Presseschau Tschechische Republik

Die Beneš-Dekrete als Wahlkampf-Falle

Veröffentlicht am 22 Januar 2013 um 16:14

Die Frage der Beneš-Dekrete ist zu einem der Hauptthemen im Rennen um das tschechische Präsidentenamt geworden. „Karel Schwarzenberg ist in die Falle des Nationalismus geraten“, meldet Lidové noviny drei Tage vor der Stichwahl. Die Tageszeitung fürchtet, dass der ehemalige Außenminister gerade seine Chance auf den Präsidentensessel verspielt.

Während einer TV-Debatte mit seinem Gegner Miloš Zeman erklärte der liberal-konservative Kandidat, dass Präsident Beneš für die Vertreibung der Sudetendeutschen und die Beschlagnahmung ihrer Güter nach dem Zweiten Weltkrieg heute wohl vor dem Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gelandet wäre. „Es können zwar keine Ansprüche auf Rückerstattung dieser Güter in der tschechischen Republik erhoben werden“, fügte er hinzu, „doch das soll nicht heißen, dass sie nicht Gegenstand einer historischen oder moralischen Gewichtung sein sollten.“

Zeman ergriff die Gelegenheit des provokanten Kommentars, um Schwarzenbergs tschechische Herkunft infrage zu stellen. Er warf ihm vor, Ausländer zu sein, kreidete ihm seine österreichische Ehefrau an, deren Vater NS-Sympathisant war, und warf ihm vor, sich „wie ein Sudetendeutscher zu verhalten“. Dabei hatte Zeman selbst im Jahr 2002 beteuert, als er Ministerpräsident war, dass „die Frage der Beneš-Dekrete nun der Vergangenheit angehört“.

Karel Schwarzenberg ist auch Zielscheibe nationalistischer Angriffe der Familie des aus dem Amt scheidenden Präsidenten Václav Klaus, welcher Miloš Zeman unterstützt. Klaus’ Gattin Livia gefällt es nicht, dass die potentielle First Lady, Therese Schwarzenberg, kein Tschechisch spricht, und Sohn Václav Junior kritisierte Schwarzenbergs Art, die Nationalhymne zu singen. Lidové noviny bedauert „eine Mischung aus Nationalismus, Fremdenhass, Chauvinismus und Demagogie“.

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Die Wochenzeitung Respekt hingegen betrachtet einen eventuellen Wahlsieg Miloš Zemans als echte Gefahr:

Die Tatsache, dass Miloš Zeman mit Hilfe der Familie Klaus die nationalistische Karte gegen Karel Schwarzenberg ausspielt, ist ein tragischer Ausgang der ersten direkten Präsidentschaftswahl. [...] Miloš Zeman fuchtelt mit der Fahne des Nationalismus herum. Sollte er zum Präsidenten gewählt werden, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die tschechische Politik den Tiefpunkt erreicht, auf den die mitteleuropäischen Länder nacheinander gesunken sind. [gemeint ist das Polen der Gebrüder Kaczyński, das Ungarn von Viktor Orbán und die Slowakei von Vladimír Mečiar und dann unter dem ersten Mandat von Robert Fico].

Dabei könnten die Gegner, die Karel Schwarzenberg vorwerfen, „nicht tschechisch genug“ zu sein, der Wahrheit nicht ferner liegen, findet Mladá Fronta Dnes.

Sein Großvater Karel V. war eine der Hoffnungen der tschechischen Politik. Sein Vater Karel VI. machte die tschechische Geschichte und den tschechische Staat zu seinen Hauptanliegen. Des Vaters romantischer Patriotismus und seine Sorge um Tschechien gingen auch auf den Sohn über.

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