Fünf Vorschläge für ein neues Europa

Die politische Union als logische Folge der Währungsunion kann nur entstehen, wenn die EU sich mit demokratischeren Strukturen ausrüstet, die mehr Europäer einbezieht. Eric Jozsef, Redakteur bei Internazionale, macht einige Vorschläge, wie das bewerkstelligt werden könnte.

Veröffentlicht am 4 Juli 2012 um 09:41

Seit mehr als einem halben Jahrhundert garantiert Europa seinen Staaten und Völkern Frieden, wirtschaftlichen Prosperität, Respekt der Minderheiten und einen im weltweiten Vergleich einzigartigen sozialen Wohlstand. Heute könnte dieses Erbe zerfallen. Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren setzen sich wieder Mechanismen in Bewegung, die, ähnlich wie in den 1930ern, in der Bevölkerung eine Kette von Reaktionen, Ängsten und nationalistischen Gefühlen auslösen.

Die Geschichte wiederholt sich zwar nie in derselben Weise, aber es kann nicht schaden, daran zu erinnern, dass der europäische demokratische und marktwirtschaftliche Raum aufgebaut wurde, um diese Ideen zu bannen, den Nationalismus zu beschwören und den Totalitarismus zu überwinden. Angesichts der Globalisierung, der Phrenesie der Finanzmärkte und des weltweiten Wandels hat Europa, obwohl es die größte Volkswirtschaft der Welt ist, die Integration einen Schritt weitergetrieben, um dieses Erbe zu verteidigen, die Krise zu bewältigen und das griechische Problem sofort in Angriff zu nehmen.

Am Rand des Abgrunds stehend, schlug die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schließlich vor einigen Wochen vor, diesen Schritt zu wagen und sich einer politischen Union zu nähern, ohne jedoch ihren Vorschlag in allen Einzelheiten zu erklären (der auf eine europäische Prüfung der Bilanzen, der Banken und der Finanzen der einzelnen Unionsländer beschränkt zu sein scheint).

Die Väter Europas haben sich nicht nur die wirtschaftliche Integration zum Ziel gesetzt. Dieser Aspekt ist nur ein Mittel zum Zweck. Ziel war seit jeher ein vereintes politisches Europa. Angesicht der klaffenden Wunden des Krieges konnte damals nicht anders vorgegangen werden. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte die Völker einander annähern und die Gefahr neuer Konflikte bannen. „Europa ist maskiert“, sagte eines Tages Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission.

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Direkte Demokratie für die Union

Jahrzehntelang funktionierte diese Strategie. Aber heute, inmitten einer Wirtschafts- und Währungskrise, zeigt dieser elitäre Ansatz, der die Bürger nicht in die Entscheidungsprozesse einbindet, seine Grenzen. Heute schieben viele Wähler die Schuld an der Krise einem Zuviel an Europa zu, statt einem Zuwenig an europäischen politischen Instrumenten. Das Aufleben der europafeindlichen extremistischen Bewegungen rückt die Gefahr eines Zusammenbruchs immer näher.

Wir sind also an einem Scheideweg angelangt. Von der Größe her ist kein europäischer Staat in der Lage, die Herausforderung der Globalisierung anzunehmen. Nicht einmal Deutschland. Die Voraussetzung der Politik, d.h. der Fähigkeit, sein eigenes Schicksal schmieden zu können, ist also ein integriertes Europa. Aber es ist nicht möglich, Europa wider den Willen oder ohne das Wissen der Bürger zu stärken. Der einzige Weg führt über die Abtretung der Souveränität an eine demokratisch legitimierte europäische Machtinstanz.

Deshalb sind auch die vielen europäischen Gipfeltreffen in den letzten Monaten im besten Fall nur eine provisorische Lösung. In dieser Hinsicht ist die Beschäftigung mit der griechischen Frage emblematisch. Es ist jetzt klar, dass Athen trotz der enormen Opfer seine Schulden nicht tilgen kann. Ein möglicher Weg wäre der Erlass oder die Vergemeinschaftung der griechischen Schulden im Gegenzug für eine genaue Prüfung der öffentlichen Finanzen in Zukunft. Nur die Europäische Union kann dazu berechtigt sein.

Die Griechen und auch die übrigen Bürger der Union können den Verlust der Souveränität (die in Wirklichkeit von den Märkten bereits stark beschnitten ist) nicht akzeptieren, wenn die europäische Instanz, die ihre Bücher prüfen soll, nicht demokratisch legitimiert ist. Deshalb muss das institutionelle Projekt sofort wieder aufgenommen und die Union in eine direkte Demokratie verwandelt werden.

Ein Fünf-Punkte-Programm

Manche behaupten, bevor die Institutionen in Angriff genommen werden, wären erst die Probleme der Wirtschaft sowie des Banken- und Finanzsektors zu bereinigen. In Wirklichkeit wollen sie nur die Abtretung der Souveränität vermeiden unter dem Vorwand, die Bürger seien noch nicht für den großen Sprung reif. Deshalb liegt es an den europäischen Bürgern, einen gemeinsamen föderativen politischen Raum zu fordern, während die Politiker zeigen müssten, dass sie wirklich geneigt sind, ein starkes, souveränes, vereintes und demokratische Europa aufzubauen.

Hier nur ein paar Vorschläge, wie eine politische Union geschaffen werden kann, zu der sich Politiker und Bürger klar aussprechen sollten:

1) Direktwahl des Präsidenten der europäischen Union nach dem Prinzip des allgemeinen Wahlrechts

2) Ein einziger Vertreter der Union, der aus der Verschmelzung der Funktionen des Präsidenten der EU und des Präsidenten der europäischen Kommission hervorgeht

3) Entscheidungen werden mit der doppelten einfachen Mehrheit getroffen: 51 Prozent der 27 Staaten über die Stimmabgabe der Minister und 51 Prozent der Bevölkerung über die Vertreter im Europäischen Parlament.

4) Europäische Listen für die Parlamentswahlen in Straßburg (mit einem wesentlichen Anteil europäischer, nicht nationaler Kandidaten).

5) Einrichtung europaweiter Volksbegehren

Angesichts der Krise muss Europa eine Entscheidung treffen: Mut oder Niedergang.

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