ihren in der Wirtschaft tätigen Brüder könnte dann ein Gerichtsverfahren wegen Staatsplünderung drohen. Aber zunächst einmal muss der Staatschef gehen. (j-h)

Aus Sicht Belgrads

Europa muss sich engagieren

In Südosteuropa steht die EU vor zwei Möglichkeiten: Die erste ist eine Schock-Integration aller westlichen Balkanländer. Die zweite: Der Weg ins Unbekannte. Zu glauben, dass die Länder dieser Region fähig seien, allein mit den Herausforderungen des Übergangs fertig zu werden, ist unrealistisch. Europa muss begreifen, dass die Stabilität des Balkans nicht sein einziges Ziel sein kann. Die Zermürbung der Balkan-Gesellschaften folgt ihrer eigenen Logik und wird die Menschen dazu bringen, nach einem besseren Leben außerhalb ihrer Staatsgrenzen zu trachten. Stabilität ohne Entwicklung beweist nur, wie festgefahren Politik und Wirtschaft sind.

Aus diesem Grund muss Europa handeln. Sofort. Ebenso, wie es das im Fall Sanader getan hat. „Der Anti-Korruptions-Großputz hat in Rumänien und Bulgarien begonnen. In Kroatien hält er bereits Einzug und wird zweifellos auch Serbien und die anderen Beitrittskandidaten erobern. Ausnahmslos werden sie alle durch dieses Fegefeuer müssen.“

Bosko Jaksic, Politika, Belgrad.

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