Unsere Beziehungen zu Mitteleuropa sind seltsam. Als ob wir die stattlichen Fortschritte, die seit dem Ende des Kommunismus 1989 gemacht wurden, nicht wahrhaben wollten. Als ob wir, anders als die Bürger in Osteuropa, immer noch den Klischeevorstellungen nachhingen und uns weigerten zu begreifen, dass Europa über Elbe und Oder hinaus geht. Manch einer klagt, dass die Menschen dieser Länder uns nicht wohl gesonnen seien, uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen und Sozialhilfe kassieren wollen. Was hätte Schengen uns denn gebracht, wenn unser kleines Dänemark von Gangstern heimgesucht wird, die sich wie Unkraut bei uns einnisten, jetzt wo die Grenzen nicht mehr existieren? Dergleichen ist in Dänemark zu hören, manchmal scharf am Rand des Gesetzes zur Rassendiskriminierung.
Tragisch ist sie, unsere historische Orientierungslosigkeit. Ebenso wie unsere ständige Sorge um den unmittelbaren Nutzen. Ist es denn nicht möglich in größeren Dimensionen zu denken? Ich selbst kann das. Ich freue mich Tag für Tag, dass ich in einem quasi vereinten Europa leben darf. Und im Herzen dieses Kontinents liegt eben Mitteleuropa. Ohne Mitteleuropa würde ich in einem künstlichen Europa leben, dass sich Russland und die USA aufgeteilt hätten.
2011 - die Ideen kommen aus Mitteleuropa
Ich bin gerade aus Warschau wiedergekommen, eine der dynamischsten Hauptstädte des neuen Europas. Einer Stadt voll Selbstvertrauen und Unternehmensgeist. Die Stadt ist vielleicht nicht die schönste, aber wäre ich jünger, könnte ich dort leben wollen. Warschau ist quicklebendig. Die Tatsache, dass — soweit ich weiß — kein einziger dänischer Journalist in Polen lebt, zeigt überdeutlich, wie provinziell unser Berufsstand geworden ist. So kann es mit den Printmedien nur den Bach hinuntergehen.
2011 wird das Jahr Mitteleuropas. Am 1. Januar übernimmt Ungarn die wechselnde EU-Ratspräsidentschaft, und sechs Monate später ist Polen an der Reihe, eines der dynamischsten neuen EU-Mitglieder: 40 Millionen Einwohner, ohne Neofaschist an der Macht, ein Land mit Tradition und einer alten Kultur, dessen Modernisierung rasant vorangeht, dessen Wirtschaft boomt und das strategisch wichtig zwischen Deutschland und Russland liegt. Und was Ungarn betrifft, so ist das Land zwar nicht wohlhabend, aber es versucht das Donaubecken wirtschaftlich zu konsolidieren, eine Region, die von Bayern bis ans Schwarze Meer reicht. Ein vernünftiges und klares Projekt.
Polen ist reicher, doch weiß es noch nicht, genau, wo es hingehen soll. Das Land will sich um die kommende EU-Erweiterung gen Osten kümmern, um die neuen baltischen Republiken, um das desolate Weißrussland, um die derzeit nicht sehr vielversprechende Ukraine, um Moldau, wo erst einmal der Konflikt um Transnistrien geklärt werden muss, bevor Polen versuchen kann, die Beziehungen der EU mit Russland zu verbessern. Zwar sind die polnisch-russischen Beziehungen nicht schlecht, aber man kann sie wahrlich nicht als gut bezeichnen.
Dänemark fehlt es dagegen an Ehrgeiz
In Polen erinnert man sich noch lebhaft an die russische Intervention in Georgien 2008. Man betrachtet auch mit Unbehagen die Kungelei zwischen Moskau, Berlin und Paris, die Polen ins politische Abseits drängen. Dänemark könnte hierbei eine wichtige Rolle übernehmen, tritt das Land doch am 1. Juli der sogenannten Troika bei, bevor es selbst Anfang 2012 die Ratspräsidentschaft übernimmt. Fragt man aber, welches denn die dänischen Vorschläge und Ideen seien, bekommt man zu hören, dass es an Geld und an Ehrgeiz fehlt. „Die dänische EU-Ratspräsidentschaft wird eine Discount-Präsidentschaft sein“, meint ein Experte.
Das wäre schade. Neben den konkreten Dossiers, die abgearbeitet werden müssen, sollte die dänische Ratspräsidentschaft ein Vorzeigeprojekt initiieren. Beispielsweise echte Verbindungen zwischen den baltischen Republiken, Zentraleuropa und Westeuropa herstellen. Westeuropa sieht sich in seiner übermäßigen Arroganz nun schon allzu lange als das wahre Europa. Der Profit der Reichen allein kann nicht das Ziel der Europäischen Union sein. (js)
Regionale Zusammenarbeit
Strategie für den Donauraum greift in Kürze
Vertreter der 14 Donaustaaten haben sich am 8. November in Bukarest getroffen, ein letzter Gipfel vor dem Start der EU-Strategie für den Donauraum im ersten Halbjahr 2011 unter der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns. Der rumänische Präsident Traian Băsescu setzt auf den Ausbau der europäischen Binnenschifffahrt als „wichtigster Wirtschaftsfaktor des Donauraums“. Evenimentul zilei zitiertEU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der erklärte, dass die Strategie für den Donauraum die Möglichkeit biete, „die großen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten innerhalb der Union: Deutschland, Österreich, Bulgarien, Tschechische Republik, Ungarn, Rumänien, Slowakei und Slowenien, aber auch zwischen EU-Staaten und den anderen Ländern der Region Serbien, Bosnien-Herzegowina, Moldau, Montenegro und Kroatien zu überwinden.“ Das Projekt profitiert von EU-Mitteln in Höhe von 95 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Kredite der Europäischen Investitionsbank und der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.
Interessiert Sie dieser Artikel?
Er ist dank der Unterstützung unserer Community frei zugänglich. Die Veröffentlichung und Übersetzung unserer Artikel kostet Geld. Um Sie weiterhin unabhängig informieren zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung.
Abonnieren oder Spenden
Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
Veranstaltung ansehen >