Die Selbstherabstufung der Politik

Nach der kollektiven Herabstufung von neun Ländern der Eurozone, darunter Frankreich, ist deutlich geworden, dass sich die EU-Politik mit ihrer Kombination von Rettungsfonds und Sparpolitik erschöpft hat. Zeit für Angela Merkel und ihre Partner, eine glaubwürdige Lösung zu finden.

Veröffentlicht am 16 Januar 2012 um 16:11

Am Ende einer kurzzeitig euphorischen Woche zog die Realität nach.

Einerseits war die Nachricht vom Freitag nicht wirklich überraschend. Die Herabstufung der französischen Bonität war ein vorhergesagter Schreck. Genau wie der Ausfall der Gespräche zwischen privaten Investoren und der griechischen Regierung über eine freiwillige Beteiligung an einer Schuldenabschreibung. Ein von Anfang an unrealistischer Vorschlag wurde abgelehnt. Wir sollten keine Überraschung heucheln.

Und doch haben beide Geschehnisse ihre Wichtigkeit, denn sie zeigen uns den Mechanismus hinter den Ereignissen, die sich dieses Jahr wahrscheinlich entfalten werden. Die Eurozone steckt in einer Spirale von Herabstufungen, rückläufigen Wirtschaftsleistungen, steigenden Schulden und erneuten Herabstufungen. Eine Rezession hat gerade begonnen. Griechenland wird wahrscheinlich die meisten seiner Schulden nicht zurückzahlen und muss vielleicht sogar aus der Eurozone austreten. Wenn das passiert, wird sofort Portugal im Rampenlicht stehen und die nächste ansteckende Runde von Herabstufungen wird beginnen.

Europas unzureichender Rettungsfonds, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, sieht nun ebenfalls einer Herabstufung entgegen, weil ihr Rating auf dem ihrer Mitglieder beruht So wie der EFSF aufgebaut ist, bedeutet das also eine Reduzierung seiner effektiven Kapazität zur Kreditvergabe. Obwohl die Herabstufung Frankreichs keine Überraschung war, haben die Mitgliedsstaaten der Eurozone keinen “Plan B”, nur ein paar vorläufige Notlösungen. Sie könnten etwa beschließen, den Rettungsschirm und seinen endgültigen Nachfolger gleichzeitig laufen zu lassen. Sie könnten letzteren auch mit einer vollen, sofortigen Befähigung zur Kapitalverteilung ausstatten. Doch das wird in einem ohnehin schlechten Jahr Lücken in die Staatshaushalte reißen.

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Haushaltsabkommen bestenfalls eine irrelevante Ablenkung

Durch die Herabstufung von Frankreich und Österreich, aber nicht Deutschland und den Niederlanden, ist es Standard & Poor’s auch gelungen, wirtschaftsgeographische Erwartungen für eine eventuelle Trennung zu bilden. Eine Herabstufung aller Länder mit Top-Bonität wäre politisch viel leichter zu handhaben gewesen. Deutschland ist nun als einziges großes Land mit AAA-Rating übrig geblieben. Diese Entscheidung wird es für Deutschland noch schwerer machen, die Eurobonds zu akzeptieren. Das Rating als Keil zwischen Frankreich und Deutschland wird die Beziehung noch unausgeglichener machen.

Bei der Nachricht vom Freitag wurde man auch unmittelbar daran erinnert, dass die Krise und ihre Lösungsansätze in parallelen Welten ablaufen. Angela Merkels Kommentar, die EU solle nun schnell das Fiskalabkommen abschließen, ist ein typisches Beispiel für diese Entfremdung. Egal was passiert, ihre Antwort lautet “Haushaltsdisziplin”. In der Reaktion auf die Krise wird die übergreifende Rolle des Privatsektors im internen Ungleichgewicht innerhalb der Eurozone nicht erkannt.

Der Abschluss des Haushaltsabkommens – heute die oberste Priorität der EU-Politik – ist bestenfalls eine irrelevante Ablenkung. Höchstwahrscheinlich wird es den Trend in Richtung einer prozyklischen Sparpolitik verstärken, wie wir es in Griechenland erlebt haben. Ich rechne auch mit einer Prise behördlicher Vergeltungsmaßnahmen der EU gegen die Ratingagenturen. Ob berechtigt oder nicht, auch das ist eine Ablenkung.

Vor einiger Zeit schrieb ich, der Dezembergipfel sei die letzte Chance für einen umfassenden Neustart des Systems. Damals war eine große Abmachung mit einem gemeinsamen Haushalt für die Eurozone, mit Eurobonds, einem politischen System für Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone und, in diesem Kontext, auch mit strengen nationalen Haushaltsmaßnahmen ja noch vorstellbar. Angela Merkel und ihre Gefolgsleute in Berlin und Brüssel feierten den Ausgang des Gipfels vom 8. und 9. Dezember als Sieg, weil er keinen der oben genannten Punkte enthielt – mit Ausnahme der Komponente über den Haushaltsausgleich.

Einziger Ausweg: Gesamteuropäische Steuerbehörde

Jetzt hat sie alles, was sie wollte, aber das System löst sich trotzdem weiter auf. Mit jeder neuen Spiraldrehung steigen die finanziellen und politischen Kosten für eine effiziente Lösung. Wir haben den Punkt überschritten, an dem die Wähler und ihre Vertreter bereit gewesen wären, die immer steigenden Kosten zur Instandsetzung des Systems zu treffen. Letzte Woche erklärten ein paar erfahrene CDU-Abgeordnete, die ich vorher als gemäßigte Stimmen eingestuft hatte, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei gar keine so große Sache. Erwartungen ändern sich schnell, und plötzlich wird auch die Vorstellung von einem brutalen Ende leichter akzeptiert.

Und nein, die riesige Liquiditätsspritze der Europäischen Zentralbank wird das Problem auch nicht lösen. Ich will die Bedeutung dieser Entscheidung nicht unterbewerten. Die EZB hat eine Kreditkrise verhindert und verdient dafür gebührende Anerkennung. Dass es nun wieder unbegrenztes, langfristiges Geld gibt, könnte sich sogar geringfügig auf die Bereitschaft der Banken auswirken, an Anleihenauktionen teilzunehmen. Wenn wir Glück haben, bringt uns das durch den intensiven Schuldenüberschlag im Frühjahr. Doch ein Liquiditätsregen kann nicht das zugrundeliegende Problem der mangelnden makroökonomischen Anpassungsmaßnahmen behandeln.

Sogar Wirtschaftsreformen, so nötig sie aus anderen Gründen sein mögen, können dieses Problem nicht lösen. Das ist eine weitere europäische Illusion. Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem für ein effektives Krisenmanagement eine starke, zentrale Haushaltsbehörde erforderlich wäre, die dazu bemächtigt wäre, in der ganzen Eurozone Steuern zu erheben und Mittel zuzuteilen. Das wird natürlich nicht passieren.

Das ist die endgültige Folge der Herabstufung der Ratings in der letzten Woche. Wir haben den Punkt überschritten, an dem eine technische Reparatur noch funktionieren würde. Der Werkzeugkasten ist erschöpft.

EINSPRUCH

Anti-demokratische Einmischung

Angesichts des “ebenso frechen wie widersprüchlichen Rundumschlags”, mit dem S&P neun Euro-Länder herabstufte, ist die Süddeutsche Zeitung einigermaßen empört: “Ein Monopolist droht, den Stab über der Politik demokratisch gewählter Regierungen zu brechen.” Die Politik sollte die Rating-Agenturen für ihre Urteile haftbar machen, findet das Münchner Blatt, und zwar aus folgenden Gründen:

Die Agentur startete den Rundumschlag von sich aus, sozusagen ungefragt - und rechtzeitig vor dem nächsten EU-Gipfel, der in zwei Wochen in Brüssel stattfindet. Macht, was wir sagen, ihr habt keine Wahl - so lautet die klare Botschaft.

Die Agentur schreckt dabei nicht davor zurück, Länder des Euro-Klubs auf eine Höhe mit Entwicklungsländern zu stellen. Wer Italien oder Spanien Geld leiht, geht nach ihrer Ansicht das gleiche Risiko ein, als würde er sein Geld nach Indien, Kolumbien oder auf die Bahamas schicken. Das ist absurd, das ist lächerlich. [...]

Richtig gefährlich ist etwas ganz anderes: Standard & Poor's hat [...] ganz massiv den Versuch gestartet, direkt in die europäische Politik einzugreifen. Das ist nicht Aufgabe einer Rating-Agentur. Die Amerikaner drängen die Kontinentaleuropäer immer offener, die angelsächsischen Grundsätze ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu übernehmen. Das heißt Geld drucken, wann immer nötig, etwa um Banken zu retten oder um Konjunkturprogramme aufzulegen. Wer das nicht macht, bekommt dann schlechte Noten.

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