Der Untergang der Intellektuellen

Schlechter Geschmack, verbale und physische Gewalt, Rassismus und Sexismus: Für den Schriftsteller Mircea Cartarescu hat die rumänische Gesellschaft seit dem Fall des Kommunismus vor allem das hervorgebracht. Und während sich über die Medien ein neuer Populismus entwickelt, finden die Intellektuellen kein Gehör mehr.

Veröffentlicht am 29 März 2012 um 10:32

Ich frage mich, warum dir rumänische Gesellschaft in so hohem Maße unharmonische Persönlichkeiten hervorbringt.... Ich bin schon viel herumgekommen und habe auch mehrere Jahre in einigen Ländern Westeuropas gelebt. Ich kann nicht sagen, dass ich jene Länder so gut kennengelernt habe, wie mein eigenes Heimatland, das ich nicht nur wie meine eigene Westentasche kenne, sondern auch am eigenen Leibe erfahren habe.

Trotzdem wage ich die Behauptung, dass in keiner anderen Gesellschaft so viel Negatives an die Oberfläche befördert wird, dass es so viele verbitterte Seelen gibt, die nach Rache lechzen, die sich an allem rächen möchten, an den anderen, an sich selbst oder am Leben an sich.

Dies soll nicht heißen, dass das rumänische Volk an sich unharmonisch sei. Ich habe es immer gesagt: Unser Volk besteht aus einer großen Masse von wohlerzogenen Menschen, die guten Willens und intelligent sind, deren Stimme aber leider nicht gehört wird. Stattdessen gibt es bei uns eine Gruppe von extrem lauten Menschen, eine dumpfe Masse von Individuen, die ernsthafte Probleme haben, ihren Platz in der Welt zu finden.

Monströsen Egoisten

Diese Gruppe ist die, die schockiert. Sie schockiert nicht nur uns Rumänen, sondern auch die, die unser Land besuchen oder zum ersten Mal mit uns Kontakt haben, sei es in Rumänien oder im Ausland. Diese Menschen vermitteln den Eindruck, wir seien alle gleich. Sie sind diejenigen, die die Gesetze missachten, weil sie die Menschen verachten.

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Sie sind die monströsen Egoisten. Sie sind diejenigen, die ohne mit der Wimper zu zucken weiß als schwarz deklarieren und schwarz als weiß. Man findet sie überall: im politischen Leben, unter den „Stars“ der Fernsehshows, in verschiedenen Foren, im Stadion, unter den Nachbarn. Man kann gar nicht anders, als sich zu fragen, warum und durch welchen Mechanismus unsere Gesellschaft Grobschlächtigkeit, extreme körperliche und sprachliche Gewalt, Sexismus, Rassismus und alle anderen Zutaten, die damit einher gehen, hervorbringt.

Die historischen Wurzeln liegen sehr tief, glaube ich. In der jüngsten Geschichte hat der Kommunismus ganz eindeutig eine Schlüsselrolle gespielt. Durch die sozialen Umwälzungen, die er gebracht hat, hat er auch eine Umwälzung der Mentalitäten bewirkt: Er hat den Klassenhass geschürt, hat die ohnehin nur sehr dünne zivilisierte Schicht zerstört und ungebildete und unzivilisierte Menschen an die Macht befördert.

Neue Form des Populismus an der Macht

Deren Nachfolger missbrauchen heute das vielleicht höchste durch die Dezemberrevolution errungene Gut, das Recht auf freie Meinungsäußerung, buchstäblich als Sprungbrett. Es haben zwar alle eine Stimme bekommen, jedoch werden vor allem die Stimmen der Schlechtesten gehört, die der Unharmonischen, die der aggressivsten Persönlichkeiten.

Wir können tagtäglich beobachten, wie große Persönlichkeiten des Kulturlebens von einigen dieser Gestalten wie von Wölfen umzingelte Hirsche getrieben werden, denen es sowohl an moralischer Größe, als auch an Kompetenz mangelt. Sie lesen ihre Werke nicht, sie hassen sie zutiefst, denn sie sehen in ihrem Erfolg, ihr eigenes menschliches und berufliches Versagen.

Wir beobachten auch täglich, wie einige Wenige, dich sich Schmach und Stock zum Werkzeug gemacht haben, es schaffen, die zivilisierten Menschen von den Diskussionsforen zu verdrängen, jene nämlich, die sich für einen ruhigen Gedankenaustausch gern ihrer Meinungsfreiheit bedient hätten. Heute kommt in Rumänien nicht die Mittelschicht nach oben und an die Macht, die gebildet und aktiv ist und die wir uns alle wünschen, sondern eine neue Form des Populismus, der jenen des vergangenen Jahrzehnts ziemlich schnell als bloße Amateursbewegung aussehen lassen wird.

Der Untergang der Intellektuellen sollte niemanden freuen. Er bedeutet auch den Untergang der Bildung und die Veränderung unserer Welt in einen unzivilisierten Ort der Barbarei. Wir haben das Lesen und das Denken aufgegeben und wir lassen das Fernsehen darüber entscheiden, was uns gefällt und was nicht. Es bleibt das bittere Gefühl, die große Chance der Demokratie verpasst zu haben, das Gefühl, diese Überzeugung wie auch die der Gleichheit im Kommunismus zu einer Fratze verkommen haben zu lassen.

Debatten

Gegenüber Populisten sind Intellektuelle nur Federgewichte

„Wer wird die politische Schlacht gewinnen? Intellektuelle oder Populisten?“, fragt sich Qmagazine. Heute, „wiegt der politische Populist schwerer als der Intellektuelle. Im Regierungsprogramm dominiert, wer hinterlistig kalkuliert und seine Wähler manipuliert. Das Großmaul hat die politische Kultur abgelöst“, urteilt das rumänische Magazin.

Vor den Wahlen am 10. Juni scheint die politische Debatte eine „monströse“ Wendung genommen zu haben. Statt „strategische und programmatische Ideen“ zu diskutieren, attackiert man das Gegenüber lieber mit „Angriffen, die fast schon unter der Gürtellinie liegen“.

Die Bevölkerung hat allmählich „die Nase voll“ davon. Das wird sich auch in der Wahlbeteiligung widerspiegeln. Laut dem Magazin wird sie „dem aggressiven Ton der Intellektuellen“ einen Denkzettel verpassen, der hier „viele an die rhetorische Gewandtheit der Kommunistischen Partei erinnert“.

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