Foto: Underlord/Flickr

Die "weiße Weihnacht" der Lega Nord

Das Örtchen Coccaglio in der Provinz Brescia will sich in diesem Jahr eine "White Christmas", eine weiße Weihnacht der besonderen Art gönnen. So heißt nämlich eine Aktion der lokalen Polizei gegen illegale Einwanderer, die die Lega Nord für die Feiertage zum Jahresende organisiert. Bis zum 25. Dezember werden die Polizisten bei 450 Migranten aus Nicht-EU-Ländern per Hausbesuch die Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren.

Veröffentlicht am 24 November 2009 um 15:19
Foto: Underlord/Flickr

Im vergangenen Jahr bedeutete "weiße Weihnacht" für John ein Gospelkonzert in der Pfarrkirche Santa Maria Nascente. Er erinnert sich an die langen Probenabende in der Kirche mit seinen Freunden. Sie kommen wie er aus Ghana und leben im historischen Stadtkern. Oder aber aus Senegal, die Einzigen, die in diesem verschlafenen Nest aus Einfamilienhäusern und Villen in Sozialwohnungen leben. "Letztes Jahr war Weihnachten auch für mich ein Fest", sagt John. "Ich bin Christ. Wir hatten das Konzert organisiert, weil wir wussten, dass den Italienern diese Musik nicht so vertraut ist. Sie kennen die nur aus dem Fernsehen. In diesem Jahr heißt es, dass wir bis Weihnachten verschwunden sein sollen."

Coccaglio, ein kleines Nest im Umkreis von Brescia (in Norditalien) hat mit seiner Operation "White Christmas" die Hatz auf illegale Einwanderer eröffnet. John und seine Freunde stellen heute ein Fünftel der Bevölkerung vor Ort. Im Rathaus ist eine Grafik ausgehängt. Die Kurve geht steil nach oben und zeigt den Zuwachs der Emigranten der letzten zehn Jahre. April 1998, 177 Ausländer. April 2009, 1583, bei etwas weniger als 7000 Einwohnern. Es wurde von einer Einwanderungswelle überrumpelt, dieses alte Städtchen mit seinem historischen Stadtkern, in dem die Zeit still zu stehen scheint, mit seiner romanischen und mit Lichterketten geschmückten Festung, mit seiner alten Pfarrkirche, in der von Zeit zu Zeit noch eine Messe zelebriert wird, mit seinem Luca-Marenzio-Denkmal zu Ehren des Madrigral- und Kirchenkomponisten des 16. Jahrhunderts, auf dem gleichnamigen Platz, der das Örtchen teilt.

Die Verwaltung hüllt sich in Schweigen

Überall im Ort wird diskutiert und kommentiert, doch die Kommunalverwaltung hüllt sich in Schweigen. Umberto Bossi, Chef der Lega Nord [die Rechtspopulisten, die der Regierungskoalition in Rom angehören] sagt, dass "die Kommunalverwaltung sich strikt ans Gesetzt hält. Natürlich hätte man einen anderen Namen als 'White Christmas' für die Aktion wählen können. Sie hätte auch 'Weihnachten. Papiere bitte' heißen können." Der Bürgermeister Franco Claretti und sein Stadtrat Claudio Abiendi, Dezernent für Sicherheit, "Lega-Mitglieder seit Parteigründung", ziehen es vor, sich jeden Kommentars zu enthalten. Für den Beauftragten für Soziales im Stadtrat, Agostino Pedrali, ist die Sache einfach: "Seit wir den Bürgermeister stellen, seit Juni, haben wir mehr für Ausländer als für Italiener ausgegeben: 89.000 Euro für die Einen und 43.000 für die Anderen." "Schlichte Propaganda", erwidert Claudio Rossi an der Spitze der links-liberalen Opposition. "Von 150 zu vergebenen Wohnungen wurden nur zwei an Ausländer vergeben."

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Um jemanden zu finden, der offen redet, muss man nur ins May Day gehen, einer Kneipe mit Tabakladen am Ortsrand. Im Ort nennt man sie "die Kneipe der Kosovaren", doch wird dort der Grappa von Andrea Cavallini, einem "waschechten Bresciani" und dessen Frau serviert. Für seine Kunden aus Italien, Albanien, Mazedonien und dem Kosovo schlägt er sich mit der Espressomaschine herum. "Alle arbeiten hier. Auf dem Bau oder woanders." Andrea, Freund und ein bisschen Vater all dieser jungen Slawen, hat ihnen seine Kneipe verkauft, den Tabakladen aber behalten. "Diese Aktion hat mir ganz und gar nicht gefallen. Fürchterliche Methoden. Man schickt dir einen Wisch und wenn du nicht antwortest, kommt man bei dir vorbei, um zu prüfen, ob du nicht vielleicht einen Ausländer versteckst. Wie zu Zeiten Mussolinis. Oder wie bei Stalin. Wollen wir dahin zurück?" Fragt man die jungen Kosovaren, was sie von der Aktion 'White Christmas' halten, hören sie mit dem Tischfussballspiel auf und ihr Lächeln erstarrt.

Arbeitslos - wie soll's dann weitergehen?

"Die Kontrollen sind nicht das Problem, und auch nicht der Name der Aktion", sagt Mergan. "Das Problem ist der Zeitpunkt. Im Moment ist die Lage nämlich so: Verliert man seinen Job, kann man seine Papiere nicht mehr verlängern lassen. Man kann einen Ausnahmeantrag stellen, aber das auch nur einmal. Und was dann? Was ist mit unseren Frauen? Und unseren Kindern, die hier in Coccaglio geboren wurden?" Mergan ist 38. Vor elf Jahren ist er in die Provinz Brescia gekommen. Er hat geheiratet und ist Vater von vier Jungen. Seine Geschichte ist typisch für zahlreiche Ausländer, die auf den Baustellen von Brescia und Bergamo arbeiten. Oder beim Möbelhersteller Scab, oder bei Bialetti, dem berühmten Fabrikanten der Espressokanne, oder einem der zig kleinen Maschinenbauer. "Ich bin seit Monaten arbeitslos", sagt Mergan. "Die Italiener geben mir keine Arbeit mehr. Wenn das so weitergeht und die dann plötzlich bei mir zu Hause auftauchen, um mich zu kontrollieren, was dann?"

DENUNZIATION

Liefern Sie Ihre Illegalen

"Wer Informationen über den illegalen Aufenthalt von Ausländern hat, wird gebeten, diese bei den Behörden zu melden." Der Text dieser Anzeige erinnert auf beunruhigende Weise an die Zeit des Faschismus. Sie wurde vor kurzem von der Kommunalverhaltung von San Martino dall'Argine, unweit von Mantua, veröffentlicht. Nach der Polemik um die Aktion 'Weiße Weihnacht', versucht der Bürgermeister Kritik abzuweisen und erklärt in La Repubblica: "Unser Ziel ist es die betroffenen Menschen über die neue Rechtslage zu informieren": Diese gilt seit dem Dekret zur Sicherheit des Innenministers Roberto Maroni (Lega Nord). Die Opposition sieht die Sache anders: "Eine Aufforderung zur Denunziation." Sie weist ebenfalls darauf hin, dass das Örtchen dazu noch die kleinste Ausländerrate in der Region aufweist.

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