Štefan Füle während der Pressekonferenz am 12. Oktober in Brüssel.

Erweiterte Illusionen

Indem er mehreren Ländern Beitrittsperspektiven eröffnete, wollte sich Erweiterungskommissar Štefan Füle optimistisch zeigen. Doch das verstärkt nur das Gefühl, dass Europa nicht weiß, wie ihm geschieht, meint die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter.

Veröffentlicht am 13 Oktober 2011 um 14:50
Štefan Füle während der Pressekonferenz am 12. Oktober in Brüssel.

Armer Štefan Füle. Am 12. Oktober hatte der EU-Kommissar für Erweiterung die undankbare Aufgabe, den Brüsseler Jahresbericht über die neun Staaten vorzustellen, die Mitglied der EU werden wollen: Kroatien, Türkei, Island, Mazedonien, Montenegro, Albanien, Serbien, Bosnien und der Kosovo.

Das war ein etwas surrealistischer Auftritt. Eine Inszenierung, als ob in der EU nichts Schlimmes vorginge, als ob alles seinen normalen Lauf nehme.

Štefan Füle ist nicht das, was man eine Stimmungskanone nennen kann – was ihn aber nicht daran hinderte, zu erklären, Europas Zukunft kündige sich positiv an. Wie effizient doch die Strategie der EU ist! Europa stellt seine Bedingungen, und die Beitrittskandidaten demokratisieren sich. 2011 ist ein gutes Jahr für die Erweiterung, behauptete Štefan Füle.

Kann sich die EU überhaupt noch erweitern?

Eine optimistische Fassade, an die sogar der Kommissar selber kaum glaubt.

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Die weniger erfreuliche Wahrheit lautet zunächst, dass mehrere der Staaten, die an den Pforten Europas warten, unter schweren Problemen leiden, und dann, dass die EU wahrscheinlich nicht in der Lage ist, sich sehr viel mehr zu erweitern.

Zwar sind die Verhandlungen mit Kroatien beendet und die Kommission schlägt vor, das Land 2013 in die Union aufzunehmen. Štefan Füle meint auch, dass Serbien und Montenegro Fortschritte gemacht haben und somit einige zusätzliche Schritte auf dem langen Weg zum Beitritt vorankommen können.

Doch die Gespräche mit der Türkei wurden vorübergehend eingestellt und das Land scheint die falsche Richtung einzuschlagen, wie auch Bosnien, Albanien und der Kosovo. Island, das bereits ganze Teile des EU-Rechts übernommen hat, scheint am besten vorbereitet zu sein. Bleibt abzuwarten, ob die Isländer auch mit "Ja" antworten wollen, wenn die Frage des Beitritts durch eine Volksbefragung entschieden wird.

Ein Optimismus, der Argwohn hervorruft

Doch jeder weiß, dass die Frage der weiteren Erweiterung sich nicht auf die Integration der Kandidatenländer beschränkt. Es ist ebenso wichtig zu wissen, wie es den 27 jetzigen Mitgliedsstaaten geht. Ob sie in der Lage sind, ihre Schwierigkeiten zu bewältigen, ihren Zusammenhalt zu retten. Wie kann die EU sonst die Kraft finden, neue Länder aufzunehmen, die zudem noch arm sind?

Štefan Füle hat versichert, der Erweiterungsprozess werde fortgesetzt und in Brüssel sei alles "unter Kontrolle". Während der Euro schwankt – und mit ihm die ganze Europäische Union – bereitet der EU-Kommissar die Beitrittskandidaten mit unverändertem Enthusiasmus vor. Eine aufgesetzte Sicherheit, die vor allem den Eindruck der Krise verstärkt.(p-lm)

Aus Belgrader Sicht

Schwierige Entscheidung

"Brüssel sagt klar und deutlich: EU oder Kosovo", titelt Danas. Die Tageszeitung aus Belgrad erklärt, "das Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen wird beschlossen, wenn es im Dialog [zwischen Serbien und seiner ehemaligen Provinz] greifbare Fortschritte sowie eine 'Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo' gibt". Ein schwerer Schlag für die serbischen Behörden, die einen Beitritt zur EU anstreben und zugleich versuchten, die Unabhängigkeit des Kosovo vor internationalen Gerichten in Frage zu stellen.

Die EU verlangt von Belgrad, die Teilnahme des Kosovo an regionalen Konferenzen nicht mehr zu blockieren. Weiter soll Serbien akzeptieren, dass der Gerichtshof für Nordkosovo unter die Vormundschaft der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEXgestellt wird, und die Probleme mit der Telekommunikation und der Elektrizitätsversorgung im Kosovo regeln.

Im besten Fall könnte Serbien im Dezember offiziell Beitrittskandidat werden, falls die 27 die Empfehlung der Europäischen Kommission annehmen.

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