Nicht nur in Katalonien und Schottland sind die Separatisten im Aufwind. Der Sieg der flämischen Nationalisten von Bart de Wever bei den Kommunalwahlen am 14. Oktober „ist mehr als eine Warnung an Belgien: Es ist eine Warnung an ganz Europa“, schreibt La Tribune. Die französische Wirtschaftszeitung meint weiter:

Es wäre naiv zu glauben, dass der Aufwind dieser Bewegungen in den vergangenen Monaten nichts mit den Turbulenzen Europas in den letzten zweieinhalb Jahren zu tun hat. Die Krise ist zwar nicht die Ursache des Problems, kann aber unter Umständen als Brandbeschleuniger dienen. In den Ländern, in denen die nationale Einheit problematisch ist ... stellt sich mehr als anderswo die Frage, wer für die ganzen Schulden aufkommen soll und wer dafür Anstrengungen zu unternehmen hat. Anders gesagt: Es geht bei diesem Kampf nicht um die Sparpolitik an sich, sondern vielmehr darum, sie bei sich selbst zu vermeiden und sie stattdessen auf andere abzuwälzen.

So hätten die Flamen den Eindruck, dass die Finanzprobleme vom schlechten Haushalten der Zentralregierung herrührten, berichtet De Standaard. In diesem Zusammenhang zitiert das flämische Blatt Louis De Vos von der Universität Leuven:

Wenn es so aussieht, als würde auf höchster Ebene [der Zentralregierung] nichts funktionieren — die bekannte Kritik von De Wever, dass die „Steuer-Regierung“ von Di Rupo nicht von einer Mehrheit der Flamen getragen wird — dann werden auch die Rufe nach mehr Autonomie lauter.

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Allerdings, notiert die Financial Times Deutschland, auch wenn das Streben nach Unabhängigkeit „nachvollziehbar“ sei, könne es „keine Antwort auf die zentralen Probleme Europas sein.“ Denn, so meint das deutsche Wirtschaftsblatt:

Nur die Überwindung von Grenzen und Nationaldenken hat Europa Wohlstand und Sicherheit gebracht. Das Gleiche gilt für das Bewältigen von Banken-, Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Kleinstaaten wie Irland überforderten. Nur eine große Gemeinschaft kann bei Problemen helfen, die ein einzelner Staat nicht allein bewältigen würde. Das sehen auch die Separatisten: Die Katalanen etwa möchten sich zwar von Spanien lossagen, klopfen aber gleichzeitig in Madrid um Hilfe an. Doch man kann nicht einerseits Erfolge und Reichtümer für sich reklamieren und zugleich alle Probleme und Lasten an den Zentralstaat oder die EU wegdelegieren.

Europa sollte seine regionale Vielfalt bewahren - so wie es etwa im deutschen Föderalismus möglich ist. Dafür aber muss man nicht jedes Mal einen eigenen Staat ausrufen. Das würde die Kapazitäten zur Problemlösung in Europa auf Dauer sprengen.

Andere Länder hingegen, so stellt La Tribune fest, schwämmen gegen den Strom. Die Zeitung nennt als Beispiel Italien, das gerade eine „Rezentralisierung erlebt ..., durch die der Zentralstaat auf Kosten eines fragilen Dezentralisierungsprozesses wieder gestärkt wird.“

Die Regierung profitiert von der schwachen Lega Nord, die noch unter Skandalen und ihrer Beteiligung an der Berlusconi-Regierung leidet. Mario Monti hat also beschlossen, sich an das Dezentralisierungsgesetz heranzumachen. Er will dem Zentralstaat mehr Befugnisse zusprechen, um Verschwendung und Korruption zu verhindern, aber auch um die Sparpolitik und Neuverschuldung besser kontrollieren zu können. [...] Durch die Schuldenkrise haben sowohl die regionalen Regierungen als auch die große separatistische Partei an Glaubwürdigkeit verloren.

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