Demonstration von Opel-Angestellten in Antwerpen (Belgien), 23. September 2009 (AFP)

General Motors zählt seine Freunde

Dass General Motors nun von der Idee Abstand nimmt, Opel an Magna-Sberbank zu verkaufen, wie man es sich in Berlin gewünscht hatte, ruft in Europa unterschiedlichste Reaktionen hervor: Während Deutschland entrüstet ist, betont man anderswo, dass das Eingreifen der deutschen Regierung in die Angelegenheiten alles andere als angemessen war. Jedoch räumt man ein, dass andere Länder ähnlich reagiert hätten.

Veröffentlicht am 5 November 2009 um 16:39
Demonstration von Opel-Angestellten in Antwerpen (Belgien), 23. September 2009 (AFP)

So sieht ein schlechter Start für die deutsche Regierung aus, berichtet die Süddeutsche Zeitung und weist darauf hin, dass die gerade frisch gewählte Kanzlerin Angela Merkel diese Neuigkeit erreichte, als sie gerade aus Washington zurückkehrte, wo sie vor dem Kongress eine Rede hielt. Mit "Fassungslos im Flugzeug" beschreibt die Münchner Tageszeitung die blamierte Regierung.

Die Tageszeitung aus Berlin weist darauf hin, dass Angela Merkel die Opel-Akte für ihre Walkampagne instrumentalisiert hat: "Im Opel-Wahlkampf zeigten die angeblich so weltoffenen Deutschen die hässliche Fratze des Ressentiments. Die Amerikaner? Böse Turbokapitalisten, die den anständigen deutschen Arbeiter aussaugen wollen. Die Italiener? Schmierige Geschäftemacher, die es auf deutsche Subventionen abgesehen haben. Die übrigen Europäer mit ihren Opel-Standorten? Egal, es zählen allein deutsche Arbeitsplätze." Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung übertrifft dies noch, indem sie das GM-Magna-Abkommen als "gescheiterte Politisierung" einer Kanzlerin bezeichnet, die darauf bestanden hat, sich in die Geschäftswelt einzumischen.

In den anderen Ländern Europas ist man ebenso bestürzt: "Amerika überrascht Europa", titelt La Tribune und erinnert daran, dass eine Unternehmensentscheidung nur selten "so zahlreiche politische und diplomatische Reaktionen in so vielen Ländern" von Berlin über Madrid und Brüssel bis nach Moskau ausgelöst hat. Wie die französische Wirtschaftszeitung berichtet fürchtet man sich besonders vor massiven Kündigungen. Für La Vanguardia ist es noch schlimmer: "Die kalte strategische Zielstrebigkeit Washingtons, die das deutsche Vorhaben hat scheitern lassen, steht im Kontrast zur europäischen Unordnung, in der jedes Land nur seine eigenen Interessen vor Augen hat. Jeder hat nur die Rettung seiner eigenen Unternehmen im Kopf. Eine Idee, die den nationalen Interessen übergeordnet ist, wie auch immer sie aussehen mag, gibt es überhaupt nicht. [...] Dass die Europäer so schlecht darauf reagieren ist auf das Gespenst von Vilvoorde zurückzuführen. Dort schloss man 1997 die große belgische Renault-Fabrik" und 3000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, erklärt La Tribune. Aus diesem Grund sagt La Libre Belgique "eine 'Anti-GM'-Mobilmachung" vorher, die "auf dem Alten Kontinent Gestalt annehmen wird". In den Ländern, in denen sich Opel-Fabriken befinden, rechnet man mit zahlreichen Demonstrationen. "Auch Flandern wird sich in diesem – aussichtslosen? – Kampf beteiligen und die Interessen der Fabrik in Antwerpen verteidigen." Dort steht die Zukunft von 600 Arbeitsplätzen auf dem Spiel.

Der flämische Automobilindustrie-Experte, Vic Heylen, schreibt in De Morgen, dass der hauptsächliche Grund für die Entscheidung von GM der russische Markt war. Die Amerikaner würden dies aber lieber für sich behalten. "Für GM war es undenkbar, dass man Magna-Sberbank den Markt überlässt. Für sie bildet der russische Markt das Zentrum ihres Geschäftsplans." Auf spanischer Seite ist man optimistischer: Die Opel-Fabrik in der Nähe von Zaragoza dürfte nicht viel zu befürchten haben, berichtet Público. Für sie "bedeutet Figueruelas im unausweichlichen Prozess der Umstrukturierung der Opel-Fabriken in Europa sogar eine Verbesserung seiner Position".

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Enrico Digirolamo, der Vizepräsident von General Motors in Europa, hat der Tageszeitung versichert, dass diese Fabrik für die zukünftige Strategie von GM in Europa "ganz entscheidend" ist. In Italien hebt La Stampa folgenden Zufall hervor: Während GM diese Entscheidung ankündigt, gibt sein Konkurrent Fiat seinen Chrysler-Belebungsplan bekannt. (Fiat hat Chrysler dieses Jahr gekauft.) Die Tageszeitung des italienischen Automobilkonzerns, dessen Angebot Opel zu kaufen von Berlin hochmütig übersehen wurde, genießt ihre Revanche. Momentan ist sie davon überzeugt, dass "es von GM richtig war, die Kontrolle über Opel zu behalten".

Vonseiten der Financial Times hört man, dass "die Entscheidung von GM gut für die europäische Automobilindustrie ist". Für die Londoner Wirtschaftszeitung hat Deutschland in der Tat "alles getan, um die unerlässliche Umstrukturierung des Sektors aufzuhalten, dessen Produktionsüberkapazität chronisch ist". Für diesen Sektor hätte "die Krise die Rolle eines Katalysators übernehmen und die notwendigen strukturellen Veränderungen beschleunigen sollen". Das zwischen GM und Berlin geschlossene "Abkommen widersetzte sich jeder Geschäftslogik. Der belgische Investor RHJ, den GM eine Zeitlang bevorzugte, hatte für Opel 3,2 Milliarden Euro geboten. Jedoch schien Magna Berlin geeigneter. Dort wünschte man sich, dass der Abbau von Arbeitsplätzen proportional mehr auf die anderen europäischen Länder verteilt wird. Dieser sehr teure Schutz von Arbeitsplätzen verletzt den Geist des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes zutiefst". Daher: "Wenn Politik und Gewerkschaft jetzt eines für Opel tun können, dann ist es dieses: dem US-Konzern bei der schwierigen Sanierung keine unüberwindlichen Hürden in den Weg zu legen", urteilt das Handelsblatt. Eine ähnliche Meinung vertritt Rzeczpospolita wenn sie sagt, dass "die Dinge wieder zur Normalität zurückgefunden haben: Auch wenn Opel Pleite gehen sollte, so wird dies am Markt liegen, nicht an der Politik."

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