Standbild aus "Porno Melodrama", einer französisch-litauischen Gemeinschaftsproduktion von Romas Zabarauskas (2011).

Düsteres Drehbuch für europäischen Film

Sieben Oscars und acht Goldene Palmen in 10 Jahren: das MEDIA-Programm zur Unterstützung der europäischen Filmproduktion hat eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Jetzt aber sollen Mittel gekürzt werden – zur Bestürzung von Filmemachern, die per Petition protestieren.

Veröffentlicht am 8 März 2011 um 13:58
Standbild aus "Porno Melodrama", einer französisch-litauischen Gemeinschaftsproduktion von Romas Zabarauskas (2011).

Die Möglichkeit, dass Brüssel die öffentlichen Zuschüsse für audiovisuellen Produktion aus dem MEDIA-Programm beschränken oder gar ganz abschaffen könnte, hat die heilige Kuh des Kinos im alten Europa in Kriegsstellung gebracht. Die Unterzeichnerliste eines Protestmanifests der Filmschaffenden gegen die Sparpläne der Europäischen Kommission für den Kinosektor ist endlos lang. „Wir lehnen die geplante Abschaffung des Programms MEDIA und auch seine Zusammenlegung mit anderen, breiter aufgestellten Programmen ab […]. Wir appellieren an den Präsidenten der Europäischen Kommission mit der Bitte, so bald wie möglich eine Delegation von europäischen Filmschaffenden zu empfangen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Trotzdem gibt es laut Quellen aus der Europäischen Kommission Widerspruch gegen eine Abschaffung des Programms: „Das Programm MEDIA ist nicht in Gefahr. Dieses Programm ist sogar sehr erfolgreich“, sagte Dennis Abbot, Sprecher der für Kultur zuständigen Kommissarin Androulla Vassiliou. Klar ist hingegen, dass dem Programm einige Veränderungen bevorstehen, die einerseits auf die Anpassung des Sektors an den technologischen Wandel zurückzuführen sind und andererseits der unausweichlichen Sparpolitik der EU-Institutionen geschuldet sind. Das Programm MEDIA wurde 1991 ins Leben gerufen und wird bis zum Jahre 2013, wenn die Sparpläne der Kommission greifen, die europäische Filmindustrie mit ungefähr 1,7 Milliarden Euro gefördert haben.

Gegenwärtig feiert das Programm seinen 20-jährigen Geburtstag. Von Filmen wie „Das Leben ist schön“ aus dem Jahr 1999 über „The King's Speech“, hat das Programm in unterschiedlichen Produktionsschritten bei sieben europäischen Filmen mitgewirkt, die bei der Oscar- Verleihung in Hollywood erfolgreich waren. Das gleiche gilt für acht Filme, die in den letzten zehn Jahren mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet worden sind.

Filmschätze, die man nicht hätte zeigen können

Das MEDIA-Programm wurde mit dem Ziel gegründet, europäische Filme bei der Vermarktung und Verbreitung zu unterstützen. Des Weiteren gibt es auch Zuschüsse für die Ausbildung von Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseuren oder für die Organisation von Filmfestivals. „Durch die Unterstützung unabhängiger Verleihe durch das Programm, konnten europäische Zuschauer Filme aus anderen Ländern im Kino sehen“, betont der Sprecher. Es ist gut möglich, dass MEDIA in ein anderes Programm zur Förderung der europäischen Kreativwirtschaft überführt wird. Dies birgt aber die Gefahr, dass Mittel, die jetzt ganz eindeutig für die Kinoförderung bereitstehen, in einem Programm zur Förderung des Kreativsektors in Europa an andere Projekte vergeben werden. Allein der Gedanke an Kürzungen der Gemeinschaftsmittel für das Kino lässt in Spanien einige aus der Branche erzittern.

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Was würde die Abschaffung des Programms MEDIA bedeuten? „Nun, jemand könnte die Gewinnerfilme in Cannes oder Berlin kaufen, zum Beispiel“, sagt Josetxo Moreno von der Verleih- und Vorführfirma Golem. „Wir haben dem rumänischen Film Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage zum Gewinn der Goldenen Palme verholfen. Und darüber konnten dann in Spanien weitere Filmschätze aus diesem Land in Spanien verbreitet werden, die man ohne das Programm eben nicht hätte zeigen können.“

Für den Direktor des Filmfestivals von Gijón, José Luis Cienfuegos, steht fest, dass „viele Filmwettbewerbe ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren würden und darüber hinaus würde ein Programm verschwinden, dass so maßgeblich zum Entstehen eines europäischen Bewusstseins und des Zusammengehörigkeitsgefühls des audiovisuellen Sektors beigetragen hat.“ Ein Festival wie das von Gijón „erhält die Direktsubventionen mit der Bedingung, das 70 Prozent der dort gezeigten Filme eben aus Europa stammen“, sagt der Festivalleiter, aber wichtiger noch als diese Quote oder das Geld, sei die Tatsache, „dass man auch bei kleinen Budgets merkt, dass ohne diesen Zuschuss das europäische Bewusstsein fehlen würde.“

Enrique González Macho, der Vertreter des Filmverleihs Alta Films, beschreibt seine Besorgnis folgendermaßen: „Wir würden dann in Spanien bestimme Filme aus anderen Filmtraditionen gar nicht mehr sehen können. Das Programm MEDIA hat dazu beigetragen, dass ein europäisches Filmangebot gefördert wird und dass solche Filme eben auch ihr entsprechendes Publikum finden konnten.“ Und er geht noch weiter: „Die Fernsehsender kaufen keine europäischen Produktionen und die Leute laden sich ununterbrochen Filme aus dem Netz herunter.... Das Programm MEDIA ist sehr erfolgreich, man überprüft jegliche Förderung. Es hilft nicht nur, einen bestimmten Film zu kaufen, sondern auch dabei, diesen dann in die Kinos zu bringen. Wenn sich nun das Geschäftsmodell ändert und MEDIA ganz verschwände, dann wäre das das Ende des europäischen Films, denn dieses Programm hat eine Multiplikatorenwirkung bei den Zuschauern.“

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

REAKTIONEN

Filmbranche verunsichert, Brüssel wiegelt ab

„Will Europa sein Kino fertigmachen?“, fragt Les Inrockuptiblesals Reaktion auf die Drohung der EU-Kommission, das Filmförderungsprogramm MEDIA in eine Art „Gemeinschafts-Dingsbums“ umzuändern. Dabei, so notiert das Blatt, „ruiniert das Programm die Kassen der EU nicht und hat seine Effizienz bewiesen“, wie Claude Eirc Poiroux, Direktor des Kinonetzwerks Europa Cinemas, mit Zahlen belegt: Die Kinosäle, die gefördert werden, zeigten 2010 38 Prozent europäische Filme aus nicht nationaler Produktion, obwohl der Marktanteil insgesamt europaweit bei nur 8 bis 10 Prozent liege. „Und derweil geht das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa langsam aber sicher in die Binsen“, kommentiert das französische Kulturmagazin. „Nein, Europa gibt seine Filmschaffenden nicht auf“, meint in Libération in einem Gastkommentar EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou. Ihr zufolge seien die Befürchtungen einer Streichung des MEDIA-Programms „unbegründet“ und „ungerechtfertigt“. „Die mögliche Diversifizierung der Finanzierungsquellen bedeutet in keinerlei Weise, dass das Programm als solches in Frage gestellt wird“, erklärt die EU-Kommissarin und unterstreicht, dass sie „einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten“ beginnen werde.

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