Interview Nach den Europawahlen Abonnierende

Edouard Gaudot: „Grüne Politik ist zu einem Angstfaktor geworden“

In diesem Interview geht der Historiker und Politiker, der den Grünen nahesteht, auf die Gründe für die Niederlage der Grünen in mehreren Ländern bei der Europawahl ein und zeichnet Perspektiven für eine Beibehaltung der Ziele des Europäischen Grünen Deals, obwohl das Parlament weiter rechts steht als das vorherige.

Veröffentlicht am 20 Juni 2024 um 11:15
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Edouard Gaudot ist Historiker und Politologe. Er ist Dozent, Berater und Schriftsteller, arbeitete am Europakolleg in Natolin (Polen) und im Europäischen Parlament und ist Mitbegründer der Zeitschrift Green European Journal. Im Jahr 2022 veröffentlichte er „Les 7 Piliers de la Cité“ im französischen Verlag Plon.

Voxeurop: Wie lässt sich das enttäuschende Ergebnis der grünen Parteien in mehreren europäischen Ländern, insbesondere in Frankreich, Deutschland und Belgien, erklären?

Edouard Gaudot : Wenn man die Wahlergebnisse der Grünen auf der Karte Europas betrachtet, erlebt man eigentlich ausgezeichnete Überraschungen: Grüne wurden an Orten gewählt, an denen sie entweder gar nicht oder nur sehr schwach vertreten waren – beispielsweise in Kroatien, in Slowenien und Rumänien. Auch wenn es sich um kleine Länder handelt und das daher keineswegs so bedeutsam ist, wie [das Scheitern der Grünen] in den großen Ländern, das sich massiv auf die Fraktion im Europäischen Parlament auswirkt.

Die Ergebnisse fallen in zwei großen Ländern schlecht aus, wo sie bei der letzten Wahl noch gut waren. Man muss auch berücksichtigen, dass die Grünen in Deutschland und Belgien an der Macht sind. Wenn man Verantwortung trägt, zahlt man immer den Preis für die Entscheidungen, die man trifft, unabhängig von der Regierung, der politischen Farbe und den Umständen. Insbesondere in Deutschland hat das Ansehen der regierenden Koalition stark unter den Widersprüchen, denen sie sich von Anfang an gegenüber sah, und ihrer Machtlosigkeit zu leiden. Für Belgien gilt das Gleiche: Wir haben es quasi mit einer völligen Verflüchtigung zu tun, einer Unfähigkeit, die Macht zu übernehmen.

Die Grünen zahlen auch einen hohen Preis für die Ablehnung der umweltfreundlichen und transformativen Politik, die in den letzten fünf Jahren betrieben wurde. Und das aus zwei Gründen: Erstens handelt es sich um eine Politik, die nicht immer außerhalb ihrer technischen Realität geplant wurde und deren soziale Komponente man vergessen hat. Man hat zwar einen Fonds eingerichtet, um die Bergleute zu unterstützen, die in Polen oder Rumänien ihre Arbeit verlieren werden, aber nicht, um all diese Menschen zu unterstützen, die auf veralteten Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren sitzen bleiben werden, die ein wichtiges Kapital für sie darstellen und manchmal absolut unentbehrlich für ihre Arbeit sind. Dies zieht entweder Kosten nach sich oder löst Zukunftsängste aus.

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