Auf dem Abstieg: Intentsive Landwirtschaft in Mähren (Tschechische Republik). Foto: Martin Sojka

Europas giftige Landwirtschaft

Die erste Kohlenstoff-Gesamtbilanz der Europäischen Union zeigt, dass die durch die Landwirtschaft verursachten Treibhausgase die Aufnahmekapazität der Ökosysteme übersteigen. Ein Tatbestand, der – so Le Figaro – die intensive Landwirtschaft noch weiter belastet.

Veröffentlicht am 23 November 2009 um 16:37
Auf dem Abstieg: Intentsive Landwirtschaft in Mähren (Tschechische Republik). Foto: Martin Sojka

Zwei Wochen vor der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen (COP15), zu welcher 64 Staatschefs ihre Teilnahme zugesagt haben, stellt eine Untersuchung erstmals eine europäische Kohlenstoff-Gesamtbilanz auf (Nature Geoscience, 23. November 2009). Diese Bilanz kalkuliert nicht nur die Treibhausgasemissionen von Industrie, Transportwesen und Wohnsektor mit ein, sondern auch die Kohlenstoffflüsse von Erdboden, Bewuchs und Atmosphäre, die hauptsächlich in den terrestrischen Lebensräumen durch Photosynthese und Atmung ablaufen. Dieser natürliche Austausch ist wichtig, denn Wälder und Grünland sind genau wie die Ozeane in der Lage, einen Teil des in der Atmosphäre angestauten und zur Klimaerwärmung beitragenden Kohlendioxids zu speichern.

Während dieser Austausch in den meisten Regionen der Welt damit endet, dass ein Teil des vom Menschen ausgestoßenen Kohlendioxids [in der Biosphäre] gespeichert wird, zeigt die Bilanz, dass in Europa die Emissionen des durch Landwirtschaft und Viehzucht erzeugten Distickstoffoxids (N2O, auch Azo-Oxid) und Methans (CH4) – zwei weitere starke Treibhausgase – die Kohlenstoffaufnahme durch Wälder und Grünland übersteigen. Distickstoffoxid entsteht durch den bakteriellen Abbau chemischer Düngemittel, durch die Verdauung und die Ausscheidungen des Viehs wird Methan in die Atmosphäre ausgestoßen. Die terrestrischen Ökosysteme in der EU geben somit im Endeffekt mehr Treibhausgase ab, als sie aufnehmen können. Sie fügen den Emissionen, die fossilen Brennstoffen zugeschrieben werden, noch drei Prozent mehr CO2-Äquivalente hinzu. Für den gesamten Kontinent einschließlich Türkei, Ukraine und Weißrussland ist das Resultat kaum besser.

Die EU will CO2-Speicherung verbessern

Die Europäische Union ist also bei der CO2-Speicherung sehr schlecht platziert. Weltweit wird die Hälfte aller vom Menschen erzeugten Treibhausgase von den Ozeanen und terrestrischen Ökosystemen absorbiert. Die USA stehen hierbei besser als die EU, denn ihre Ökosysteme schlucken fast 25 Prozent ihrer anthropogenen Kohlenstoffemissionen (0,4 Mrd. Tonnen Kohlenstoffspeicherung bei 1,7 Mrd. Tonnen Ausstoß).

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Die wichtigste Lehre aus dieser Studie: Die Klimastrategien innerhalb der EU dürfen sich nicht damit begnügen, die Emissionen von "fossilem" Kohlenstoff durch Industrie, Transportwesen usw. zu reduzieren. Sie müssen auch die CO2-Speicherkapazität der Ökosysteme einkalkulieren und verbessern. In diesem Bereich besitzt Europa einen beträchtlichen Handlungsspielraum. "Wenn wir wollen, dass die natürlichen Lebensräume ebenfalls zur Reduzierung der Treibhausgase beitragen, dann müssen wir lernen, anders mit den Methan- und Distickstoffoxidemissionen der Landwirtschaft umzugehen", erklärt Detlef Schulze vom Jenaer Max-Planck-Institutfür Biogeochemie, der die Studie leitete.

Intensive Landwirtschaft im Visier

Die intensive Landwirtschaft, die bereits aufgrund ihres Einflusses auf Umwelt und Gesundheit verschrien war, wird nun auch durch ihre Rolle in der Erwärmung beschuldigt, ebenso wie die intensive Forstwirtschaft, die wiederum die Speicherkapazität der Wälder beeinträchtigt. Diese Arbeit mobilisierte fünf Jahre lang 2000 Forscher. Es wurden kolossale Mengen an statistischen Daten bearbeitet, zahlreiche Beobachtungen zusammengetragen und atmosphärische Messungen durchgeführt. Die im Rahmen des europäischen Forschungsverbundes CarboEurop durchgeführte Studie wurde in Höhe von 16,3 Millionen Euro von der EU-Kommission und mit über 30 Millionen Euro von den verschiedenen EU-Staaten finanziert.

Es bleiben noch zahlreiche erhebliche Unsicherheiten (+50 Prozent in der Methan- und Distickstoffoxiderzeugung), erklärt Philippe Ciais vom Laboratoire des Sciences du Climat [et de l’Environnement], einer der Mitautoren der Studie. "Es wurden große Fortschritte gemacht, und nur die EU kann so viele Daten über diese außerordentlich komplexe Maschinerie produzieren." Durch den Aufbau eines dichten Netzes von Luftmessungs- und CO2-Fluss-Stationen werden die Unsicherheiten reduziert und der Maßstab auf die regionale Ebene in Europa gesenkt werden können.

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