
Dr. jur. Hendrik Cremer arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, insbesondere zu den Themen Rassismus und Rechtsextremismus und befasst sich seit Jahren intensiv mit der AfD.
Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und war schon häufig als Sachverständiger im Bundestag und in den Landtagen geladen. Im Februar 2024 erschien sein Buch Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist.
Voxeurop: Könnten Sie uns zunächst helfen, die juristischen Begriffe zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland besser zu verstehen? Der Verfassungsschutz hat die AfD bundesweit als „rechtsextremistischen Verdachtsfall” eingestuft. Was heißt das genau?
Dr. Hendrik Cremer: Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Partei wie die AfD als „rechtsextremistischen Verdachtsfall” einstuft, bedeutet das, dass nach Auffassung des Amtes zumindest ein Teil der Partei als verfassungsfeindliche rechtsextreme Bestrebung einzuordnen ist.
Rechtsextreme Bestrebungen zeichnen sich insbesondere durch rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Positionierungen aus, die bestimmte Menschen abwerten. Sie zielen damit auf die Beseitigung der Garantie der Menschenwürde, die für alle Menschen gilt. Diese Garantie ist in der deutschen Verfassung - dem Grundgesetz - in Artikel 1 Absatz 1 verankert und bildet damit die zentrale Bestimmung der Verfassung. Rechtsextreme Bestrebungen zeichnen sich in der Regel außerdem dadurch aus, dass sie auf die Beseitigung weiterer fundamentaler Prinzipien der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie zielen: das Rechtsstaat- und das Demokratieprinzip.
Die Landesverbände in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die Jugendorganisation der AfD gelten als „gesichert rechtsextrem”. Was hat das für Konsequenzen?
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz zu dem Ergebnis gekommen, dass die dortigen Landesverbände der AfD als „gesichert rechtsextrem” einzuordnen sind. Die Einstufung der Jugendorganisation der AfD, die bundesweit agiert, erfolgte wiederum durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Unmittelbare Konsequenzen solcher Einstufungen sind, dass der Verfassungsschutz mehr Möglichkeiten hat, um die Partei beziehungsweise einzelne Funktionäre genauer zu beobachten. Es können weitere rechtliche Konsequenzen folgen. Dazu kann etwa zählen, dass Mitglieder der Partei, die im Besitz von Waffen sind, diese beim Staat abgeben müssen.
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, Björn Höcke, galt lange als Hardliner der Partei und wurde ebenfalls als rechtsextrem eingestuft. Jetzt scheint er keine Ausnahme mehr zu sein?
Die gesamte AfD ist mittlerweile rechtsextrem. Nach meiner Sicht müsste die gesamte Partei bereits vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem” eingestuft sein. Dabei hat Björn Höcke den Kurs der Partei über viele Jahre maßgeblich beeinflusst. Im Jahr 2017 hat der Bundesvorstand noch ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde er dezidiert als Nationalsozialist eingeordnet, dennoch nicht aus der Partei ausgeschlossen. Stattdessen konnte er seine Position innerhalb der Partei immer weiter ausbauen.
Es gibt keine nennenswerten Stimmen mehr innerhalb der Partei, die sich gegen ihn stellen. Seit Juni 2022 ist der Bundesvorstand vielmehr so zusammengesetzt, dass Höcke von dort volle Unterstützung erhält. Die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla haben längst und wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie mit Höcke auf einer Linie liegen. Sie unterstützen ihn aktiv. Dabei hat Björn Höcke bereits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Gewaltherrschaft anstrebt, die sich in Zielen und Methoden am Nationalsozialismus orientiert.
Wie ist es möglich, dass Alice Weidel jetzt im Wahlkampf mit bisherigen Tabus bricht, sich Höckes Rhetorik annähert und sogar der Begriff Remigration nun offiziell im AfD-Parteiprogramm steht?
Die AfD hat sich seit ihrer Gründung 2013 fortschreitend radikalisiert, wobei die Radikalisierung schon früh einsetzte. Diejenigen, die Positionen wie Björn Höcke vertreten, haben den Kurs der Partei mittlerweile maßgeblich beeinflusst. Weidel macht dies bereits seit einiger Zeit auch nach außen immer wieder deutlich: Es gibt keinen Dissens mehr zwischen ihr und Höcke.
Was ist seit den letzten Bundestagswahlen passiert, das diese Radikalisierung innerhalb der Partei und bei ihren Wählern erklären könnte?
Diejenigen innerhalb der AfD, die die Radikalisierung der AfD von Anfang an zum Ziel hatten, wie etwa Höcke, konnten die Radikalisierung der Partei weiter vorantreiben. Dabei weiß die Partei die Zeit vielfältiger Krisen und die damit einhergehende Verunsicherung in der Bevölkerung für sich zu nutzen, indem sie immer weiter polarisiert und auf gesellschaftliche Spaltung setzt. Aus der Radikalisierung der Partei ist allerdings noch nicht zu schließen, dass sich auch sämtliche Wähler radikalisiert haben. Schließlich ist zu beachten, dass die AfD im öffentlichen Diskurs und in der Medienberichterstattung in Deutschland immer wieder verharmlost wird.
„Die Ziele der Partei werden häufig nur unzureichend thematisiert, die Gewaltbereitschaft der Partei wird regelmäßig ausgespart. In den Debatten über die AfD und im Umgang mit der Partei wird oftmals gar nicht klar, wer da zur Wahl steht, wie gefährlich die AfD tatsächlich ist”
Die Ziele der Partei werden häufig nur unzureichend thematisiert, die Gewaltbereitschaft der Partei wird regelmäßig ausgespart. In den Debatten über die AfD und im Umgang mit der Partei wird oftmals gar nicht klar, wer da zur Wahl steht, wie gefährlich die AfD tatsächlich ist. Hinzu kommt, dass sich die AfD auch immer wieder selbst verharmlost. Die AfD hat viele Gesichter. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie sich auf der lokalen Ebene als Kümmerer um die Belange und Sorgen der Menschen gibt.
Wer meinen Sie müsste mehr Aufklärungsarbeit leisten?
Diese ist dringend erforderlich in den Schulen, in den Universitäten und schließlich in sämtlichen Bildungsinstitutionen. Es muss viel deutlicher werden, wie gefährlich die AfD für unsere freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie tatsächlich ist. Es braucht auch mehr Aufklärungsarbeit durch Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften und Verbände, ebenso durch anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen.
Was macht die AfD radikaler und anders als andere rechtsextreme Parteien in Europa?
Die AfD verfolgt – in Anlehnung an nationalsozialistische Ideologie – das Ziel einer homogenen Volksgemeinschaft. Es hat sich mittlerweile ein Kurs durchgesetzt, der eine konsequente Durchsetzung der national-völkischen Ideologie anstrebt und damit auf massive Gewalt hinausläuft.
Wird Rechtsextremismus in anderen EU-Ländern anders definiert?
Ich habe keinen Überblick über die Definitionen von Rechtsextremismus in den anderen EU-Ländern. Nach der von mir erwähnten Definition geht es um einen spezifischen Extremismus, der sich gegen fundamentale Prinzipien der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie richtet, wie sie auch in der Europäischen Union rechtlich verankert sind.
Alice Weidel hat auf X versucht, sich mit absurden Behauptungen wie „Hitler war Kommunist“, abzugrenzen von nationalsozialistischem Gedankengut. Das ist natürlich Unsinn. Wie groß ist Ihrer Meinung nach heute die Nähe zur NSDAP in der AfD?
Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, die auf national-völkischer Ideologie basiert. Die Partei hat sich so weit radikalisiert, dass sie eine Gewaltherrschaft anstrebt, die sich in ihren Zielen und Methoden am Nationalsozialismus orientiert. Es gibt daher auch ideologische Übereinstimmungen sowie Parallelen im Handeln der AfD mit der NSDAP. Die AfD ist wie damals die NSDAP darauf aus, die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie in Deutschland zu zerstören.
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