Eine Saisonarbeiterin bei der Erdbeerernte in Sornzing-Ablass in Sachsen

Die grüne Revolution hängt von Europa ab

Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik soll dieses Jahr abgestimmt werden und zu mehr Nachhaltigkeit und fairem Handel beitragen. Bedroht wird sie allerdings durch den Einfluss von Lobbygruppen der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie, meint der Gründer der Slow-Food-Bewegung und richtet einen Appell an die Bürger und die Europaabgeordneten.

Veröffentlicht am 30 Januar 2013 um 15:59
Eine Saisonarbeiterin bei der Erdbeerernte in Sornzing-Ablass in Sachsen

Die Hoffnung auf eine europäische Landwirtschaft, die umweltbewusster und damit auch gerechter ist, sowohl für die Steuerzahler als auch für Landwirte, die sich der Nachhaltigkeit verpflichten, wurde gerade herb enttäuscht.

In Brüssel wurde vorgestern in dem langen und komplexen Verfahren, das uns ab 2014 eine neue gemeinsame Agrarpolitik bescheren soll – das Instrument, das über die Zukunft unserer Lebensmittelversorgung entscheidet – eine entscheidende Etappe abgeschlossen.

Seit 50 Jahren verschlingt die gemeinsame Agrarpolitik beinahe die Hälfte des europäischen Haushalts. Eine Reform bietet uns die Gelegenheit, einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel vorzunehmen und eine weniger intensive Landwirtschaft zu fördern, in deren Rahmen die Landschaft, die Rohstoffe, die Landwirte und die Städter besser berücksichtigt werden.

Die aktuelle EU-Agrarpolitik unterstützt landwirtschaftliche Verfahren, die den Böden, der Umwelt, der Landschaft, dem Generationenwechsel und der Artenvielfalt schaden. Zudem ist sie zutiefst ungerecht gegenüber ärmeren Drittländern.

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Ungesunde Tradition der EU-Agrarpolitik

Die Europäer bauen also seit einem halben Jahrhundert, ohne es zu wissen, ein ungesundes Produktionssystem auf, für das sie letzten Endes doppelt bezahlen: Sie finanzieren nicht nur die Subventionen im Vorfeld, sondern müssen auch danach für die Behebung der Schäden an Gesundheit und Umwelt aufkommen.

Das Spektrum reicht von der Qualität des Wassers, der Luft und des Bodens bis hin zur Qualität der Lebensmittel. Die aktuelle gemeinsame Agrarpolitik ist eine Katastrophe.

Am 23. und 24. Januar stimmte der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung über die bereits vor mehr als einem Jahr vorgeschlagenen Änderungsanträge für die gemeinsame Agrarpolitik ab.

Er beschloss, die meisten Maßnahmen, die unser System der Lebensmittelerzeugung nachhaltiger gestalten sollte, einzufrieren, zu verwässern oder ganz einfach zu streichen.

Jetzt ist es an den Regierungen, die im Februar anlässlich des EU-Gipfels den neuen Haushalt festsetzen sollen (eine wahrscheinliche deutliche Kürzung wird die Lage nur verschlimmern) und vor allem am Parlament, das im März im Plenum noch die Möglichkeit hat, den holprigen Weg, den wir eingeschlagen haben, zu ebnen.

Grüne Täuschung

Besonders interessant sind die „Greening“ genannten Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit. Die meisten Hilfsgelder hängen von der Fläche der landwirtschaftlichen Betriebe ab.

Im Lauf der Jahre hat dieses System dazu geführt, dass die größten Höfe, die nicht unbedingt die umweltfreundlichsten sind, das meiste Geld erhalten: eine herrliche vom Kataster bestimmte Rente für die Lebensmittelindustrie.

Im Vergleich dazu wäre das Greening, wie es in der Reform vorgeschlagen wird, ein revolutionärer Ansatz: Es würde auch die Großbetriebe dazu verpflichten, nachhaltige Verfahren wie die Fruchtfolge, die Landschaftspflege und das Anlegen ökologischer Vorrangflächen einzusetzen.

Der Agrarausschuss forderte jedoch einen größeren Spielraum. Die Änderungsvorschläge wurden auseinandergenommen und so reduziert, dass das, was davon übrigbleibt, eigentlich zwecklos geworden ist.

Das Greening wurde in ein „Greenwashing“ verwandelt. Mit den neuen Vorschriften würden 82 Prozent der europäischen Betriebe von diesen bewährten Verfahren zugunsten der Umwelt befreit werden. Dazu kommt noch, dass Höfe, die nachhaltige Verfahren einsetzen, automatisch Anspruch auf die gleichen Subventionen hätten wie zertifizierte Bio-Betriebe.

Die Liste der Kritik ist lang. So gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, doppelte Zahlungen für ein und dieselbe Umweltmaßnahme zu erhalten. Ferner wurde die Forderung, 7 Prozent der Betriebsfläche in ökologische Vorrangflächen umzuwidmen, auf 3 Prozent gekürzt.

Undurchsichtiges Subventionsdickicht

Die negativen Elemente sind so zahlreich, dass man darüber die positiven Aspekte fast vergisst, wie die zusätzliche Hilfe für junge Landwirte, die Begrenzung der Gesamtsubventionen auf 300.000 Euro je Grundbesitzer (die Königin von England erhält 8 Millionen Euro pro Jahr, um nur einen sehr bekannten Namen zu nennen) oder die genauere Definition der Bezeichnung „aktiver Landwirt“, um zu vermeiden, dass auch Flughäfen und Golfclubs, die sicher keine Landwirtschaft betreiben, subventioniert werden.

Vorausgesetzt, dass der Reformvorschlag im Februar bei der Festsetzung des Haushalts nicht ganz einfach von der Tagesordnung gestrichen wird, hat das Europäische Parlament vom 11. bis zum 14. März die einzigartige Möglichkeit, das Ruder herumzureißen. Zum ersten Mal seit der Gründung der Europäischen Union kann das Parlament in diese Verhandlungen eingreifen.

Deshalb müssen wir auf unsere Abgeordneten Druck ausüben, damit sie nicht den Fehler begehen, das alte Paradigma, das nur den auszeichnet, der schlecht und nicht im Interesse der Allgemeinheit produziert, zu unterstützen. Es ist nicht gerecht, öffentliche Mittel einzusetzen, um das Interesse weniger Großunternehmer zu verteidigen.

So entstand „Go M.A.D“, (Go meet a deputy) eine europaweite Bewegung, der auch Slow Food angehört.

Mit diesem Instrument können wir unsere Abgeordneten kontaktieren und ihnen erklären, wie wichtig es ist, dass das Parlament sich im März nicht von den Lobbys der Lebensmittelindustrie beeinflussen lässt.

Die Städter können aktiv werden. Wir müssen teilnehmen, bevor es zu spät ist. Schließlich geht es um die Zukunft unserer Nahrungsmittelversorgung, unseres Lebensraums und unseres Wohlergehens.

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