Slavoj Žižek
Beim Pariser Marsch für Demokratie, 11. Januar 2015.

Die Attentäter von Charlie Hebdo sind „falsche Fundamentalisten“

Veröffentlicht am 20 Januar 2015 um 18:52
Maya-Anaïs Yataghène  | Beim Pariser Marsch für Demokratie, 11. Januar 2015.

Der tödliche Anschlag von letzter Woche auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo sollte eine Verurteilung dieser Taten und Solidarität mit den Opfern hervorrufen, aber vor allem „der richtige Moment sein, den Mut zum Denken zu fassen“, schreibt der slowenische Philosoph Slavoj Žižek in der britischen Wochenzeitung New Statesman.

Žižek argumentiert, dass der Vorfall „einen bestimmten religiösen und politischen Hintergrund hatte und damit eindeutig nur Teil eines großen Ganzen ist“: eines ideologischen Modells, das die Meinungsfreiheit der westlichen Verteidiger und deren säkuläre Werte den islamistischen Fundamentalisten gegenüberstellt, die ihre kulturelle Identität vor dem „Ansturm der weltweiten Konsumgesellschaft“ schützen wollen. Doch diese Ansicht der Angreifer ist falsch –

Was [islamistischen Fundamentalisten] offensichtlich fehlt ist etwas, das bei allen authentischen Fundamentalisten zu erkennen ist, von tibetischen Buddhisten bis hin zu den Amish in den USA: das Nichtvorhandensein von Verbitterung und Neid, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Lebensstil der Nicht-Gläubigen. […] Das Problem mit Fundamentalisten ist nicht, dass wir sie als uns unterlegen betrachten, sondern vielmehr, dass sie selbst sich insgeheim als minderwertig ansehen. Deswegen machen unsere herablassenden politisch korrekten Zusicherungen, dass wir uns ihnen nicht überlegen fühlen, sie nur noch wütender und schüren ihre Verbitterung. Das Problem sind nicht die kulturellen Unterschiede (ihre Anstrengung, ihre Identität zu bewahren), sondern genau das Gegenteil, nämlich dass die Fundamentalisten bereits sind wie wir, dass sie sich heimlich unsere Standards verinnerlicht haben und sich selbst an ihnen messen.

Diese Verbitterung ist entscheidend für Žižeks Ansicht, dass Fundamentalismus nicht die zentralen Werte des Liberalismus, Freiheit und Gleichheit, in Frage stellt, sondern eine unvermeidliche Folge davon ist. Es sei „eine falsche, rätselhafte Reaktion“, auf „ein echtes Manko des Liberalismus“, der sich ohne die Hilfe einer radikalen, erneuerten Linken „langsam selbst untergraben wird“ –

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Der jüngste Wandel des islamischen Fundamentalismus bestätigt Walter Benjamins alte Erkenntnis, dass „jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt“: [[Der Aufstieg des Faschismus ist das Versagen der Linken]], aber gleichzeitig auch ein Beweis für revolutionäres Potenzial und Unzufriedenheit, was die Linke nicht zu mobilisieren gewusst hat. Und gilt dasselbe nicht auch für den heutigen sogenannten „Islamofaschismus“? Ist der Aufstieg des radikalen Islamismus nicht korrelativ zum Verschwinden der säkulären Linken in muslimischen Ländern?

Deutsche Übersetzung von Julia Müller, DVÜD.

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