In welche ideologische Richtung tendiert Europa? Aus mathematischer Sicht neigt der alte Kontinent eher zum Konservatismus: Von den 27 EU-Staaten haben vierzehn konservative Regierungen, acht sozialdemokratische und fünf, darunter Rumänien, Koalitionsregierungen aus den beiden politischen Richtungen. Mit der Europäischen Volkspartei (EVP) überwiegen die Konservativen momentan auch im Europäischen Parlament, dessen Mandat bald endet. Es zählt insgesamt 785 Abgeordnete. Den 288 Mandatsträgern der EVP stehen 217 sozialdemokratische Abgeordnete gegenüber.
Derart Rechenübungen sind allerdings irreführend. In Wirklichkeit ist die ideologische Kluft innerhalb der Union deutlich schwächer als z.B. in den USA. Die Weltwirtschaftskrise zwingt die Mehrheit der EU-Politiker, sich zu Anhängern des Sozialstaates und zu strengen Kritikern des "entfesselten" Liberalismus angelsächsischer Art zu erklären. Das politische Vokabular der Union ist heute übersät von Begriffen wie Solidarität oder Umverteilung. Dagegen werden Themen wie Wettbewerb und Marktwirtschaft tunlichst vermieden.
Inhaltliche Unterschiede zwischen Konservativen und Sozialdemokraten sind deutlicher erkennbar in den Beziehungen zu den USA, bei der Rolle der EU in der Welt, sowie beim politischen Integrationsprozess in Europa. Während sich die EVP aus vielfältigen Strömungen zusammensetzt, gibt sich die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) vereinter. Letztere ist außerdem ideologisch näher an den Liberal-Demokraten und den Grünen, heißt an den Parteien, die die Unterstützung von Intellektuellen und Medien haben, die ihrerseits besonders in Westeuropa eher links der politischen Mitte stehen. Das Europäische Parlament bleibt damit wohl eine Institution, deren politische Entscheidungen und Erklärungen sich in den Grenzen des "politisch Korrekten" bewegen.
Aber welche Bedeutung hat das Europäische Parlament tatsächlich? Abgesehen davon, dass es die europäische Demokratie symbolisiert, spielt es pragmatisch gesehen Sicht eine grundlegende Rolle in zwei Fällen: 1. bei der Wahl der Kommissare sowie des Präsidenten der Europäischen Kommission; 2. bei der Bewilligung des EU-Budgets.
Außerdem könnte das Parlament nach dem zweiten irischen Referendum und der Lösung der tschechischen Probleme, rein formell eine bedeutendere Rolle einnehmen, wenn der Lissabon-Vertrag erst in Kraft getreten ist. Das ist allerdings nur die halbe Miete. Denn je länger die Wirtschaftskrise anhält, desto schneller schwindet der gute Wille der Spitzenpolitiker, nationale Kompromisse im Interesse der EU einzugehen. Dies wiederum schwächt Institutionen wie das Europäische Parlament.
Dieses Jahr finden zum siebten Mal seit 1979 die europäischen Parlamentswahlen gleichzeitig in allen Mitgliedsstaaten der EU statt. Die Wahlbeteiligung wird wohl so niedrig wie gewohnt sein und die politische Tragweite nicht über das Parlament hinausgehen. Das soll aber nicht heißen, dass die Wahlen keinerlei weiter reichende Bedeutung haben, wie z.B. für Rumänien und Bulgarien als jüngste Mitgliedsstaaten; oder für die alten Mitgliedstaaten: Ihnen geht es um die Qualität der Mannschaft, die nach Brüssel und Straßburg geschickt wird.
In Westeuropa werden EU-Parlamentarier gewöhnlich entweder unter zweitrangigen Politikern oder jenen, die am Ende ihrer beruflichen Karriere stehen, rekrutiert. In Osteuropa sollten die Dinge anders liegen, da dort die Europaabgeordneten andere Ziele verfolgen. Und zwar aus zwei Gründen: 1. Die Beziehungen der lokalen Parteien zu Strukturen wie der EVP, SPE oder der Allianz der Demokraten und Liberalen für Europa (ADLE) sind enger als in den westlichen Ländern; 2. Die Fähigkeit der Europaparlamentarier, nationale Interessen zu vertreten, spielt eine größere Rolle.
Welche Gewichtung diese Kriterien auf die Neuaufstellung der Landeswahllisten hat, ist schwer zu sagen. Was die europäische Wählerschaft davon hält, wird sich am 7. Juni zeigen.