Zu prüfende Aussage: Laut einigen der bekanntesten italienischen Medien dienen die nachhaltigen Anleihen von Eni ausschließlich der Finanzierung von Projekten, die ESG-Kriterien (Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards sowie guter Unternehmensführung) erfüllen.
Hintergrund: Als Eni im Jahr 2023 eine „nachhaltigkeitsbezogene“ Anleihe auf den Markt brachte, hatte das Unternehmen Hunderte von Projekten zur Exploration und Förderung von fossilen Brennstoffen. Das durch die „nachhaltige Anleihe“ aufgenommene Kapital könnte in einigen von ihnen verwendet worden sein. Der Erfolg dieser Transaktion im Wert von zwei Milliarden Euro wurde durch eine massive Medienkampagne ermöglicht, in der Eni sich der Öffentlichkeit als ein Unternehmen präsentierte, das sich für die Dekarbonisierung und die Energiewende einsetzt.
Am 16. Januar 2023 brachte der italienische Ölriese Eni eine „nachhaltigkeitsbezogene“ Anleihe auf den italienischen Markt, die in Wirklichkeit wenig mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Laut einem Bericht von Greenpeace verfolgt Eni 552 Projekte zur Ölförderung und -exploration, und das Geld aus der „nachhaltigkeitsbezogenen“ Anleihe könnte in einigen davon verwendet worden sein. Der Erfolg des 2-Milliarden-Euro-Deals wurde unter anderem durch eine massive Medienkampagne ermöglicht, in der Eni sich mittels Zeitungsartikeln und Werbeflächen als ein Unternehmen präsentierte, das sich der Dekarbonisierung und der Energiewende verschrieben hat.
Die italienische Presse preist vermeintlich „grüne“ Anleihen
Einem aktuellen Bericht der italienischen Finanzmarktaufsichtsbehörde Consob zufolge interessieren sich 50 % der italienischen Sparenden für nachhaltige Anlagen. Von diesen nutzen 81 % in mäßigem oder großen Umfang die Presse, um sich zu informieren. Daher ist es für sie wichtig, dort möglichst vollständige und genaue Informationen zu finden. Wie wir sehen werden, ist dies jedoch nicht immer der Fall.
„Eni bringt die erste grüne Anleihe auf den Markt. Mindestrendite von 4,3 % für Kleinanlegende Was Sie wissen müssen und wie Sie zeichnen“ oder „Eni, Start der Zeichnung nachhaltiger Anleihen für Kleinsparende“, sind nur einige der vielen potenziell irreführenden Schlagzeilen führender italienischer Tageszeitungen in den Wochen der Einführung der 2-Milliarden-Euro-Anleihe von Eni. Irreführend, weil die „nachhaltigkeitsbezogene“ Anleihe von Eni weder „grün“ noch „nachhaltig“ ist.
Denn während grüne Anleihen („Green bonds“ auf Englisch) verlangen, dass der Emittierende das Geld für bestimmte Umweltprojekte verwendet, beschränkt sich die von Eni ausgegebene Nachhaltigkeitsanleihe („Sustainability linked bonds“) darauf, von den Unternehmen zu verlangen, dass sie bestimmte Nachhaltigkeitsziele erreichen. Diese sind als Key Performance Indicators (KPIs, von den Medien als „Nachhaltigkeitsziele“ bezeichnet) bekannt.
Die Anleihen von Eni sind an zwei Ziele gebunden: die Steigerung der Produktion erneuerbarer Energien um 5 Gigawatt (GW) und die Senkung der direkten Treibhausgasemissionen (Öl- und Gasförderung und -raffination) sowie der mit seinem Energieverbrauch verbundenen Emissionen (jeweils als Scope 1 und 2 eingestuft) um 65 % im Jahr 2025 im Vergleich zu den Werten von 2018. Bei Nichteinhaltung muss das Unternehmen eine Strafe in Höhe 0,5 % über dem Basiszinssatz von 4,3 % zahlen.
Die Informationen über die Ziele wurden von der Presse wahrheitsgetreu wiedergegeben. Sie wies jedoch nicht darauf hin, dass die Auswirkungen der Reduzierung dieser Emissionen auf die Nachhaltigkeit begrenzt sind, wie die Ratingagentur Moody's später herausstellte. Ein weiteres Element, das in allen damals veröffentlichten Artikeln übersehen wurde, ist die Verwendung der Terminologie „Nettoemissionen“ durch Eni. Dieser Trick könnte es dem italienischen Riesen ermöglichen, seine Ziele zu erreichen, ohne seine Emissionen konkret zu reduzieren, wie uns die Experten bestätigten.
Nichts hindert Eni nämlich daran, mit einem Teil der Einnahmen aus den ausgegebenen Anleihen zusätzliche Emissionsgutschriften zu kaufen, um seine eigenen Emissionen virtuell zu reduzieren und die Strafe nicht zahlen zu müssen.
Bei der Analyse von Enis Nachhaltigkeitsbericht 2023 stellt man fest, dass die von Eni ausgewählten Scope-1- und Scope-2-Emissionen im Upstream-Bereich (Emissionen, die aus den vorangehenden Aktivitäten in der Wertschöpfungskette resultieren, wie z.B. die Produktion und Bereitstellung von Energie oder Rohstoffen) nur 2,2 % der Gesamtemissionen ausmachen (Tabelle 1).
„Emissionsgutschriften sind handelbare Instrumente, die die verifizierte Reduzierung oder Beseitigung von CO2 in der Atmosphäre darstellen. Unternehmen können ihre Emissionen ausgleichen, indem sie Gutschriften auf einem bestimmten Markt kaufen, wenn eine vollständige Dekarbonisierung nicht sofort erreichbar ist. Die Erlöse aus ihrem Verkauf werden in Projekte reinvestiert, die Nachhaltigkeit gewährleisten sollen. Trotz des Potenzials dieser Gutschriften bestehen Bedenken hinsichtlich der Transparenz, der Wirksamkeit und des Risikos von Greenwashing“, warnt Tushar Saini, Forscher bei GreenWatch, einer dem University College Dublin angegliederten Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, mit Hilfe von künstlicher Intelligenz die Authentizität der von Unternehmen abgegebenen Umwelterklärungen zu bewerten und zu überwachen.
„Die Fortschritte von Eni bei der Erreichung des mit nachhaltigen Anleihen verbundenen Ziels hinsichtlich der Reduzierung der Scope 1- und 2-Nettoemissionen scheinen hauptsächlich durch die Verwendung von Emissionsgutschriften erreicht worden zu sein“ kommentiert Josephine Richardson, Geschäftsführerin und Forschungsleiterin des Antropocene Fixed Income Institute, einem Forschungszentrum, das sich unter anderem auf Nachhaltigkeitsanleihen wie die von Eni eingeführten spezialisiert hat.
Zusammen mit GreenWatch haben wir die Daten des Verra- und Golden Standard-Registers analysiert und es zeigt sich, dass Eni zwischen 2021 und 2024 etwas mehr als 11 Millionen Emissionsgutschriften verwendet hat, um seine vorgelagerten Scope 1- und 2-Emissionen zu kompensieren. Fast 5,3 Millionen Tonnen wurden am 20. Februar 2024, ein Jahr nach der Emission der Anleihe, ausgeglichen.
Die Rolle der Presse
In vielen Presseartikeln der fünf größten italienischen Tageszeitungen mit landesweiter Verbreitung (Corriere della Sera, La Repubblica, Il Sole 24 Ore, La Stampa und L'Avvenire, Abbildung 2), die wir analysiert haben, werden die Nachhaltigkeitsziele vage beschrieben, oft in englischer Sprache ohne Übersetzung. „Net upstream carbon footprint status“, „Net upstream Scope 1 and Scope 2 emissions“, „Net upstream carbon footprint (Scope 1 and 2) equal to or less than 5.2 MtCO2eq by 31 December 2025 (-65% compared to 2018 baseline)“ sind einige der Formulierungen, mit denen die Artikel die Nachhaltigkeitsziele darstellten, ohne für das Verständnis hilfreiche Informationen einzubeziehen.
Hätten die Artikel eine Erklärung hinzugefügt, die auch die Emissionsdaten von Eni zeigt, hätten die Lesenden und Anlegenden, die investiert haben, verstehen können, dass die „Scope 3“-Emissionen, d.h. die von Liefernden, Kundinnen und Kunden verursachten Emissionen, wie die, die durch die Verbrennung des von Eni verkauften Öls zur Herstellung von Waren und Dienstleistungen entstehen und die 91% der Emissionen von Eni ausmachen, von dieser Verpflichtung ausgenommen sind.
Wir kontaktierten daher die fünf Tageszeitungen mit einer Liste der analysierten Artikel und fragten, welche Quellen für die Texte verwendet wurden, ob alternative Quellen zu den Pressemitteilungen von Eni herangezogen wurden und ob die Artikel auf Wunsch von Eni geschrieben worden waren. Trotz wiederholter Anfragen reagierte keine der Zeitungen.
Das Ranking der italienischen Zeitungen bezüglich der Eni-Anleihen
Bei der Zeichnung konnten die Anlegenden diese Einschränkungen daher nicht berücksichtigen, da keiner der von den fünf Tageszeitungen veröffentlichten Artikel diese Informationen erwähnte, obwohl die geringen Auswirkungen der von der Eni-Anleihe erwarteten direkten und indirekten Emissionen bereits im Nachhaltigkeitsbericht 2022 hervorgehoben worden waren.
Die von Greenpeace in Auftrag gegebene Analyse zeigt einen journalistischen Ansatz, der als oberflächlich bezeichnet werden kann, ohne Datenüberprüfung und mit wenig umfassenden Informationen in den 32 Artikeln, die von den Zeitungen im Januar 2023 veröffentlicht wurden. Acht weitere Artikel mit denselben Merkmalen wurden von den Agenturen ANSA und Askanews veröffentlicht. Im selben Zeitraum wurden Eni darüber hinaus in den berücksichtigten Tageszeitungen 71 Werbeflächen mit Verweisen auf Nachhaltigkeit gewidmet. Die Zeitungen räumten allen Informationen über die Anleihe Raum ein, manche mehr, andere weniger, aber keine interviewte Branchenexpertinnen oder -experten, kritische Stimmen oder analysierte die Daten, um zu verstehen, ob Enis Nachhaltigkeitsziele glaubwürdig sind.
„Grüne Anleihen sind sehr erfolgreich, weil die Menschen sie verstehen. Es handelt sich um eine äußerst einfache Kennzeichnung. Die Menschen mögen die Idee, einem Unternehmen Geld zu geben und zu wissen, wie es verwendet wird, z. B. für den Bau eines Windparks. Auf diese Weise wissen sie, dass sie direkt zu diesem Projekt beigetragen haben. An Nachhaltigkeit gebundene Anleihen wie die von Eni bieten viel mehr Flexibilität, aber das kann die Dinge für die Anleger komplizierter zu verstehen machen“, erklärt Josephine Richardson vom Antropocene Fixed Income Institute.
Kurz gesagt wurde die Eni-Anleihe in 19 von 40 Artikeln, die (online und in gedruckter Form) von den fünf größten italienischen Zeitungen und von Nachrichtenagenturen veröffentlicht wurden, als „green bond“ oder „nachhaltige Anleihe“ bezeichnet. Fast 50 Prozent der Veröffentlichungen verwendeten also eine Terminologie, die in Bezug auf das von Eni eingeführte Finanzinstrument unangemessen war.
Eni und das grüne Marketing der „nachhaltigen“ Anleihe
„Ein großer Teil dieses unkritischen Ansatzes ist auf den Einfluss zurückzuführen, den Eni auf die Medien ausübt. Die Journalistinnen und Journalisten praktizieren eine Art Selbstzensur, denn Fachredakteurinnen und -redakteure wissen, dass Eni über die Werbung ihr Gehalt zahlt“, kommentiert Roberto Giovannini, Leitartikler von Materia Rinnovabile, ehemaliger Umweltjournalist bei La Stampa, Gründer und ehemaliger Koordinator der Beilage La Stampa Tuttogreen.
Im Januar 2023 boten die fünf analysierten Pressetitel Eni 71 Werbeflächen auf ihren Seiten an, von denen 30 % bzw. 42 % auf Nachhaltigkeitsanleihen entfielen (Grafik 2).
Insgesamt umfasst die von uns erstellte Rangliste der Inhalte (Grafik 3) also alle Artikel, die von den Zeitungen online und in gedruckter Form veröffentlicht wurden, sowie alle Werbeanzeigen (allgemeine und anleihespezifische), die im Januar 2023 erschienen sind.
„Die Verringerung der Investitionen in den Printmediensektor hat zur Folge, dass es schwierig ist, die Inhalte zu überprüfen“, bedauert Roberto Giovannini, der feststellt, wie sich die Verarmung der Medienindustrie in „einer allgemeinen Verarmung der Qualität der Redaktionen und der journalistischen Produkte“ niederschlägt. Auch heute noch berichten Hunderte von Artikeln über schlechtes Wetter, obwohl sie eigentlich über die Klimakrise berichten sollten. Dadurch wird es für die Lesenden sehr schwierig, Umweltfragen zu verstehen“.
Das Duo Presse/Fossile Brennstoffindustrie ist nicht neu. Eni hat offensichtlich jahrelange Erfahrung hinter sich, wie Giorgio Steimetz bereits 1972 in dem Buch Questo è Cefis. L'altra faccia dell'onorato presidente („Das ist Cefis. Das andere Gesicht des ehrenwerten Präsidenten“, Ami, nicht übersetzt, über Enrico Matteis Nachfolger an der Spitze von Eni) schrieb: „Eni zahlt mit Werbung einen sehr hohen Anteil der Bruttokosten eines Produkts, das man ‚Schweigen‘ nennt“.
🤝 Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit IrpiMedia veröffentlicht; er ist Teil der Voxeurop-Untersuchung über grüne Finanzen und wurde mit Unterstützung des Europäischen Medieninformationsfonds und Journalismfund Europe erstellt.
Die alleinige Verantwortung für die vom Europäischen Medien- und Informationsfonds unterstützten Inhalte liegt bei den Autoren und spiegelt nicht unbedingt die Positionen des EMIF und der Fondspartner, der Calouste Gulbenkian Foundation und des European University Institute wider.
Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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