Die Europäer können’s nicht

Frankreich kämpft in Mali einen einsamen Kampf für ganz Europa, findet der Brüssel-Korrespondent der SZ. Dass die Partner Paris mit ein paar Flugzeugen abspeisen wollen ist nicht nur Drückebergerei, sondern ein Todesstoß für das Europa der Verteidigung.

Veröffentlicht am 16 Januar 2013 um 16:06

Ginge es in Mali nur um Mali, wären französische Soldaten jetzt wohl kaum in den Krieg gegen islamistische Milizen gezogen. Auch die Interessen der alten Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent geben einen solch riskanten Einsatz nicht her. Frankreich hat eingegriffen, weil sich der Problemstaat in der Sahel-Zone zu einer Gefahr für Europa auszuwachsen droht. Und es hat es deshalb alleine getan, weil die anderen Europäer sich gedrückt haben. Das sagt viel über den Zustand der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus. Und nichts daran ist gut.

Wenn Paris für seinen Einsatz von seinen europäischen Partnern nicht mehr als ein brüderliches Schulterklopfen und ein paar Transportflugzeuge bekommt, dann läuft etwas schief in der Europäischen Union. Den Islamisten und Terroristen den Weg zur Eroberung Malis zu verlegen, liegt im genuin europäischen Interesse. Seit mehr als einem Jahr weiß die EU um die Gefahr. Mali in der Hand von al-Qaidisten und ihren Gesinnungsfreunden würde zu einem Afghanistan vor Europas Haustür werden: Ausgangspunkt, Trainingslager und Ruheraum für den internationalen Terrorismus.

Diese Gefahr hat die EU durchaus erkannt. Sie hat sich aber nie auf eine umfassende Antwort verständigen können. Eine kleine Ausbildungsmission für die malische Armee war das höchste der Gefühle. Für mehr reichte der gemeinsame europäische Wille nicht. Eine vorsorgliche Planung für den militärischen Notfall wie den, auf den Frankreich jetzt reagiert, gab es nicht.

Die Lage hat Europa überholt

Es grenzt ans Lächerliche, wenn die Ausbildungsmission nun beschleunigt werden soll. Damit wird zum einen nicht das Problem behoben, dass die übrigen Europäer mit verschränkten Armen zuschauen, wie die Franzosen sich für die gemeinsamen Interessen ins Zeug legen. Und zum anderen dürfte kaum einer der malischen Soldaten Zeit für europäische Ausbilder haben, solange er in der Mitte und im Norden des Landes in Kämpfe mit Milizen verstrickt ist. Die Entwicklung hat die europäischen Pläne überholt.

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Heute muss die EU eher die Frage beantworten, ob sie es mit der gemeinsamen Sicherheitspolitik wirklich ernst meint. Das hieße, hier und jetzt Frankreich militärisch nicht allein zu lassen. Der ehemalige französische Außenminister Hubert Védrine hat kürzlich ein vernichtendes Urteil über die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gefällt, an der die EU seit zwei Jahrzehnten laboriert.

Wenn sich die Politiker der EU-Staaten nicht schnell auf verlässliche Grundsätze ihrer Zusammenarbeit einigen könnten, dann sei der europäische Anspruch dahin, eine Weltmacht zu werden. Dass Europa nun so rasch auf die Probe gestellt und die Sahel-Zone zum entscheidenden Test werden könnte, mag Védrine sich so nicht ausgemalt haben.

Krieg ist eine Option

Es spricht viel dafür, dass Europa bei dieser Prüfung versagt. Denn die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Mitgliedsländer der EU liegen immer noch zu weit auseinander. Beispiel Mali: Über die Gefahr sind die Europäer sich einig, aber nicht darüber, wie man ihr begegnet. Und auch nicht darüber, dass man sich in solchen Lagen auf alles, auch auf Krieg vorbereiten muss. Die europäische Sicherheitspolitik leidet unter Uneinigkeit, Unfähigkeit und Unwilligkeit. Die werden sich nicht so schnell verflüchtigen.

Dennoch müssen andere Europäer Paris nun militärisch helfen. Das ist eine Frage der Solidarität, aber auch eine der langfristigen Vernunft: Wer die Tür für eine wirkliche europäische Sicherheitspolitik offen halten will, der darf nicht riskieren, dass Paris die Nato rufen muss, wenn es militärisch nicht weiterkommen sollte. Das nämlich wäre der endgültige Beweis, dass die Europäer es einfach nicht können.

Aus Paris und Berlin

Frankreich kämpft einsam in Mali

Als sich der französische Staatspräsident für einen Militäreinsatz in Mali entschied, hat er sicherlich gehofft, dass die europäischen Partner ihm — wie bei der Intervention in Libyen — beistehen würden. Doch fünf Tage nach Beginn der Operation sind dafür keinerlei Anzeichen zu erkennen. „An wen sie sich in Europa auch wenden mögen, das einzige was die französischen Diplomaten und der Generalstab zu hören bekommen, sind höfliche Ausreden“, schreibt Le Figaro. „Deutschland, die einzige Militärmacht in Europa, deren Verteidigungshaushalt noch steigt, kann nicht einen einzigen Soldaten oder Panzer ohne eine Abstimmung im Bundestag entsenden. Und das ist eine Option, die Angela Merkel im Wahlkampf vermeiden will“, auch wenn sie ihm ihre „Unterstützung“ zusichert.

Der Berliner Tagesspiegel spricht von Heuchelei auf beiden Seiten und kritisiert die deutsche Position mit folgenden Worten:

Die Deutschen wollen sich und die Franzosen glauben machen, dass sie in dieser Sache eng an der Seite ihres engsten europäischen Verbündeten stehen. Freilich schließen sie Kampftruppen aus und begnügen sich mit etwas logistischer Unterstützung. Würde François Hollande den Affront ernst nehmen und nicht selber nur gaukeln, stünde die Achse Paris-Berlin vor einer Bewährungsprobe. So aber tun alle Seiten als ob. Nur die dschihadistischen Gruppen nicht. Die morden und wüten in dem achtgrößten Land Afrikas weiter.

Auch von den anderen europäischen Partnern sei nicht viel zu erwarten, schreibt Le Figaro:

Italien ist ebenfalls im Wahlkampf und das finanziell ausgelaugte Spanien scheint alles andere als begeistert. Die Länder Nordeuropas, wie die fleißigen NATO-Beitragszahler Niederlande und Dänemark, interessieren sich kaum für Afrika. In Osteuropa erinnert Polen daran, dass es noch Soldaten in Afghanistan stationiert hat... Weder die Dienstag im EU-Parlament begonnene Debatte noch das für Donnerstag in Brüssel einberufene Treffen der 27 EU-Außenminister wird irgendetwas an der malischen Front bewegen. Höchstens werden die Chefdiplomaten eine enttäuschende Bilanz der EU-Sahel-Strategie ziehen können, welche 2011 mit viel Tamtam mit dem Ziel gestartet wurde, Länder wie eben Mali zu stärken. Zwar hat Brüssel Mittel zur Verfügung gestellt, doch zur vorgesehene militärischen Hilfe kam es nie. Die fehlende Verstärkung seitens der EU erschwert dem Generalstab jegliche Prognose für die „zweite Phase“ nach den mehrtägigen Bombardierungen, mit denen der Vormarsch der Dschihadisten gestoppt werden konnte.

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