Ideen Gemeinsame Verteidigungspolitik

Entwaffnete Anführer

Paris und Berlin haben die Führungsrolle übernommen, eine europäische Antwort auf die russische Politik während der Ukraine Krise zu finden. Aber verfügen Frankreich und Deutschland auch über ausreichend langfristige Führungskraft, um die Europäische Union in eine strategische Macht zu verwandeln?

Veröffentlicht am 3 Juni 2015 um 06:38

Die französisch-deutsche Partnerschaft hat eine gewaltige Rolle bei der Schaffung und Einigung in Nachkriegseuropa gespielt. Die beiden Länder waren die europäische Integration betreffend grundsätzlich stärker – sie haben einen gemeinsamen Markt und eine gemeinsame Währung, den Euro, geschaffen – als in Kriegsführung und Diplomatie. Allerdings hat die Krise in der Ukraine dazu geführt, dass Paris und Berlin aus der Europäischen Union (EU) einen Handelsblock mit Biss gemacht haben, der schwerwiegende Sanktionen gegen Russland verhängt. Gleichzeitig haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande einen überwiegend reaktiven Ansatz gewählt, und gewähren wenig langfristige Führerschaft, um aus der EU eine strategischen Macht in Verbindung mit wirtschaftlicher Stärke zu machen.
Typischerweise stimmen Frankreich und Deutschland in der Außenpolitik nicht überein. Es liegen schwerwiegende Ungleichgewichte vor. Während sich Deutschland überwiegend als zivile Macht begreift, die kein Interesse an ausländischen Interventionen hat, ist Frankreich stolz auf seine Atombomben und vielfältigen militärischen Feldzüge in Afrika.

Ein Handelsblock mit Biss

In diesem Punkt kann ein größerer Fortschritt festgestellt werden, seit Paris und Berlin eine selbstbewusstere Rolle bei der Gestaltung der europäischen Antwort an Russland eingenommen haben, insbesondere als Folge der Krise und des Bürgerkrieges in der Ukraine. Die EU betrachtet Russlands einseitige Annektierung der Krim und seine Unterstützung für ostukrainische Separatisten als unannehmbares Verhalten seit [Bestehen] der Nachkriegsordnung des Kalten Krieges.
Der EU ist es gelungen, bedeutende Sanktionen gegen Russland zu verhängen, diese umfassen auch das Fernhalten von großen russischen Firmen von den europäischen Finanzmärkten, Exportverbote von Bergbau- und Ausrüstungsgegenständen für die wichtige russische Öl- und Gasbranche und vielfältige Restriktionen gegenüber bestimmten Einzelpersonen.
Die europäischen Sanktionen haben ihr größtes Hauptziel in der Ukraine jedoch noch nicht erreicht: das Ende der Aufstände im Osten und die Vertreibung Russlands aus der Krim. Das überrascht nicht. Einfach ausgedrückt: [[Die Ukraine liegt Moskau mehr am Herzen, als Brüssel.]]

Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande haben das Heft des Handelns in die Hand genommen und sich mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin getroffen und Vermittlungen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroshenko aufgenommen. Das französisch-deutsche Paar hat einigen Erfolg bei der Förderung von befristeten Waffenruhen erzielt, die aber letztlich weiterschwelen. Die Krim scheint unwiderruflich von der Ukraine getrennt zu sein und die Ostukraine scheint sich auf dem Weg zu einem „eingefrorenen Konflikt“ zu befinden, ähnlich dem von Transnistrien in Moldawien oder Südossetien in Georgien.

Auf dem Weg zu einer europäischen Armee?

Paris und Berlin können somit behaupten, erheblichen Fortschritt erzielt zu haben in der Etablierung der EU als „Macht“ gegenüber Russland. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande nur wenig Führungsstärke gezeigt haben, um aus Europa einen echten strategischen Akteur zu machen.

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[[Das Problem ist das der Souveränität.]] Die Hauptstädte der Nationalstaaten entscheiden, ob sie einer EU-Mission zustimmen. Es gibt keine „europäischen Entscheider“. Die nationalen Regierungen ziehen es vor, sich an ihre Armeen zu klammern, was einerseits zwar gut ist, andererseits aber auch als Faustpfand eingesetzt werden kann, der in erster Linie in Zusammenhang mit der NATO eingelöst werden würde. Dadurch können weniger europäische Führungskräfte mit amerikanischen Funktionären anbandeln und möglicherweise Washingtons mächtiges Militär, Diplomatie und Überwachung abhören oder Einfluss auf sie nehmen.
Sicherlich gibt es Druck für Veränderungen. Einer Eurobarometerumfrage zufolge, stimmen 46 Prozent der EU-Bürger der Schaffung einer europäischen Armee grundsätzlich zu. Gebildete Europäer sind zunehmend „europäisch“ in ihrer Einstellung infolge der Verbreitung von Englisch und der Internationalisierung der Kultur durch amerikanische Fernsehsendungen, Film und Musik, durch Geschäftsleben und Bildung.
Der Druck auf die Europäisierung ist allzu häufig jedoch negativ. Die Regierungen der Nationalstaaten – typischerweise in Süd- und Osteuropa – werden für derart korrupt gehalten, dass neu eingebürgerte junge Menschen eine europäische Regierung für wünschenswert halten.
Alle grundlegenden Änderungen der strategischen Macht der EU – wie die Europäische Armee oder die Verhängung von Sanktionen durch Mehrheitsbeschluß anstelle von Einstimmigkeit – würden eine Änderung der europäischen Verträge hin zu radikalem Föderalismus notwendig machen.
Ein derartiger Föderalismus wäre insbesondere für die französische Regierung schwer zu vermitteln, da die europäische Integration häufig sowohl von gemäßigten, als auch von radikalen Politikern für schwierige Entscheidungen und oftmals unpopuläre Reformen herhalten muss.
Jeglicher „Integrationssprung“ ist so lange undenkbar, wie der Euroskeptizismus gleichzeitig mit der Eurokrise zunimmt und so lange derart viele nationale Regierungen unpopulär sind. Eine dauerhafte wirtschaftliche Erholung und eine Umkehr der öffentlichen Meinung sind nötig – und das vor möglichen Änderungen. Die Franzosen würden dazu in etwa sagen: „Die europäische Macht reicht nicht bis morgen“.

Deutsche Übersetzung von Karen Gay-Breitenbach, DVÜD

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