“Die letzte Eskalationsstufe”

Im Atomstreit mit dem Iran will die EU will durch ein Öl-Embargo und das Einfrieren der Aktivität iranischer Banken in Europa Druck auf Teheran ausüben. Die europäische Presse hält diese Maßnahmen für gewagt.

Veröffentlicht am 24 Januar 2012 um 15:15

Le Figaro weist darauf hin, dass ein Boykott der iranischen Erdölexporte einer direkten Bedrohung der islamischen Republik Iran gleichkommt, deren Haushalt zu 50 Prozent auf diesen Einnahmen beruht: die französische Tageszeitung hält das europäische Embargo für “eine Wette”:

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Wer weiß, ob der Iran den Verlust des europäischen Marktes nicht durch Einnahmen aus anderen Ländern ausgleicht? Das Risiko, dass die Rohölpreise weiter steigen, ist begrenzt: die Wiederaufnahme der Erdölproduktion im Irak und in Libyen dürfte den Schock wettmachen, der zeitgleich mit einer Verlangsamung der Weltwirtschaft eintritt. Wird das ausreichen, um Teheran zu ernsthaften Diskussionen um das Atomprogramm zu bewegen? Daran darf gezweifelt werden. Noch braucht das Mullah-Regime nicht zwischen seinem Überleben und dem Rüstungsprogramm zu wählen. Es ist jedoch dringend notwendig, zu handeln – wie sollen wir sonst Israel, das sich von den iranischen Atomwaffen unmittelbar bedroht fühlt, von einem Angriff abhalten? Mit Sicherheit ist ein Erdöl-Embargo weniger wirksam als ein Krieg im Verborgenen, mit Sabotagen, Morden und Computerviren. Allerdings zeigt es der Öffentlichkeit, dass Europa weiterhin Druck auf den Iran ausübt.

Die EU hat ihre Sanktionskarte gegen den Iran ausgereizt, warnt die Münchner Süddeutsche Zeitung:

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Das ist die letzte Eskalationsstufe im Rahmen des bald ein Jahrzehnt andauernden Versuchs, den Konflikt friedlich beizulegen. Lässt sich Iran auch davon nicht beeindrucken, dann blieben eigentlich nur noch militärische Mittel. EU und auch die USA, die ja schon länger auf harte Sanktionen setzen, gehen also ein hohes Risiko ein. Aber wer Iran den Weg zur Atombombe verstellen will, der hat keine Alternative.

Der ehemalige britische Botschafter bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist da anderer Meinung. Im Daily Telegraph schreibt Peter Jenkins, dass Teheran das Recht haben müsste, Uran anzureichern – jedoch unter strengster Aufsicht:

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Der Westen steht mit seinem Wunsch, dem Iran das Anreichern von Uran zu untersagen, derzeit sozusagen allein da. Die meisten nicht-westlichen Länder würden es lieber sehen, wenn der Iran wie alle anderen Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags [NVV] behandelt würde: Er soll berechtigt sein, Uran anzureichern und im Gegenzug verstärkte Kontrollen durch IAEA-Inspektoren zulassen. Diese Lösung würde ich bevorzugen. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass die sich abzeichnende Krise durch ein Abkommen mit folgenden Bedingungen verhindert werden könnte: der Iran würde die stärksten Garantien der IAEA akzeptieren und im Gegenzug berechtigt sein, weiterhin Uran anzureichern. Darüber hinaus müsste der Iran von selbst Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen, Vertrauen im Hinblick darauf zu schaffen, dass er nicht beabsichtigt, Atomwaffen herzustellen. So lässt sich im Grunde der Vorschlag resümieren, den der Iran Großbritannien, Deutschland und Frankreich 2005 gemacht hat. Aus heutiger Sicht hätten wir gut daran getan, ihn zu akzeptieren. Mit dem Ziel, die Anreicherung von Uran durch den Iran völlig zum Stillstand zu bringen, haben wir das allerdings nicht getan. Dieses Ziel verfolgt der Westen seitdem weiter, obwohl der Iran immer wieder darauf bestanden hat, nicht wie eine “Vertragspartei zweiter Klasse” mit weniger Rechten als die anderen Vertragspartner des NVV behandelt zu werden , und obwohl das Land bewiesen hat, dass es lieber provoziert als nachgibt.

Möglicherweise ist es jedoch bereits zu spät, mein La Vanguardia aus Barcelona: “Weder Brüssel noch Washington glauben noch an das alte Lied Teherans, demzufolge die Aktivitäten im Land lediglich friedliche und zivile Ziele verfolgen.” Allerdings meint die katalanische Tageszeitung,

...die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahme sind unsicher: sie hängen weitgehend von der Unterstützung durch andere Länder wie China, Japan oder Indien ab, die ganz im Gegenteil die für Europa bestimmte Produktion [20 Prozent der iranischen Exporte] übernehmen könnten. Es besteht jedoch das Risiko eines “Bumerang-Effekts” der Sanktionen, die auf die europäische Wirtschaft zurückfallen könnten. Experten rechnen mit einem Anstieg der Erdölpreise […], und eben in den am stärksten von der Krise betroffenen Länder ist die Abhängigkeit vom Iran am größten – nach Griechenland wird Spanien das am meisten vom Boykott betroffene Land sein.

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