David Cameron, Václav Klaus und Lech Kaczyński (Social Enterprise Coalition, WEF, UN)

Drei Männer gegen einen Vertrag

Der von den Iren am 2. Oktober angenommene Vertrag von Lissabon muss noch das Zögern mehrerer europäischer Funktionäre bezwingen, um tatsächlich in Kraft treten zu können. Doch Václav Klaus, Lech Kaczyński und David Cameron könnten seinen Preis durchaus in die Höhe treiben, stellt die europäische Presse fest.

Veröffentlicht am 5 Oktober 2009
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David Cameron, Václav Klaus und Lech Kaczyński (Social Enterprise Coalition, WEF, UN)

Der Vertrag von Lissabon wurde von den Iren mit 67% der Stimmen angenommen. Doch seine Umsetzung unterliegt noch dem Willen dreier Männer: des tschechischen Präsidenten Václav Klaus, seines polnischen Amtskollegen Lech Kaczyński und des Parteivorsitzenden der britischen Konservativen – und wahrscheinlich nächsten Premierministers – David Cameron.

In Prag titelte die Lidové Noviny: "Klaus blockiert Europa". Er weigert sich seit mehreren Monaten, den Vertrag zu ratifizieren und wartet nun auf das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts, bevor er eine endgültige Entscheidung trifft. "Das ist ein Siegesmoment, auf den Klaus schon lange wartete", ironisiert Zbyněk Petráček in der Lidové Noviny. "Das Schicksal eines Vertrags, der 500 Millionen Europäer betrifft, hängt jetzt von seiner Entscheidung ab. Die ganze Welt, von New York bis Moskau, wird sich seine Argumente anhören. Er wird nicht mehr als exzentrischer Vertreter eines kleinen Landes sprechen, oder als Gast einer Gruppe, die den Klimawandel leugnet. Jetzt werden sie ihn ernst nehmen."

Angesichts der Unbeugsamkeit des tschechischen Präsidenten "ist die Strategie Europas klar: Keinen Druck ausüben und nicht das Land bedrohen, sondern Václav Klaus isolieren und das Bild eines Präsidenten entstehen lassen, der den Willen seines Parlaments ignoriert und die Position seines eigenen Staates innerhalb Europas bedroht", ist auf Aktualne.cz zu lesen.

Brüssel will Klaus isolieren

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"Es geht darum, Klaus isoliert auf der einen Seite und ganz Europa auf der anderen stehen zu lassen", erklärt ein der EU-Kommission nahe stehender Diplomat, der von der tschechischen Nachrichtenwebsite zitiert wird. Die Diskussionen werden jetzt mit dem Ministerpräsident des Übergangskabinetts Jan Fischer geführt. Letzterer ist überzeugt, dass sich Klaus als Staatsmann verhalten und noch vor Ende des Jahres den Vertrag unterzeichnen wird. "Ein vorsichtiger Mann würde da keine Wette eingehen", so die Lidové Noviny.

Nach Angaben von Respekt wird das tschechische Verfassungsgericht Mitte Oktober entscheiden, ob es ein zweites Mal die Berufungsklage untersucht, die eine Gruppe von Senatoren aus Klaus' Umfeld eingelegt hat. Das Prager Wochenmagazin ist der Meinung, es werde dies "sicherlich" tun und die Richter könnten ihr Urteil bis Ende November oder Anfang Dezember abgeben."Das ganze Verfahren dürfte bis zum europäischen Gipfel am 10. und 11. Dezember abgeschlossen sein", versichert Respekt und betont, dass Václav Klaus noch Zeit hat, vor dem 10. Dezember zu unterschreiben.

Polnischer Präsident zögert noch

In Warschau hatte Lech Kaczyński zu verstehen gegeben, er werde den Vertrag von Lissabon ratifizieren, falls die Iren den Text beim zweiten Referendum annähmen. Doch heute ist das nicht mehr so sicher. Die Rzeczpospolita enthüllt, dass "der Präsident immer noch zögert und Garantien verlangt, damit Polen dem Beispiel Deutschlands folgen und die Rolle seines Parlaments in europäischen Belangen verstärken kann". Letzten Monat verabschiedete das deutsche Parlament auf Antrag des Verfassungsgerichts ein Gesetz, das seine Mittel zur Kontrolle derjenigen Entschlüsse verstärkt, die eine Übertragung der Staatssouveränität mit sich ziehen. Die konservative Tageszeitung fügt hinzu, dass Kaczyński "die Ratifizierung auch hinausschieben könne, um für den polnischen Kandidaten einen wichtigen Posten innerhalb der neuen EU-Kommission zu bekommen", die demnächst ernannt werden soll.

Trotz ihrer Absicht, die Interessen ihres jeweiligen Landes zu schützen, würden wohl weder Václav Klaus noch Lech Kaczyński den Vertrag von Lissabon blockieren, meint Andrzej Talaga in der Dziennik Gazeta Prawna. "Die schwächsten Länder, wie Polen und die Tschechische Republik, brauchen den Vertrag, denn er bildet einen Schutzschirm, unter welchem sie sich stärken und die deutsch-französische Führung der Union in Frage stellen können", schreibt er in seinem Leitartikel. Die "Robin-Hood-Taktik" ihrer Präsidenten sei beiden Ländern abträglich.

Camerons Dilemma mit dem Referendum

In London ist David Cameron noch nicht an der Macht. Doch der Favorit der Wahlen im kommenden Frühjahr verspricht schon lange ein Referendum über den Vertrag von Lissabon. Ein Versprechen, das ihn in Verlegenheit bringen könnte. "Die unheilbringende Frage Europas plagt die konservative Partei jetzt wieder", bemerkt The Independentnach dem Aufruf des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson, die Briten zu dem Vertrag und sogar zu ihrer Zugehörigkeit zur EU zu befragen.

Nach Angaben des Daily Telegraph könnte ein David Cameron an der Macht "eher eine Volksbefragung über bestimmte Rechte veranstalten, die Großbritannien aufgeben musste, als eine Abstimmung über die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags; das wäre dann ein Urteil über die Zukunft der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU."

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