The Railway Bar, Bundoran, Co. Donegal.

Der Pub ist zu

Mit der ehemaligen Hauptattraktion Irlands geht es schwer bergab. Alle zwei Tage schließt ein Pub. Daran ist der Irish Times zufolge allerdings nicht nur die starke, anhaltende Rezession Schuld, sondern auch ein Wandel der Kultur.

Veröffentlicht am 27 Februar 2012 um 16:24
Linda McNulty  | The Railway Bar, Bundoran, Co. Donegal.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Pubs im Mittelpunkt des Lebens der irischen Gesellschaft standen. Egal ob Geburtstag, Kommunion oder Beerdigung, zu jedem Anlass traf man sich in des Landes verdunkelten Kneipen. Man schickte Familienmitglieder dort hin, hartnäckige Trinker aus ihnen loszueisen. Frühaufsteher trafen sich auf dem Weg zur Arbeit mit Nachtschwärmern zu einer Pinte Bier. Gern prahlte man damit, die Nacht in einem kleinen, feuchten Raum mit einer Reihe Zapfhähnen verbracht zu haben.

Jetzt machen die Pubs nach und nach zu – einer alle zwei Tage, insgesamt über 1.100 seit 2005. Häufig wurde ihr Rückgang als ein weiteres Beispiel für das kaputte Leben auf dem Lande angeführt - in Wirklichkeit sind es jedoch Pubs in den unterschiedlichsten Lagen, deren letzte Stunde geschlagen hat.

Für den Niedergang dieses Sektors wurden die unterschiedlichsten Gründe angeführt. Was das letzte Jahrzehnt betrifft, so schimpfen die Wirte vor allem auf das Rauchverbot und strengere Alkoholkontrollen für Autofahrer. Diese Änderungen liegen jedoch schon einige Zeit zurück: das Rauchverbot stammt aus dem Jahr 2004, und die ersten Änderungen der Bestimmungen für Alkohol am Steuer wurden 2003 mit stichprobenartigen Alkoholtests eingeführt.

Höhere Ansprüche der reicheren Kunden

Andere sind der Ansicht, dass umfassendere Veränderungen im Gange sind – eine radikale Umstellung unserer Lebensweise und besonders der Art, wie wir unsere Freizeit verbringen. Mary Lambkin, Marketing-Professorin am University College Dublin, ist überzeugt: “Unsere Lebensweise wandelt sich grundlegend. Die Leute werden immer reicher und damit auch anspruchsvoller. Sie sind es nicht mehr gewöhnt, in einem schmuddeligen Pub zu sitzen. Besonders die jüngere Generation möchte neuere, schönere und modernere Treffpunkte.”

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Dass Pubs für den Tourismus genauso wichtig sind wie gute Bars, erkennt sie zwar an, mit ihrer Kritik hält sie jedoch nicht hinter dem Berg: “Es gibt nach wie vor uninteressante Pubs, an denen wirklich nichts empfehlenswert ist. Viele von ihnen wirken mit ihren dunklen, schmuddeligen Räumen und dreckigen Theken, als wäre seit 1954 nichts an ihnen gemacht worden. Diese Pubs werden die Rezession nicht überleben und verdienen das wahrscheinlich auch gar nicht.”

Für die Wirte ist der Wandel sowohl kultureller als auch wirtschaftlicher Art. “Früher hatten die Leute viel Geld und wenig Zeit,” so Padraig Cribben, Vorsitzender des irischen Gastronomenverbands Vintners Federation of Ireland, der 4.500 Pub-Wirte des Landes repräsentiert.

Für einige Mitglieder, so sagt er, lohne es sich bereits nicht mehr, außerhalb der Hauptgeschäftszeiten zu öffnen. “Unser Beruf ist zur Teilzeitbeschäftigung geworden, ähnlich wie die Landwirtschaft vor 20 Jahren. Manche Pubs machen erst um 20 Uhr auf, oder nicht vor Mittwoch.”

Der Freitag Abend zuhause

Bei Geraldine Lynch, Wirtin des Cuckoo’s Nest in Tallaght, deren Eltern bereits Wirte waren, ist der Umsatz an der Theke an Wochentagen um zwei Drittel zurückgegangen. Neben der Rezession sind für sie auch andere Faktoren mitverantwortlich. Diese war aber zumindest vorhersehbar, und man konnte dem Umsatzrückgang durch strafferes Management entgegenwirken.

Dann geschah etwas Beunruhigendes: auch der Wochenendumsatz ließ nach. “Früher begann das Wochenende am Donnerstagabend. Mit der Rezession endete das jedoch,” so die Wirtin. “Mit der Zeit fiel auch der Freitag weg. Die Gäste kamen nicht mehr nach der Arbeit, oder sie schauten nur auf ein Glas vorbei und gingen dann wieder.” Die Gästescharen, die einst mit einem freudigen “Gottseidank, es ist Freitag!” in die Pubs strömten, gehören längst der Vergangenheit an.

Geraldine Lynch muss feststellen, dass ihre Kunden immer mehr zu tun haben. Oft ist der Samstag der einzige freie Tag in der Woche. Der Samstagvormittag wird häufig Familienaktivitäten oder einem Jogging gewidmet, so dass man am Freitagabend zuhause bleibt.

Anfang des Monats übernahm ein Konkursverwalter den Colman Byrne’s pub in Ballaghaderreen, Co Roscommon. Damit endete der Kampf um ein rentables Geschäft von Byrne’s, der sechs Jahre gedauert hatte. Bevor das Geschäft aus verschiedenen Gründen ins Trudeln geriet, lief es gut. Zu diesen Gründen zählten die Rezession und die Abwanderung, aber auch Beschwerden aus der Nachbarschaft über die langen Öffnungszeiten, was das lebenswichtige Geschäft am Samstagabend zunichtemachte.

Die irische Geselligkeit verschwindet

Neben den wirtschaftlichen Faktoren stellte aber auch Byrne dieselben kulturellen Veränderungen fest wie die Anderen. “Ein wichtiger Charakterzug der Iren – die Geselligkeit – verschwindet nach und nach. Die Leute sind längst nicht mehr so kontaktfreudig wie früher.”

Byrne hat festgestellt, dass immer weniger Stammgäste kommen, die an der Bar den neuesten Klatsch austauschen, sondern immer mehr “junge Leute, die sich bereits zu Hause mit billigem Wodka und Bier haben volllaufen lassen.” Manche schmuggeln sogar ihre eigenen alkoholischen Getränke in den Pub.

Conor Kenny stellt auch das Bild in Frage, das die Iren von sich selbst haben, nämlich Geselligkeit und Gemütlichkeit zu lieben. “Die Generation unter 26 ist da völlig anders.” Das Ergebnis ist seiner Meinung nach eine Generation mit wenig Interesse an einem ruhigen Abend in ein und demselben Pub. Sie arbeiten viel, trinken viel und gehen zu der Zeit aus, wo ihre Eltern wahrscheinlich nach Hause kamen, so Kenny.

Dies ist eine weitere wichtige Veränderung des Pub-Sektors. Der Alkoholkonsum ist innerhalb eines Jahrzehnts um ca. ein Fünftel zurückgegangen, spielt im Leben der Iren jedoch nach wie vor eine wichtige Rolle. Das Problem für die Wirte ist, dass die Iren immer häufiger zuhause trinken, und nicht mehr in lizenzierten Gastwirtschaften.

Das gute Geschäft der Supermärkte

Einer Studie der Drinks Industry Group Ireland, der Dachorganisation für Produzenten, Verteiler und Verkäufer alkoholischer Getränke in Irland, zufolge, wurden noch vor zehn Jahren bis zu 80 Prozent aller alkoholischen Getränke in Pubs und anderen Gaststätten verkauft. Heute wird dort nur noch weniger als die Hälfte des Gesamtumsatzes erzielt.

Nachdem 2006 das Verbot des Verkaufs unter Preis in Supermärkten aufgehoben wurde, wurden diese zu regelrechten Getränkemärkten. Sie nutzten alkoholische Getränke als Lockvogel, um Kunden anzuziehen. “Das Angebot nahm explosionsartig zu, und die Preise brachen ein,” so Donall O’Keefe, Vorsitzender der Licensed Vintners‘ Association, die die Wirte Dublins repräsentiert.

Der Pub, der einst eine klar definierte Institution mit einem zentralen Platz in der Gesellschaft war, hat heute seine Aufgabe verloren. Kenny zufolge besteht die Herausforderung für die Wirte darin, wieder an Bedeutung zu gewinnen. “Hier ist Erfindergeist gefragt. Wir müssen uns wieder den Grundwerten widmen. Die Pubs haben vergessen, wie man einen Markt schafft und Unterschiede in den Vordergrund stellt. Zur Zeit des Keltischen Tigers war es leicht, Geld zu verdienen. So haben die Pub-Wirte vergessen, wie man aktiv seinen Umsatz steigert.”

Mary Lambkin sagt weitere Schließungen voraus; darüber hinaus hat eine Welle der Konsolidierung als wirtschaftliche Variante des “Überlebens der Stärksten” eingesetzt. “In jeder Stadt gibt es bekannte, herausragende Pubs. Für die Guten ist das Geschäft nach wie vor rentabel, und sie werden überleben.”

Debatte

Bericht über Alkoholmissbrauch schockiert

Einem Bericht des Gesundheitsministeriums zufolge “konsumiert ein durchschnittlicher Erwachsener in Irland Alkohol entsprechend einer Flasche Wodka pro Woche oder rund 240 Liter Bier pro Jahr”, schreibt The Irish Independent.

Der Alkoholmissbrauch führt jeden Monat zu etwa 88 Todesfällen und erhöht das Risiko bei 60 verschiedenen Krankheitsbildern. Der Bericht löste damit eine große Debatte in Irland aus, nicht zuletzt, weil das Alkoholproblem den finanzschwachen Staat jährlich 1,2 Milliarden Euro kostet. John Waters von der Irish Times beschäftigte sich als einer der Ersten mit dem Thema.

Wenn mich Ausländer fragen, warum sich die Iren nicht gegen die unverständliche und ungerechte Last wehren, die man ihnen aufbürdet, sage ich ihnen, dass sie sich die Alkohol-Statistiken anschauen sollen. Alkohol ist ein wirksames Mittel, um einen künstlichen sozialen Zusammenhalt zu erzeugen. Deshalb gehen die Menschen nicht auf die Straße oder heben die Tore des Regierungsgebäudes aus den Angeln.

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