Es galt als tot, aber es ist wieder da: Das Migrationsabkommen zwischen Rom und Tirana. Die albanischen Aufnahmezentren in Shëngjin und Gjäder sollten ursprünglich Asylsuchende aus sicheren Ländern aufnehmen, die darauf warten, dass ihr Fall in Italien bearbeitet wird. Nun sollen sie als Rückführungszentren dienen. Eine absurde Entscheidung, wenn man bedenkt, dass „die in Italien vorhandenen Einrichtungen dieser Art halb leer stehen“, wie Annalisa Camilli in der italienischen Wochenzeitung Internazionale berichtet.
Am 11. April trafen rund 40 Migranten und Migrantinnen, die aus verschiedenen italienischen Rückführungshaftanstalten verlegt worden waren, im Hafen von Shëngjin ein, bevor sie in die albanische Haftanstalt Gjäder gebracht wurden. Eine folgenreiche Entscheidung nach Meinung vieler Migrationsexpert*innen. Nach Ansicht der von Camilli zitierten Association for the Legal Study of Immigration (ASGI) „stellt diese Verlegung von irregulären Migrant*innen, die bereits in italienischen Auffanglagern eingesperrt waren, einen ‚Meilenstein‘ in der Migrationspolitik dar und eröffnet neue Szenarien im europäischen Kontext“.
"Sie unterstreicht die radikal unterschiedliche rechtliche und administrative Behandlung von Migranten und Migrantinnen und schafft einen tiefen Bruch im gesamten Rechtssystem. Wenn die Migrationspolitik, wie so oft beobachtet, als Spiegel für die Qualität der Rechte fungiert, so spiegelt sich darin heute das Bild einer Demokratie, die eine grundlegende Neudefinition erfährt", heißt es in der juristischen Analyse von ASGI.
"Die Migrationspolitik bestätigt sich als ein Laboratorium für normative Experimente mit autoritärer Tendenz. Das sogenannte ‘Albanien-Modell’ stellt eine Beschleunigung dieses Prozesses dar. Für die betreffenden Personen bedeutet es eine noch extremere Isolation, weitere Hindernisse beim Zugang zum Rechtsschutz und eine Verschlechterung der ohnehin kritischen Haftbedingungen in den Auffanglagern”, heißt es in dem Bericht weiter.
Die erste Version des Meloni-Rama-Abkommens war von anderen europäischen Ländern und internationalen Institutionen mit großem Interesse verfolgt worden. Es bleibt abzuwarten, ob sich die neue bewährt - und ob sie Nachahmende findet.
Rückkehr zur instinktgesteuerter Politik
Viele Politiker*innen treten immer autoritärer auf, um in den Medien für Schlagzeilen zu sorgen. So schlug in Frankreich der Abgeordnete Laurent Wauquiez (Les Républicains, rechts) kürzlich vor, Zuchthäuser für Ausländer*innen einzurichten, die das französische Hoheitsgebiet verlassen müssen. In dem rechtsextremen Magazin JDNews führt er seine Idee genauer aus: Gefährliche auszuweisenden Personen sollen auf Saint-Pierre und Miquelon, einer französischen Inselgruppe in der Nähe der kanadischen Insel Neufundland, eingesperrt werden. Für Wauquiez - hier zitiert von Alexandre Pedro in Le Monde - sind die meteorologischen und geografischen Bedingungen des über 4.000 Kilometer von Paris entfernten Übersee-Gebiets ein Vorteil: "Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 5 °C mit 146 Tagen Regen und Schnee. Ich denke, dass das alle ziemlich schnell zum Nachdenken bringen wird". "Die französische Inselgruppe hat in den Augen von [Wauquiez] auch den Vorteil, dass sie nicht im Schengen-Raum liegt”, erklärt Pedro, denn das bedeutet, dass „jede Rückkehr ins Hexagon“ blockiert wird. Ein Vorschlag, der allerdings niemandem in Frankreich gefiel.
Auch in den Niederlanden verschärft sich die Migrationspolitik. Das Land hat im Februar sein Migrationsabkommen mit Uganda wiederbelebt und die rechtsextreme Ministerin für Asyl und Migration, Marjolein Faber (PVV), hat sich zum Ziel gesetzt, „die strengste jemals angewandte Asylpolitik zu schaffen.”
Um dies zu erreichen, schlägt sie zwei Gesetze vor, wie Johan van Heerde in Trouw erklärt. Diese könnten es dem Staat unter anderem ermöglichen, Aufenthaltsgenehmigungen zu verkürzen - oder sogar abzuschaffen -, die Familienzusammenführung einzuschränken oder die Rechte von Asylsuchenden je nach Profil direkt anzugreifen.
Marjolein Faber ist sich sicher, dass dies Asylsuchende davon abhalten wird, in die Niederlande zu kommen. Es gibt jedoch noch viele Unklarheiten, insbesondere in Bezug auf die Wirksamkeit ihres Plans. Die Ministerin, so van Heerde, scheint sich bei der Vorbereitung desselben nämlich nicht auf zuverlässige Quellen und Statistiken gestützt zu haben. „Faber bezieht sich nicht auf wissenschaftliche Literatur oder dicke Bücher, um ihre Maßnahmen zu untermauern“, erklärt der Journalist. "Sie lässt sich hauptsächlich von anderen Ländern inspirieren, was man an ihren Arbeitsbesuchen und Notizen erkennen kann. So hat sie zum Beispiel bereits Dänemark und Polen besucht, wo eine restriktive Asylpolitik herrscht."
Der von van Heerde befragte Forscher Carolus Grütters bezweifelt jedoch die Wirksamkeit einer verschärften Asylpolitik. „Politiker*innen erwecken oft fälschlicherweise den Eindruck, dass Asylsuchende während ihrer Flucht rationale Entscheidungen treffen, weil sie sich hervorragend mit der neuesten Asylpolitik jedes einzelnen EU-Mitgliedstaats auskennen.” Für ihn gibt es dafür jedoch keine Beweise. Der Zusammenhang zwischen Asylpolitik und Veränderungen in den Migrationsbewegungen, so Grütters, sei viel zu komplex, um ihn beweisen zu können. Einfach nur zu behaupten, dass ein solcher Zusammenhang bestehe, sei zu simpel.
Das Trump-Modell
Donald Trump war schon immer für Schockmaßnahmen in der Migrationspolitik bekannt, aber mit der Abschiebung von Kilmar Abrego Garcia in ein Mega-Gefängnis in El Salvador scheint er sich selbst übertroffen zu haben.
Der 29-Jährige, der seit 14 Jahren in den USA lebt, wurde aufgrund einer falschen Terrorismusanklage festgenommen und illegal nach El Salvador zurückgeschickt, um dort inhaftiert zu werden. Die US-Regierung räumte diesen Fehler zwar ein, weigerte sich jedoch, ihn zurückzuführen. Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele, der sich selbst als „coolsten Diktator der Welt“ bezeichnet, hielt die Rückführung von Abrego Garcia für unmöglich. In der amerikanischen Zeitschrift Mother Jones berichten Noah Lanard und Isabela Dias über den eiskalten Verlauf des Treffens zwischen den beiden Autokraten am 14. April.
Eiskalt, weil Washington in der Migrationspolitik ungestraft nach Belieben schalten und walten kann, wie Lanard und Dias berichten. Eiskalt auch, weil Trump aus seinen Ambitionen kein Geheimnis macht. „Auf die Frage, wie viele zusätzliche Menschen er bereit sei, nach El Salvador zu schicken, antwortete er‚ so viele wie möglich‘“. Weiterhin bekräftige Trump, “dass er US-Bürger*innen im Ausland inhaftieren wolle, wenn dies nach US-Recht erlaubt sei.” Auch fragte er Bukele, ob “El Salvador neue Gefängnisse bauen könne, vermutlich um mehr Menschen aufzunehmen, die aus den USA geschickt werden.”
Doch egal, wie krass die neuesten vom Weißen Haus vorgeschlagenen Maßnahmen auch sein mögen, es findet sich immer ein europäischer Staat, der die Umsetzung auch bei uns in Betracht zieht. Dies gilt insbesondere für Deutschlands Politiker*innen, die sich laut Hanno Hauenstein für The Intercept derzeit gerne „von den USA inspirieren lassen". Das Land plant, vier ausländische Mitbürger*innen auszuweisen, die an Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza teilgenommen haben. Ein Schicksal, das an das von Mahmoud Khalil erinnert. Der palästinensische Student von der Columbia University wurde in den USA wegen seiner militanten Aktivitäten festgenommen und inhaftiert und ihm droht trotz gültiger Aufenthaltsgenehmigung nun die Abschiebung.
Man könnte sich damit beruhigen, dass all dies nur in den USA geschieht. Dass Fälle wie der von Abrego Garcia nirgendwo anders auf der Welt passieren könnten. Doch sollten wir angesichts der rasanten Nachahmungswut unserer Politiker*innen sehr besorgt über diese Entwicklung sein.
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