Split (Kroatien), 11. Juni. Nationalistische und homophobe Demonstranten bei der Gay Pride.

Der Weg nach Europa ist noch weit

Am 10. Juni erhielt Kroatien grünes Licht für seinen EU-Beitritt am 1. Juli 2013. Eine Tageszeitung aus Rijeka meint aber, dass der Weg nach Europa noch weit ist. Das lasse sich an mehreren Faktoren festmachen, beispielsweise den jüngsten Auseinandersetzungen bei der Gay Pride am vergangenen Wochenende in Split.

Veröffentlicht am 13 Juni 2011 um 15:03
Split (Kroatien), 11. Juni. Nationalistische und homophobe Demonstranten bei der Gay Pride.

Steine wurden auf friedliche Menschen, auf Europäer geworfen! Von der gewaltsamen Demonstration in Split bleibt dieses Bild. Bei der erstmals am 11. Juni in der zweitgrößten kroatischen Stadt organisierten Gay Pride griffen ca. 10.000 Schwulen- und Lesbenfeindliche etwa 400 Teilnehmer der Parade an. Freuen wir uns also nicht allzu früh über den Abschluss der [EU]-Beitrittsverhandlungen.

Mit den Ereignissen in Split zeigt sich einmal mehr, dass die Europäisierung unserer Gesellschaft kein so immanentes Bedürfnis ist, sondern uns dieser Prozess vielmehr von den gegenwärtigen Machtverhältnissen in Europa aufgezwungen wird. Und selbst von einem rein formellen Standpunkt aus betrachtet ist noch nichts in Sack und Tüten: Die zwei Jahre, die uns vom endgültigen EU-Beitritt trennen, fühlen sich wie eine Ewigkeit an.

Wir sind nicht bereit, all die Hindernisse zu vergessen, die unserem Land auf dem langen Weg nach Europa in die Quere gekommen sind: Aufgrund der während der Operation Oluja (deutsch: Sturm) verübten Verbrechen [gegen die Serben aus der Region Krajina] wurde uns im Dezember 1995 als erstem Land die Teilnahme am Europarat verweigert. Damals war [die aktuelle Premierministerin] Jadranka Kosor Vizepräsidentin des Parlaments und [ihr Vorgänger und momentan im österreichischen Graz für Korruption in Gefängnishaft sitzender] Ivo Sanader stellvertretender Außenminister.

Zehn Jahre später vertagte man den Beginn der Beitrittsverhandlungen aufgrund der fehlgeschlagenen Verhaftung von General Ante Gotovina [der während der Operation Oluja das Kommando über die kroatischen Truppen hatte]. Damals war Sanader Premierminister und Kosor seine engste Mitarbeiterin. Mit diesem Zweigespann an der Staatsspitze wurden wir zu dem Land, dessen Verhandlungen am längsten dauerten: Sechs nicht enden wollende Jahre. 2000 versprach man uns den EU-Beitritt für 2006 und wie ein Marathonläufer, der seinen Sieg schon nach 30 Kilometern zu feiern beginnt, hisste Sanader die blaue Fahne mit den gelben Sternen mitten in Zagreb.

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Krotien war in den Achtzigern europäischer

Die letzte Marathonetappe könnte sich als die schwierigste erweisen. Auf den letzten Kilometern müssen wir gegen unsere eigenen Schwächen ankämpfen. Außerdem muss ein Referendum zum Beitritt organisiert werden. Erstaunlich ist, dass die Regierung von den Befürchtungen, dieses Plebiszit könnte scheitern, schlicht nichts wissen will. Sollte die Regierung Angst vor dem Ergebnis des Referendums haben, so weiß sie nicht, wie sie den Trend abwenden könnte. Sollte sie sich aber sicher sein, dass das „ja“ gewinnt, so glaubt sie wohl, nichts mehr tun zu müssen.

Viel europäischer war Kroatien paradoxerweise in der Zeit zwischen dem Sturz des Sozialismus und dem Aufbau der „Demokratur“ [von Franjo Tudjman] Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre. Damals wurde von unten europäisiert. Heute wird alles von oben aufgezwungen. In der Zwischenzeit hat sich der anti-europäische Geist Tudjmans breitgemacht, auf dem die HDZ [die Regierungspartei Kroatische Demokratische Union] den Staat aufgebaut hat. Schauen wir uns nur einmal an, welche Schande die schwulen- und lesbenfeindliche Menge in Split über uns gebracht hat!

Wer kann da noch ernsthaft glauben, unsere Gesellschaft würde sich nicht isolieren, sei nicht verschlossen, fremdenfeindlich und schotte sich ab? Freuen wir uns also nicht zu früh. Damit ihr der Atem auf den letzten Metern des Wettlaufs nicht ausgeht, muss Druck auf die Regierung ausgeübt werden.

Und ganz nebenbei: Ist ein EU-Beitritt sechs Jahre nach Bulgarien und Rumänien wirklich ein Grund zum Jubeln? (jh)

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