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Bild: Planetary Visions Ltd, NASA

Geht ihm ein Licht auf?

Der nach geschickten Manövern wiedergewählte EU-Kommissionspräsident muss jetzt beweisen, dass er eine Vision für Europa hat. Interner Zusammenhalt, EU-Erweiterung und die Politik zu den EU-Nachbarstaaten müssen jetzt sein Wirken bestimmen, meint der Politologe José Ignacio Torreblanca.

Veröffentlicht am 22 September 2009 um 13:46
Bild: Planetary Visions Ltd, NASA

Anfangs blau-schwarz, mittlerweile ein wenig grün und wenn nötig gar rot: Barroso, das schlaue Chamäleon hat es geschafft, erneut zum Präsidenten der EU-Kommission wiedergewählt zu werden, mit einer Mehrheit, die allen Verträgen standhält. Sein Spruch: "Meine Partei heißt Europa" resümiert perfekt die Philosophie, die ihn zum Sieg führte: Sein Mäntelchen nach dem Wind hängen. Frei nach dem berühmten Neil Armstrong-Satz bei der Mondlandung, könnte man sagen: Es ist ein großer Schritt für Barroso. Aber was garantiert uns, dass es auch ein großer Schritt für Europa ist?

Man sollte auch so einfach wie nachdrücklich daran erinnern, dass die kommenden fünf Jahre vielleicht die letzte Chance für Europa sind, weltweit eine bedeutende Rolle zu spielen. Die Wirtschaftskrise hat verdeutlicht, dass Europa noch nicht an einem Strang zieht. Selbstverständlich ist Europa eine freie Ordnung, und somit ein nie abgeschlossener Prozess. Was an sich eine gute Sache ist. Dennoch: Betrachtet man Europa, das heutige Europa, dann sieht man Risse, Fetzen, Projekte in der Schwebe, Risiken, aber auch Gelegenheiten, die man beim Schopfe fassen sollte.

Das 21. Jahrhundert ist multipolar

Manche Aufgaben, wie beispielsweise sich mit China oder Russland messen, oder ein wirklicher Global Player zu sein, übersteigen derzeit unsere Fähigkeiten. Andere Aufgaben liegen aber zweifellos in unserer Reichweite. Anders gesagt: Wenn die EU nicht in der Lage ist, sich um Europa zu kümmern, wo sie doch über ausreichend politisches und wirtschaftliches Gewicht verfügt, um eine entscheidende Führungsrolle zu übernehmen, wie könnte es da eine weltweite Führungsrolle für sich beanspruchen?

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Im Augenblick des 20. Jahrestags des Mauerfalls wissen wir, dass die Welt des 21. Jahrhunderts eine multipolare sein wird. Wir wissen aber nicht, ob es einen Pol Europa geben wird. Wie es der G20-Gipfel von Pittsburgh verdeutlicht: die Europäer sind zwar zahlreich in den Institutionen der Welt vertreten, Europa selbst aber kaum. Wie lange soll das noch so sein?

"An einem Strang ziehen" heißt aber nicht neue Verträge aushandeln oder eine Föderation schaffen. Es geht darum, unsere eigenen Prinzipien und Verpflichtungen beim Wort zu nehmen (z.B. bei der EU-Erweiterung), die internen Unstimmigkeiten zu beenden und unser Leadership wieder herzustellen, zumindest innerhalb des europäischen Raums. Dazu muss auf drei Ebenen gehandelt werden.

Altes und neues Europa einen

Erstens: Es gibt innerhalb der Union Mitglieder erster und zweiter Klasse, was interne Unstimmigkeiten schafft und die Union extrem schwächt. Es ist also von absoluter Wichtigkeit, eine Strategie zu erarbeiten, die Stabilität und Wohlstand in den neuen EU-Mitgliedsstaaten fördert, um zu einer reellen wirtschaftlichen Angleichung von neuen und alten EU-Mitgliedern zu kommen. Das würde bedeuten, dass man, so weit wie möglich, die Übergangsphasen verkürzt, die Währungsunion auf die neuen Mitglieder erweitert und von der kommenden Revision des europäischen Haushalts profitiert, um strukturpolitische Maßnahmen zu optimieren.

Erweiterung ernst nehmen

Zweitens: Dass nicht an einem Strang gezogen wird, verdeutlicht sich am besten in den westlichen Balkanländern, wo die EU, trotz ihrer Zustimmung, deren Beitritt permanent hinauszögert. So schafft man einen Teufelskreis: Aufgrund mangelnder europäischer Perspektiven verlangsamen die Beitrittskandidaten ihre Reformen und aufgrund des langsamen Vorankommens der Reformen neigt die Union dazu, die Erweiterung hinauszuzögern.

Der ursprüngliche Plan, der darin bestand, Kroatien in die Union aufzunehmen, dann abzuwarten, dass die Türkei das Handtuch wirft, um schließlich alle Brücken hinter sich abzubrechen, könnte negativ auf die EU zurückfallen und ihr Image ankratzen. Vor allem, sollte zudem noch Island alle anderen EU-Kandidaten überholen.

Man sollte also nicht künstlich den Erweiterungsprozess beschleunigen - viele Länder sind noch nicht soweit -, aber auch nicht insgeheim darauf hoffen, dass sich im Balkan alles so langsam entwickeln werde, um sich seinen Versprechungen nicht mehr verpflichtet zu fühlen. Man muss die Bürokratie beiseite schieben, die Reformen in diesen Ländern unterstützen und die Glaubwürdigkeit Europas wieder herstellen, in dem man die EU-Erweiterung als Perspektive erst nimmt.

Anliegen der Nachbarn hören

Drittens: Für Europas Nachbarn, von Weißrussland bis zum Kaukasus (ich lasse absichtlich den Mittelmeerraum beiseite), bleibt das EU-Modell, trotz aller Probleme äußerst attraktiv, auch wenn viele Länder daran zweifeln, je dasselbe Maß an Freiheit, Wohlstand und Sicherheit erreichen zu können. Es geht weniger darum, diese Länder in Europa einzugliedern als für eine Präsenz Europas in dieser Region zu sorgen, und ihr Bestreben wirklich zu unterstützen. Die strategische Vorstellung, die besagt, das Investitionen dort unserem eigenen Wohlstand und unserer eigenen Sicherheit (und unseren demokratischen Werten) zugute kommen, wird innerhalb der Union nur von wenigen geteilt und prägt unsere Politik diesen Staaten gegenüber nicht genügend.

Herr Präsident Barroso, wenn ihre Partei Europa heißt, dann führen Sie es zusammen!

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