Wenn bei der kommenden Wahl die Zersplitterung der Politik und die Flucht der Wähler an den linken und rechten Rand des politischen Spektrums verringert werden, könnte die aktuelle Krise letztlich ein Glück im Unglück sein.
Doch allein ein unverbesserlicher Optimist mag diese Möglichkeit auf der Rechnung haben. Die Vorzeichen sind düster. Nichts deutet darauf hin, dass die Politik auf eine solide, inhaltlich logische Koalition zusteuert. Mehr Fragmentierung und mehr Instabilität liegen da eher auf der Hand.
Seit 2002, im Laufe von zehn Jahren, haben wir fünf Kabinette erlebt. Die politische Mitte wurde in diesen Jahren fast vollständig ausgelöscht. Die alten großen Drei — PvDA, CDA und VVD — werden nach den Wahlen wahrscheinlich nicht einmal zusammen über eine Mehrheit im Parlament verfügen.
Wahlkampfhit Europa
Unterdessen gibt es kleine Meteoren. In seiner Erklärung über sein merkwürdiges Verhalten im Catshuis [dem Empfangshaus der Regierung und Residenz des Ministerpräsidenten] sagte Geert Wilders am Samstag, dass Europa die Quelle allen Übels sei. Brüssel habe die „Duldungskoalition“ gezwungen, über neue umfangreiche Kürzungen zu verhandeln.
Die Erklärung Wilders’ war durchsichtiger Unsinn, aber dennoch nicht ohne Belang. Die PVV macht Europa zum Buhmann. Die kommenden Monate versprechen einen herrlichen Wahlkampf.
Sieht man sich das Gedankengut der PVV an, dann ist das eine logische Strategie. Der seltsame Mischmasch der PVV-Ideen — äußerst rechts bei Gesellschaftsfragen, äußerst links bei der Verteidigung des angefressenen Zements des Versorgungsstaats — kennt eine logische Bedrohung: Brüssel. Brüssel will, dass wir die Abkommen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer achten, was in den Augen der PVV eine Bedrohung für den reinen Charakter der niederländischen Gesellschaft und eine Gefahr für den Wohlfahrtsstaat darstellt.
Wilders ist zu dem Schluss gekommen, dass seine Wählerschaft viel besser gegen Europa zu mobilisieren ist, denn für seine Angriffe auf die Islamisierung der Niederlande.
Wo bleibt die Mitte?
Aus vielerlei (schlechten) Gründen ist unsere Zukunft in Europa seit dem Referendum [das Nein 2005 zum EU-Verfassungsvertrag] nie ein zentrales Thema im Wahlkampf gewesen. Wilders will das nun erzwingen, und hoffentlich schafft er es. Denn Europa ist ein anders geartetes Streitfeld als beispielsweise das klassische Thema der (nationalen) Wirtschaft. Der klassische Gegensatz von links und rechts hat sich selbst weitgehend überlebt.
Andere Kontroversen flammen auf, stellt man die große Frage, was wir von Europa eigentlich wollen. Es ist höchste Zeit, diese Frage politisch mit Nachdruck zu stellen. Ein Thema, das auch die Chance für völlig andere politische Kraftverhältnisse birgt.
Wilders sieht darin zunächst eine Chance für sich selbst. Allerdings gibt es für die anderen Parteien keinen Grund, die Herausforderung nicht anzunehmen und ihrerseits aufzuzeigen, dass die Zukunft der Niederlande in mehr europäischer Zusammenarbeit liegt. Eine Chance für die politische Mitte wieder eine relevante Kraft zu werden und somit die Regierbarkeit des Landes zu fördern.
Standpunkt
Wenigstens ist Europa auf den Tisch
Geert Wilders’ Abschied „löst Erleichterung aus“, schreibt Chefredakteur Philippe Remarque im Volkskrant. Der Parteivorsitzende der populistischen Partei für die Freiheit (PVV) sei nicht nur „ein gehässiger Politiker, sondern auch ein unzuverlässiges Regierungsmitglied“, meint Remarque. Gerade in dem Moment, wo Brüssel ein neues Sparpaket erwartet, mit dem das Haushaltsdefizit auf drei Prozent des BIP gesenkt werden soll, und das Land in der Finanzkrise steckt, lasse er es im Stich.
Gleichzeitig fordert Remarque die Politik aber dazu auf, „seine Botschaft nicht ganz in den Wind zu schlagen“, insbesondere was die europäische Integration angeht.
Ihm ist es zu verdanken, dass diese Themen nun nicht nur auf der politischen Tagesordnung populistischer, sondern auch traditioneller Parteien einen wichtigen Platz eingenommen haben.
In der Politik ist man sich über die Rolle Europas alles andere als einig. Das spiegelt sich auch in der niederländischen Öffentlichkeit wider, fügt Remarque hinzu. Im Projekt eines
in eine globalisierte Welt integrierten Europas und eines abgespeckten Sozialstaats sehen die einen Niederländer Chancen, die anderen dagegen eine Bedrohung.