Nachrichten Untersuchung | Illegaler Abholzung in Osteuropa

Wie die Holzmafia Europas letzte grüne Lunge zerstört

Der Osten Europas besitzt, was der Westen längst verloren hat: riesige Urwälder. Sie sind die letzten des Kontinents, wären in der Klimakrise unersetzlich, werden aber erbarmungslos abgeholzt. Teil des Milliardengeschäfts ist ein mafiöses System, das von Rumänien bis in die Ukraine reicht. Mitten drin: österreichische Holzunternehmen und deren diskrete Eigentümer.

Veröffentlicht am 3 September 2020 um 07:38

„Pass nur auf, wenn du allein in den Wald gehst. Dort kann es gefährlich sein. Es geschehen sonderbare Dinge. Manche sind von dort schon nicht mehr zurückgekehrt.“ Das sagten sie dem schlaksigen Mann mit der Brille. Er drohte auszupacken. Ein ganzes System offenzulegen: das des illegal geschlagenen Holzes und des Geschäfts damit. Der Mann war ein Teil dieses Systems. Doch er war bereit auszusteigen und dafür alles zu riskieren.

Dort, wo aus Bäumen Bretter werden, sind die Dimensionen gigantisch. Kolonnen von Sattelschleppern liefern Tag und Nacht Stämme an. Sie landen auf riesigen Lagerflächen, bevor Greifarme nach ihnen langen. Ein Computer vermisst die Stämme, ein Arbeiter im Führerhaus bewertet die Qualität des Holzes. Und schon schießen sie auf ein Förderband, werden gedreht und gewendet, ihrer Rinde beraubt und dem Kreislauf des Sägewerks zugeführt. 40 Baumstämme sind es pro Minute, 2.400 in einer Stunde, 28.800 in einer Schicht.

Der Hunger nach Holz ist groß bei Rumäniens wichtigstem Verarbeiter, einem Giganten seiner Branche. Und der ist Österreicher, Träger des Silbernen Ehrenzeichens der Stadt Wien, Besitzer nobler Palais in der Innenstadt und ein verschwiegener Mann: Gerald Schweighofer. Einen „stahlharten Holzbaron“ nannte das Wirtschaftsmagazin Trend den 61-Jährigen einmal in einem Artikel über den Aufstieg des Waldviertlers aus einfachen Verhältnissen.

Unschöner klingt das, was eine bloße Google-Suche nach „Schweighofer“ und „Rumänien“ ergibt. Es sind Berichte aus dem Mai des vergangenen Jahres, die damals alle Medien füllten. Sie handeln von Razzien der rumänischen Antimafia-Staatsanwaltschaft in seinen Werken. Der Vorwurf gegen Mitarbeiter von Schweighofer: Bildung einer kriminellen Vereinigung, illegaler Holzschlag, Steuerbetrug, unlautere Geschäftspraktiken. „Die Ermittlungen gegen die damaligen Mitarbeiter laufen, wir unterstützen den rumänischen Staat und geben dazu keine weitere Stellungnahme ab“, sagt einer, dem all das etwas peinlich zu sein scheint, der aber dem Unschönen am Ende seinen Job verdankt. Er heißt Michael Proschek-Hauptmann und ist seit 2017 Schweighofers Gesicht der Veränderung.

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Wo gehobelt wird, fällt eine Firma

Zuständig für Compliance und Nachhaltigkeit, ist er ein ausgewiesener Experte in Umweltfragen und eigens aus Wien angereist, um Addendum durch eines der Schweighofer-Werke im siebenbürgischen Sebeș zu führen. Besuche von Journalisten endeten dort bis vor kurzem bereits an der Einfahrt. Und Aktivisten, die der Spur des illegalen Holzes bis hierher gefolgt waren, wurden vom Werkschutz schon mal mit Pfefferspray angegriffen.

Die neu verordnete Devise lautet aber Offenheit. Denn der Verdacht wiegt schwer: Das österreichische Unternehmen trage Mitschuld an der Abholzung der letzten großen zusammenhängenden Wälder Europas. Schweighofer verlor das renommierte FSC-Gütesiegel (Forest Stewardship Council) als Nachweis für nachhaltig erzeugtes Holz. Auf den 110 Seiten des FSC-Untersuchungsberichts, der Addendum vorliegt, werden „klare und überzeugende Beweise“ angeführt, dass Schweighofer „systematisch (…) direkt und indirekt in den Handel mit illegalem Holz verwickelt“ war und in Verbindung stand „zu Personen und Firmen mit kriminellem und korruptem Hintergrund“.

Dabei ist das, was in Rumänien auf dem Spiel steht, ein einzigartiges Naturparadies, das angesichts des Klimawandels besondere Bedeutung bekommt. Denn hier haben Wölfe, Bären und Luchse ebenso noch eine Heimat wie viele anderswo längst ausgestorbene Pflanzen. Während Klima-Aktivisten bereits Fahrverbote in Städten fordern und zum „Flugshaming“ aufrufen, damit der CO2-Ausstoß gesenkt werden könnte, absorbiert eine einzige 150 Jahre alte Buche neun Tonnen CO2 – so viel wie 56.000 Kilometer Fahrt mit dem Auto ausstoßen.

Doch solche und noch weit ältere Bäume werden rücksichtslos abgeholzt. Denn diese Bäume sind auch ein Business – eines, das im Umfeld der Holzlieferanten Gier produziert, zu Gewalt führt, in Drohungen und gar einem versuchten Mord mündet.

Die Österreicher kommen

Wer die Geschichte des Raubbaus an den rumänischen Wäldern erzählen möchte, kommt an der Rolle der österreichischen Unternehmen und der dahinterstehenden Familien nicht vorbei. Sie reicht dorthin, worüber ein Michael Proschek-Hauptmann, Schweighofers Gesicht des Guten, ungern spricht. Und sie führt zur Frage nach der Verantwortung. Nicht nur von Schweighofer, sondern auch von weiteren heimischen Firmen.

Deren Namen sind einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, auch wenn sie in der globalen Verwertungskette des Holzes als Weltmarktführer ihrer jeweiligen Sparte gelten. Obwohl niemand von ihnen selbst einen einzigen Baum fällt, wird ihnen als Abnehmer eine wirtschaftliche Mittäterschaft bei der Abholzung der Wälder vorgeworfen.

317.000 Hektar an abgeholztem Wald hat die Online-Plattform „Global Forest Watch“ von 2001 bis 2017 auf Basis von Satellitenkarten für Rumänien errechnet. Das sind umgerechnet 444.000 Fußballfelder oder einmal mehr als ganz Vorarlberg. Die Hälfte dieser Bäume stand in Nationalparks und Naturschutzgebieten und war Jahrhunderte alt. Die Experten der amerikanischen Umweltschutzagentur EIA kämpfen auf der ganzen Welt gegen den Raubbau an der Natur. „Ob in Amerika, Asien oder Afrika, die Menschen sind bestürzt, wenn sie sehen, wie unser Planet zerstört wird. A

ber während die Abholzung der Regenwälder im Amazonas seit Jahren empört, wissen die Wenigsten, dass es in Europa noch Reste genauso wichtiger Urwälder gibt. Dass die meisten davon vor der Haustür in den Karpaten liegen und bedroht sind, bleibt eine unerzählte Geschichte“, sagt David Gehl von der EIA. In deren Berichten wird Schweighofer beschuldigt, „der größte Abnehmer illegalen Holzes“ gewesen zu sein und „über zehn Jahre lang die Unwahrheit über die Herkunft seiner Produkte verbreitet zu haben“.

260 Millionen abgeholzte Bäume

Die Anfänge gleichen wilden Jahren im Holz-Business, in denen die Größen der Branche ein neues Eldorado für sich entdecken – Rumänien, einen der ärmsten Staaten der EU. Da ist zum einen Schweighofer, der ab 2002 seine Sägewerke in Österreich verkaufte, den kolportierten dreistelligen Millionenbetrag dafür nahm und damit dort Strukturen schuf, die weit über die Dimensionen in Österreich hinausreichten. Rumäniens Politik sah die Ankunft der Österreicher gern. Immerhin verhinderten sie, dass sich aus den tausenden kleinen Sägewerken im Land Konglomerate bilden würden, deren Besitzer selbst auf die Idee kommen könnten, politisch mitspielen zu wollen. Heute hat Schweighofer mehr als 3.000 Mitarbeiter, einen Umsatz von zuletzt 762 Millionen Euro und fünf Fabriken hier. Deren Pellets, Schnitt-, Leim- und Profilholz gehen in die ganze Welt und finden sich auch in österreichischen Baumärkten.

Da ist weiters die Firma Kronospan. Sie gehört der Salzburger Industriellendynastie der Kaindls und ist mit einem Umsatz von mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr der weltgrößte Hersteller von Holzwerkstoffen, welche etwa auch Ikea bezieht. Gemeinsam mit ihrer Schweizer Schwesterfirma Swiss Krono sind die Kaindls einer der bestimmenden Player in den gesamten Karpaten.

Die Werke der österreichischen Holzverarbeiter im Karpatengebiet:

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Und da ist schließlich die Tiroler Firma Egger, ihre Konkurrentin. Sie steht im Besitz der Brüder Michael und Fritz Egger, welche einen globalen Konzern mit 18 Standorten in acht Ländern schufen. Auch sie stiegen in Rumänien ein und beliefern die Möbelindustrie, den Holzfachhandel und Baumärkte. Beide Firmen haben nicht zufällig ihre Werke direkt neben denen von Schweighofer platziert. Sie sind bis heute Teil einer Verwertungskette, erhalten von Schweighofer Sägespäne und Holzreste für die Weiterverarbeitung zu Platten und sind so miteinander verbunden.

Als die Claims schließlich abgesteckt waren, die Verträge unterschrieben und die für Korruption berüchtigte staatliche rumänische Forstgesellschaft Romsilva die Genehmigungen für Abholzungen erteilt hatte, ging es los – 260 Millionen Bäume wurden seit der Ankunft der Österreicher im Jahr 2003 in Rumänien gefällt.

Bedroht und verprügelt

„Wir wollen mit all dem nichts zu tun haben. Wir sind keine Urwaldmörder“, betont Schweighofer-Nachhaltigkeitsleiter Proschek-Hauptmann gleich zu Beginn. Er ist der Mann, der jedem Versuch, die Vergangenheit zu thematisieren, geschickt ausweicht. Lieber legt er Berichte vor, zeigt Zahlen, verweist auf ein eigens entwickeltes GPS-Trackingsystem für Lkw. Es soll die Herkunft jedes einzelnen Baums belegen und Schweighofers Läuterung untermauern, nun kein Holz mehr aus Nationalparks zu akzeptieren.

Je länger man ihm zuhört und je weiter man ihm durch die riesige Anlage des Werks in Sebeș folgt, desto eher ist man geneigt, ihm zu glauben. Wären da nicht Männer, die ihr Leben riskiert haben, um zu beweisen, wie der heimische Holzriese handelte, bevor er sich so auskunftsfreudig gab. Andrei Ciurcanu ist so ein Mann. Ein kräftiger Kerl, der selbst Holzfäller sein könnte, hätte er sich nicht der Mission verschrieben, jene aufzustöbern, die die Wälder seiner Heimat vernichten. Ciurcanu kämpfte sich oft Stunden durch die Wildnis, lag Tage auf der Lauer und verbrachte Monate damit, die Machenschaften zu dokumentieren.

Er ist es, der viele jener erschreckenden Filme drehte, die heute dort nur noch Mondlandschaften zeigen, wo einst Wälder aus wuchtigen Riesen standen.

Er und sein Chef Gabriel Paun von der Umweltorganisation „Agent Green“ wurden von Unbekannten bedroht und verprügelt. Einmal war die Bremsleitung ihres Autos durchschnitten. Ein anderes Mal erhielt Paun ein Mail mit dem Absender Florian Klenk. Er dachte sich nichts dabei, öffnete es und eine daran angehängte Datei des vermeintlichen Falter-Chefredakteurs aus Wien. Doch in Wirklichkeit stammte das Mail gar nicht von Klenk, sondern es handelte sich um eine Virus-Attacke, die erst sechs Gigabyte an Daten von Pauns Computer absaugte und ihn diesen danach nicht mehr starten ließ. Entsprechend vorsichtig sind Paun und Ciurcanu seither bei ihren Recherchen geworden.

„Schweighofer hat doch von Anfang an sein ganzes Businessmodell darauf aufgebaut, dass ihm Zulieferer illegales Holz legal verkaufen. Sie haben es gewusst, geduldet, ja mitunter gar gefördert. Und das behaupte nicht ich, sondern das bestätigen die Ermittler der Einheit gegen organisierte Kriminalität“, sagt Ciurcanu in Bukarest, noch vor dem Addendum-Werkbesuch bei Schweighofer. „Und auf einmal wollen sie ‚Green‘ sein?“ Ciurcanu betont jeden Buchstaben, damit klar wird, dass er ihnen nach all den Jahren auch dieses Wort nicht abnimmt.

Woher kommt das Holz wirklich?

Er verweist auf seine jüngsten Nachforschungen. Sie sollen belegen, dass sich nur der Modus operandi geändert hätte. Viele Zulieferer bringen das Holz nicht direkt aus einem Wirtschaftswald zu den Sägewerken, sondern nützen Lagerplätze, die sich auch am Rande der Nationalparks befinden. Dort sei es ihnen möglich, weiterhin legales mit illegal geschlagenem Holz zu vermischen, bevor es von dort sauber deklariert den Giganten geliefert wird. So gelänge es ihnen, etwa im Fall Schweighofer, die GPS-Trackingsysteme der Lkw zu umgehen, da diese erst den Weg vom Lagerplatz ins Sägewerk aufzeichnen. Schweighofer bezieht zudem weiterhin Holz von Lieferanten, die auch in Nationalparks einschlagen, verpflichtet diese aber dazu, dieses Nationalpark-Holz von dem anderen an den Lagerplätzen zu trennen. 

Später im Schweighofer-Werk in Sebeș hat Michael Proschek-Hauptmann die zwei Jahre seiner Tätigkeit als Nachhaltigkeitsmanager in zwei Stunden Führung gepackt. Er hat die Korruption im Land angeprangert, das eigene Sicherheitssystem gepriesen und glaubhaft gemacht, dass sich die Firma redlich bemüht, sich von den Verfehlungen der Vergangenheit zu lösen. Noch 2015 zeigte ein heimlich gedrehtes Video der EIA, wie Schweighofer-Manager bei Verhandlungen mit vermeintlichen Zulieferern bereit schienen, außerhalb der Verträge auch Holz aus dubiosen Quellen zu akzeptieren. Proschek-Hauptmann bestreitet dies: „Das Einzige, was der entsprechende Manager darin zugestand, war, dass Mengen abgenommen werden, die über den Vertrag gehen. Das ist eine gängige Praxis in der Branche.“ Der Manager habe Schweighofer gegenüber sogar eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass das Gespräch in keine andere Richtung verlaufen sei. Erstaunlich daher Proschek-Hauptmanns darauffolgende Erklärung, sich von dem Manager, den Schweighofer für unschuldig hält, trotzdem getrennt zu haben.

Auch bei den in Kritik stehenden Holzlagerplätzen behauptet Proschek-Hauptmann, alles im Griff zu haben. „Das sind streng regulierte Einrichtungen, wo Registerbücher geführt werden, Zulieferungen vermerkt sind und alles überprüft werden kann.“ Fast die Hälfte von Schweighofers rumänischem Holz, das zur Weiterverarbeitung auch bei den Nachbarfirmen Kronospan und Egger landet, kommt eigenen Angaben zufolge jedoch nicht direkt aus den Wäldern, sondern eben von solchen Lagerplätzen. Die EIA erachtet es daher als naiv, dass sich die heimischen Unternehmen im häufig korrupt-kriminellen Umfeld ihrer rumänischen Zulieferer plötzlich auf deren Ehrlichkeit verlassen.

Die Umweltorganisation wirft ihnen vor, mit Firmen im Geschäft zu bleiben, die weiter in Nationalparks abholzen. Proschek-Hauptmann stockt kurz und sagt: „Wir haben interne Kontrollsysteme und eine Teilmaßnahme entwickelt, dass jeder Betreiber eines Lagerplatzes mindestens einmal im Jahr, und bei Verdacht auch öfter, von uns besucht wird.“ Nach Angaben von Schweighofer hätte dies zuletzt in Konsequenzen gemündet: acht von ihren insgesamt etwa 650 Lieferanten seien suspendiert worden. Doch bis heute ist es dem Unternehmen nicht möglich, bei der Hälfte seines rumänischen Holzes die Herkunft des einzelnen Stammes mit seinem GPS-Trackingsystem zu überprüfen.

Wenig Wind, viel Holz

Es ist spät geworden in Sebeș, der kleinen Stadt in Transsylvanien, die mit Schweighofer und Kronospan gleich zwei österreichische Holzfirmen nebeneinander beherbergt. Matthias Schickhofer ist eingetroffen. Der Niederösterreicher ist Fotograf und hat mehrere Bücher herausgegeben. In ihnen zeigt er die Schönheit von Europas letzten Urwäldern und beschreibt deren Bedrohung. Mit Rumänien beschäftigt er sich schon lange, arbeitet mit der deutschen Naturschutzstiftung „Euronatur“ zusammen und organisiert nun hier eine Tagung von Wissenschaftlern zum Urwaldschutz. Denn es mögen zwar zwei Drittel der verbliebenen Urwälder Zentraleuropas in Rumänien liegen, das sind bis zu 200.000 Hektar – geschützt davon ist aber gerade einmal ein Zehntel.

Am Computer zeigt Schickhofer mit dem Programm Google Earth, worin das Problem besteht. Auf dem Schirm fliegt er über die dicht bewaldeten Karpaten und zoomt hinein. Dort, wo vor wenigen Jahren noch dichter Buchenwald stand, klaffen plötzlich Löcher, die wie braune Flecken inmitten des Grüns wirken. „Diese Einschläge liegen alle in Natura-2000-Schutzgebieten oder Nationalparks. Oft passiert das mit fadenscheinigen Begründungen“, sagt Aktivist Schickhofer, „kleinflächiger Borkenkäferbefall oder Sturmschäden werden von den Staatsforsten gern als Ausrede benutzt, um ganze Hänge sukzessive abzuholzen“. Er verschiebt den Zeitraffer auf dem Schirm weiter nach rechts, sodass aktuelle Satellitenaufnahmen des Gebiets auftauchen – und plötzlich ist dort, wo zuvor Urwald stand, alles verschwunden. Aus der Wunde im Wald ist auf dem Bild eine einzige braune Fläche geworden, Kahlland.

„Brüssel müsste Druck machen, damit dem Konglomerat aus Staatsforsten, alten Netzwerken und korrupten Clans der Weg versperrt wird, die letzten Reste dieser Urwälder zu vernichten. In Polen war das erfolgreich, und der Europäische Gerichtshof hat Abholzungen im Natura-2000-geschützten Wald von Białowieża mittels hoher Strafdrohungen gestoppt.“

In einer transsylvanischen Nacht

Damit Korruption klappt, braucht es immer einen, der Geld anbietet und einen anderen, der es auch einsteckt. Eine allzu simple Erkenntnis, die in dieser Nacht am Rande von Sebeș aufflackert. Der Quartiergeber wurde uns empfohlen. Er ist ein grüner Gemeinderat. Durch die Dunkelheit weist er im schwarzen BMW X5 samt Lederausstattung den Weg zu seinem Domizil. Anfangs lässt er fein für die Gäste aufkochen, schimpft dann ein wenig auf die österreichischen Unternehmen in der Stadt, erzählt später von seiner eigenen Firma in Frankreich und seiner speziellen Rolle im Gemeinderat. „Dort gibt es neun Sozialdemokraten, neun Liberale – und mich.“ Ein Schmunzeln huscht kurz über sein Gesicht: „Sie brauchen mich bei jeder Abstimmung.“

Doch getan hätte der einzige Grüne in all den Jahren nichts, sagt am nächsten Morgen Ana Haţegan empört. Die Frau steht an einer dicht befahrenen Straße, über die voll beladene Sattelschlepper mit dicken Baumstämmen donnern. Sie steuern die Tore des österreichischen Spanplattenherstellers Kronospan an. Aus dessen Schloten dringen dichte Rauchschwaden zum Himmel. Vor diesen hat die Frau Angst. Denn die Firma produziert hier Formaldehyd, welches sie zum Leimen der Spanplatten verwendet. Die Chemikalie wird von der WHO ab einer gewissen Konzentration als krebserregend eingestuft.

Als der Krebs in die Stadt kam

„Als Bürgerinitiative kämpfen wir seit mehr als zehn Jahren dagegen, haben Proteste organisiert zu denen die halbe Stadt kam. Das ist ein Wohngebiet, hier leben Kinder und wir haben keinen Grund, den offiziellen Messwerten zu trauen“, schildert Haţegan und berichtet, dass Kronospan das Werk mit einer jährlichen Produktionsmenge von 30.000 Tonnen Formaldehyd anfangs ohne jede Umweltverträglichkeitsprüfung errichten konnte. „In unseren Behörden sitzen Leute, die sich leicht biegen lassen und die Teil des alten Systems sind.“ Rumänien landete wegen dieses Bruchs der Umweltvorschriften vor dem EU-Gerichtshof, was wie ein Etappensieg schien. Dann gab Kronospan bekannt, die Formaldehyd-Produktion in Sebeș noch zu verdoppeln und dafür eine in Frankreich ausgemusterte Anlage zu kaufen. „Die Luft war schon damals schrecklich, Abwässer gingen in den Fluss und wir erneut auf die Straße. Wir reichten Klagen ein, forderten unabhängige Messungen, da uns die Behörden tatsächlich glaubhaft machen wollten, dass die Abgaswerte gleich blieben, auch wenn sie die Produktion verdoppelten.“

Was Haţegan erzählt, ist der erschöpfende Kampf von einfachen Bürgern gegen einen globalen Konzern, der von der lokalen Politik unterstützt wird und sich so über Hindernisse hinwegsetzt. Sie zeigt Dokumente aus dem Kreiskrankenhaus. Diese lassen den Verdacht aufkommen, dass die Zahl der Atemwegsbeschwerden sprunghaft angestiegen und ein Großteil der Ortsbewohner betroffen sei. Weitere Untersuchungen ergaben, dass auch die Zahl der Krebsfälle in Sebeș über dem Durchschnitt des Kreises liege. „Du läufst und läufst“, sagt die zierliche Ana Haţegan, „kämpfst, besorgst Unterlagen, liest dich ein, um komplizierte Verfahren überhaupt einleiten zu können und erreichst doch nichts. Sie sagten mir, es braucht unabhängige Messungen über ein ganzes Jahr hinweg, die 10.000 Euro kosten. Woher bitte soll ich das Geld dafür nehmen? 2017 kam es zu einer Explosion im Kronospan-Werk und selbst das änderte nichts. Wir atmen weiter Luft ein, die uns krank macht.“

Versperrte Tore bei Kronospan

Matthias Schickhofer hat die ganze Zeit, in der Haţegan sprach, die Zufahrt zum Kronospan-Werk beobachtet und ist erschüttert. Mittlerweile hat sich dort eine lange Schlange von Sattelschleppern voller Holzstämme gebildet. Es sind meist dicke Buchen und Eichen, die auf dem riesigen Lagerplatz der Firma landen. „Bäume, die so aussehen, stammen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus alten Wäldern und möglicherweise auch aus Urwäldern“, erklärt Schickhofer, „es wird zwar von Kronospan behauptet, kein Holz aus Urwäldern, Nationalparks und anderen Schutzgebieten zu verwenden, aber wenn ich mir das Lager hier ansehe, kommen mir große Zweifel. Ein Lkw-Fahrer hat mir gerade berichtet, dass die großen Buchen auf seinem Truck aus dem Natura-2000-Gebiet Tarcu-Berge kommen. Dort gibt es letzte Urwälder und viele Abholzungen.“

Im Unterschied zur Holzindustrie Schweighofer, die einem Werksbesuch zustimmte und bereit ist, sich Fragen offen zu stellen, kam ein solches Treffen bei Kronospan nicht zustande. Schon einmal ist dem grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz im Vorjahr eine Nachschau verweigert worden. Bei der Addendum-Anfrage sei es diesmal „zu einer bedauerlichen Terminkollision gekommen, weil zur selben Zeit ein Managementtreffen in der Slowakei stattfindet“, erklärt am Telefon David Brenner, der für die Familie Kaindl und Kronospan in Deutschland tätig ist.

Es handelt sich um Salzburgs einstigen stellvertretenden Landeshauptmann, der als Zukunftshoffnung der SPÖ galt, bevor er 2012 als Finanzlandesrat über Swap-Deals stolperte. Als 340 Millionen Euro Steuergeld durch Spekulationen verloren waren, erklärte Brenner seinen Rücktritt und stieg bei Kronospan ein. Dort, so schreibt dessen rumänische Managerin in einem Mail, würden „alle gesetzlichen Vorgaben, sowohl national als auch europäisch, respektiert und mit den Behörden und der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet, sofern es notwendig und erwünscht ist“.

Zu darüber hinausgehenden Stellungnahmen von Kronospan zu den Vorwürfen im Text kam es nicht. Trotz mehrmaliger Fristverlängerung blieb eine Addendum-Anfrage unbeantwortet. Kurz vor Redaktionsschluss meldete sich schließlich David Brenner und teilte mit, dass das Unternehmen es vorzieht, sich nicht zu äußern. 

„Wir werden dich umbringen“

Um wirklich zu begreifen, welches Ausmaß das illegale Abholzen hat, lohnt ein Blick in unveröffentlichte und Ende des Vorjahres Aktivisten zugespielten Zahlen. Sie stammen aus dem unter Verschluss gehaltenen rumänischen Forstinventar und besagen, dass zwischen 2014 und 2018 38,6 Millionen Kubikmeter Holz im Jahr aus den Wäldern geholt wurden. Legal durch Forstnutzungspläne zugelassen waren nur 18 Millionen. Das bedeutet: Noch einmal so viel ist illegal eingeschlagen worden. 20 Millionen Kubikmeter pro Jahr wären demnach nichts anderes als Mafia-Holz.

Es braucht einen Menschen, der das in Beziehung setzt. Der weiß, wie dieses System in der Praxis funktioniert. Es braucht einen, der es von innen kennt, ja, der ein Teil dieses Systems war. Es geht tief in den Wald. Zwischen Bäumen wartet ein groß gewachsener, schlaksiger Mann mit Brille. Er heißt Mihail Hanzu, ist ausgebildeter Forstingenieur und arbeitete als Forstinspektor für eine Gemeinde in der Nähe von Sibiu/Hermannstadt. Was er dort erlebte, ist die Geschichte von Rumäniens Wäldern, erzählt in den 8.000 Hektar, die er betreute. „Als ich dort anfing, brauchte ich zwei Monate, um einen Verdacht zu schöpfen, vier, um Gewissheit zu erlangen, und sechs, bevor sie mir damit drohten, mich umzubringen.“ Hanzus Fehler? Er lüftete das wichtigste Geheimnis: wie aus illegal geschlagenem Holz legales wird, und wie sich damit Millionen verdienen lassen.

„Es war ein komplettes System, vom Bürgermeister bis zu meinen Kollegen der Forstverwaltung. Ich fand mehr als 50 Wege, wie sie bei ihren Fälschungen vorgingen. Der häufigste ist, Volumina bewusst zu untertreiben. Sie markieren also einen Baum zum Fällen. Schreiben in die Dokumente, er messe 18 Meter, auch wenn es in Wahrheit 40 sind, und er habe einen Durchmesser von 25 Zentimetern, auch wenn es tatsächlich 50 sind. Die Differenz ist viel Geld, und dieses fließt in ihr System. Die Gemeinde erteilt dann die Genehmigung zum Abholzen, die Firmen verkaufen das Holz an Zwischenhändler, die lagern es in ihren Sammelplätzen und liefern es später ganz legal deklariert an die Sägewerke. In unserem Fall ging vieles an Schweighofer.“

Mihail Hanzu, ein rechtschaffener Mann, war erschüttert, als er die Ausmaße erfasste. Heimlich schlich er in die Wälder, maß nach und fand gewaltige Flächen, die illegal abgeholzt wurden. Bis er sich weigerte, die Dokumente, welche den Betrug deckten, weiter zu unterzeichnen. „Wir standen im Wald vor den Stümpfen von illegal gefällten Bäumen. Ich, mein Chef, ein weiterer Forstinspektor und der örtliche Polizist. Ich sagte, ich würde da nicht mehr mitspielen.“ Sein Kollege drehte sich zu ihm und zischte: „Wenn du es nicht tust, suche ich mir zwei Zigeuner, die dich im Wald umbringen werden.“

„Was ist die Mafia dann?”

Es folgten weitere Drohungen, psychischer Druck und die Angst, jeder weitere Tag im Wald könnte sein letzter sein. Bis es Hanzu reichte. Er kündigte, ging zu den Ermittlern, wollte auspacken und das System stoppen, das allein in seiner kleinen Gemeinde in einem Jahrzehnt acht Millionen Euro abgeschöpft haben dürfte. Im Büro der Kriminalisten hing eine Kamera. Sie zeichnete alles auf. Plötzlich kam eine Frau herein. Sie meinte, macht die Befragung doch in einem anderen Büro.

Also gingen sie hinaus auf den Gang. Hanzu und der Beamte standen dort allein und unbeobachtet. Dann sagte der zu ihm: „Es gibt kein anderes Büro. Verschwinden Sie!“ Danach geschah lange nichts. Durch Zufall gelangte Hanzu an einen anonymen Brief, der ihn in bester Securitate-Manier als „Volksschädling“ und „psychisch Kranker“ diffamierte und der an die Ministerin gerichtet war. Erst später stellte sich heraus, dass alles, was Hanzu behauptet hatte, der Wahrheit entsprach.

Fragt man ihn, ob es sich bei diesem System um einen Einzelfall oder eine Mafia handle, zögert Hanzu in seiner ruhigen Manier kurz. Dann sagt er: „Wenn das keine Mafia ist, was ist die Mafia dann? Es ist ein Netz der organisierten Kriminalität, das großflächig die Wälder vernichtet, sich bereichert und den Punkt, an dem sich das noch aufhalten ließe, längst hinter sich gelassen hat.“ Mihail Hanzu ist ein Whistleblower, einer, der ausgepackt hat, weil er den Wald liebt, ihn studiert hat, seinen Wert für das Klima kennt und ihn erhalten sehen möchte.

Spricht man ihn auf die Rolle der österreichischen Unternehmen in diesem System an, fällt es ihm schwer, deren Beteuerungen zu glauben. „Sie pumpen das Geld in dieses System. Selbst wenn sie wollten, könnten sie es nicht mehr stoppen, es ist zu groß, es reicht über das ganze Land. Aber als diese Firmen nach Rumänien kamen, wussten sie, was hier geschieht. Du kommst nicht hierher, um ein ehrliches Business zu machen, dafür hätten sie auch in Österreich bleiben können.“

Die vergiftete Forstministerin

Die Zerstörung der Natur und des Ökosystems werden in dieser Logik zu einem Kollateralschaden, zu einem Nebenprodukt der Gier. Wer diesem System zur Gefahr wird, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Egal ob Umweltaktivist, Forstinspektor oder gar Minister.

Anfang Jänner 2018 trat die rumänische Forstministerin Doina Pană überraschend zurück. Zuvor hatte sie versucht, rigoros gegen illegale Abholzungen vorzugehen. Sie sei plötzlich erkrankt, hieß es damals, Krebsgerüchte machten die Runde. Bis vor wenigen Wochen die wahre Geschichte an die Öffentlichkeit drang. Die Ex-Ministerin hatte lange geschwiegen, weil sie einen Imageschaden für Rumänien befürchtete. Jetzt schildert sie in einem Interview, wie sie sich im Herbst 2017 schlagartig immer schlechter fühlte, Herzrasen bekam, die Ärzte rätselten und sie fürchtete, sterben zu müssen. Sie trat zurück. Erst nach ihrem Rücktritt lieferten umfangreiche Tests und ein toxikologisches Gutachten ein unglaubliches Resultat: Die Ministerin dürfte über einen längeren Zeitraum mit hochdosiertem Quecksilber vergiftet worden sein.

Im Interview mit der Plattform „Ziar de Cluj” kommt für die mittlerweile genesene Politikerin nur die Holzmafia als mögliche Auftraggeberin ihrer Ermordung in Frage. Die von ihr neu erlassenen Auflagen hätten den illegalen Einschlag erschwert und den Kartellen „riesige Verluste” beschert. Sie verweist auch auf das von ihr gegen Schweighofer eingebrachte Monopolgesetz, welches dem Giganten den Aufkauf von Rundhölzern erschwerte: „Allein diese eine Änderung im Zivilgesetz hat Schweighofer 150 Millionen Euro im Jahr gekostet.

Dieser Betrag zirkulierte auch in einem Brief, den sie dem damaligen Premierminister Victor Ponta schickten. Ich habe diese Maßnahme trotzdem umgesetzt. Klar, sie haben mich nicht geliebt, natürlich haben sie mich nicht geliebt. Ich habe gesehen, dass sie mich mit allen möglichen Mitteln diskreditieren, aber ich habe mir niemals gedacht, dass sie so weit gehen.” Doina Pană wollte gegenüber Addendum ihre Anschuldigungen mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen nicht weiter kommentieren. Schweighofer bezeichnet gegenüber Addendum ihre Vorwürfe als „absurd” und behält sich „rechtliche Schritte” vor.

Die EU und das Mafia-Holz

Mittlerweile stehen die heimischen Giganten in Rumänien aber vor einem Problem: Ihnen geht das Holz aus. Bei Schweighofer gibt man an, bereits mehr als die Hälfte importieren zu müssen, und führt das auf die rumänische Bürokratie zurück. Aktivisten vermuten den Grund eher darin, dass der hohe mediale Druck, die strengeren gesetzlichen Vorgaben und die laufenden polizeilichen Ermittlungen es erschweren, weiterhin auch an Holz aus diffusen Quellen zu gelangen. Jedenfalls wird der Rohstoff nun in großen Mengen aus Ländern wie etwa der Slowakei oder Tschechien importiert.

„Bei den Importen greift aber das von Schweighofer in Rumänien etablierte Trackingsystem gleich gar nicht, sodass die Herkunft des Holzes erneut kaum nachvollziehbar ist. Das ist besorgniserregend, da es gerade auch in der Slowakei zu großflächigen Abholzungen kommt. Teile der Hohen und Niederen Tatra wurden schon vernichtet, und Nationalparks sind dort ebenso wenig tabu wie in Rumänien“, warnt Johannes Zahnen, Waldexperte beim WWF. Ihm ist unbegreiflich, weshalb die bereits 2013 beschlossene EU-Holzhandelsverordnung bis heute keine Wirkung zeigt. Ihr Ziel wäre es eigentlich, den Handel mit illegalem Holz in der EU zu stoppen. „Während etwa die USA Millionenstrafen ausstellen und auch die EU-Verordnung explizit solch abschreckende Strafen wünscht, suchen bei uns zwar viele Ermittler nach illegalem Holz, finden aber scheinbar nichts. Viele Hinweise kommen von NGOs, doch auch dann tut sich wenig. Die EU-Staaten setzen die Verordnung nur lückenhaft um.“

Ein ukrainischer Traum von Belize

Noch vor einiger Zeit galt auch die Ukraine als wichtiges Lieferland. Bei Schweighofer und Egger führen die Gleise der ukrainischen Breitspur praktischerweise bis direkt in deren Werke in Rădăuți, im Norden von Rumänien. 80 Eisenbahn-Waggons voller Holz gelangten so pro Tag allein zu Schweighofer, wie die Umweltschutzorganisation Earthsight herausfand. Die Familie Kaindl eröffnete erst kürzlich ein neues Spanplattenwerk in Ungarn, ebenfalls gleich an der Grenze zur Ukraine.

Doch auch in den dortigen Karpaten kommt es zu riesigen Kahlschlägen. Die staatliche ukrainische Forstverwaltung erweist sich als ebenso korrupt wie die rumänische. Deren einstiger Chef war der Tennispartner des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und besonders erfinderisch, wenn es darum ging, an Bestechungsgelder zu gelangen. „Um Holz weit unter dem Marktpreis zu erhalten, waren ausländische Konzerne bereit, Zahlungen an Briefkastenfirmen zu leisten, die im Namen der Ehefrau des Forstchefs in Belize und Panama eingerichtet wurden“, sagt Tara Ganesh von Earthsight, „der Forstchef wird beschuldigt, so zwischen 2011 und 2014 insgesamt 13,6 Millionen Euro an Bestechungsgeldern von vier Holzfirmen kassiert zu haben – eine davon hieß Schweighofer.“

Diese war laut den Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft Kiew-Pechersk zu dem Zeitpunkt der größte Abnehmer von ukrainischem Holz. Den Einkauf soll Schweighofers slowakische Joint-Venture-Firma Uniles s.r.o abgewickelt haben, von wo auch die Zahlungen an die Scheinfirmen erfolgt sein sollen. Schweighofer selbst weist die Unterstellung von Schmiergeldzahlungen „scharf zurück” und  gibt an, bei einer Prüfung ihrer slowakischen Tochter „nichts darüber gefunden zu haben”. Es ließe sich nicht feststellen, ob Uniles in einer Geschäftsbeziehung zu den genannten Scheinfirmen stand. Sollten in der Slowakei Ermittlungen dazu eingeleitet werden, ist Schweighofer zur Kooperation mit den dortigen Behörden bereit.

Mehr Mafia-Holz aus den Karpaten als aus den Tropen

Mit dem Sturz von Janukowitsch 2014 setzte sich auch dessen Forstchef ab und blieb flüchtig. Er wird mit Haftbefehl gesucht, das Verfahren gegen ihn nun in Abwesenheit eröffnet. Seither zeigten sich die wahren Ausmaße des Kahlschlags in den Karpaten. Der öffentliche Druck führte dazu, dass die Ukraine ein Exportverbot für Rundhölzer verhängte. Das stellte insbesondere deren Großabnehmer jenseits der Grenze in Rumänien vor gewaltige Probleme. Sie heuerten Lobbyisten an, die auf EU-Ebene Druck auf Kiew machten, das Exportverbot aufzuheben. Auch falsch deklarierte „Geisterzüge“ voll mit Baumstämmen fanden des nächtens den Weg über die Grenze. Zudem wurde ein Forstdirektor auf frischer Tat ertappt, als er Polizisten 10.000 Dollar „Tribut“ offerierte, wenn sie die Augen vor illegalen Einschlägen verschließen würden.

Da nur ukrainisches Brenn- und Schnittholz vom Exportverbot ausgenommen ist, steigen dessen Exportzahlen frappant an. Höherwertiges Holz wird bewusst falsch als solches deklariert. Dubiose Zwischenhändler wickeln schließlich mittels Briefkastenfirmen dessen Export in die EU ab, wie Earthsight ermittelte. Berechnungen und Exportstatistiken zeigen, dass aus der Ukraine aktuell mehr illegal geschlagenes und gehandeltes Holz in die EU eingeführt wird als aus den Tropen. Die kriminellen Strukturen dahinter seien mittlerweile derart perfekt, dass Akteure auf allen Ebenen Teil des Betrugs sind – vom Anwalt bis zum Banker, vom Forstchef bis zu den Verantwortlichen beim Zoll und den Staatsbahnen.

Nachhaltig vernichtet

Wer sehen will, welche Folgen all das auch in Rumänien hat, hängt sich am besten an einen Dacia Duster, der über eine immer enger werdende Straße tief hinein in ein Tal fährt. Der Weg ist holprig, und seine Ränder sind voller Bierflaschen aus Plastik. „Die stammen noch von den Holzfällern“, sagt Horea Petrehus, ein rothaariger Mann im Lodenmantel und mit Tirolerhut, der erst Rumänisch sprechen muss, damit man ihm glaubt, dass er aus der Gegend stammt. Er und seine Freunde fahren oft diesen weiten Weg ins Tal, stellen den Wagen ab und wandern durch letzte Fichtenwälder hoch bis zu dem, was sie nur die Apokalypse nennen.

Es zeigt sich eine gewaltige Fläche der Abholzung. So weit das Auge reicht, sind nur Gestrüpp und Baumstümpfe geblieben, sonst nichts. „Ist es das, was Herr Schweighofer gern nachhaltig nennt?“, fragt Horea und klärt auf, was er hier beobachtet hat: „Wir sind im Apuseni-Gebirge, im Tal der Bären. Doch Bären gibt es hier schon lange keine mehr. Vor acht Jahren bot ein Sturmschaden eine gute Gelegenheit. Männer mit viel Geld kamen, und bald folgten ihnen Holzfäller. Am Ende waren es Tausende Lkws, die zu Schweighofer fuhren. Und das ist das, was blieb. Kein ordentliches Aufräumen, auch nach so vielen Jahren kein Aufforsten des Gebiets”, behauptet Horea, der Forstmanager ist und Biodiversität studiert hat.

Horea hat uns hierher geführt, nachdem Michael Proschek-Hauptmann beim Werksbesuch Schweighofers Nachhaltigkeit gelobt hatte und von der Verpflichtung sprach, „dass der Bestand erhalten bleibt und jede Fläche, die geerntet wurde, wieder zu beforsten ist.” Im Nachhaltigkeitsbericht der Firma klingt das etliche Dimension kleiner, wenn dort von bisher 196.000 Euro die Rede ist, die Schweighofer selbst in Pflanzungen investierte. Im Apuseni-Gebirge zeigen sich die Folgen. Nahmen die Wälder einst das Regenwasser wie einen Schwamm auf und gaben es konstant an die Böden ab, kommt es nun häufig zu Sturzfluten, die alles überschwemmen. Hunderte Menschen, die zuvor in dem Gebiet vom Sammeln und dem Verkauf von Pilzen lebten, verloren ihre Existenz.

„Alles hängt hier mit allem zusammen. Jeder umgefallene Baum, jeder Ast und jeder Pilz erfüllt eine Funktion in einem komplexen Ökosystem. Die uralten, wuchtigen Bäume sind über Pilznetzwerke miteinander verbunden, kommunizieren und kooperieren. Sie nehmen große Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf, stabilisieren so unser Klima und bilden hier in den Karpaten die grüne Lunge Europas“

„Es ist unmoralisch, wenn Firmen wie Schweighofer nun sagen, sie wüssten von all dem nichts. Waren sie denn nie neugierig, von wo all ihr Holz kam, wollten sie nie erfahren, wie es dort aussieht?“ Horeas Zorn ist nicht aufgesetzt oder gespielt. Es ist die Wut eines Mannes, der die Wälder kennt und sieht, wie sie vor seinen Augen verschwinden. „Wenn Schweighofer nun behauptet, sie hätten sich geändert, dann sehe ich davon nichts. Sie sollten dort anfangen, wo sie alles zerstört zurückließen, und nicht mit PR-Kampagnen, schönen Papieren und netten Berichten in den Zeitungen. In Rumänien gibt es hunderte Plätze wie diesen.”

Konfrontiert mit diesen Vorwürfen, bestätigt Michael Proschek-Hauptmann, dass Schweighofer nach einem Sturm im Jahr 2011 tatsächlich Holz aus diesem Gebiet bezog. Der Großteil der Fläche sei vom Grundbesitzer, der entsprechenden Forstverwaltung, wie vorgeschrieben auch  wieder aufgeforstet worden. Schweighofers Experten hätten bei einer Inspektion vor Ort aber festgestellt, dass „die zum Teil sehr jungen Aufforstungen auf Distanz nicht sichtbar sind, aber bei Detailbetrachtung klar verifiziert werden können.” Bei dem von Addendum besuchten Gebiet handle es sich laut Schweighofer um weniger als fünf Prozent der Fläche, die noch nicht wieder aufgeforstet sei. Auch dort würde das Pflanzen aber bald beginnen.

Im letzten Urwald

Was auf dem Spiel steht, zeigt der nächste Tag hunderte Kilometer weiter südlich. Aktivist Schickhofer marschiert mit einer Gruppe internationaler Wissenschaftler, für die er die Konferenz zum Urwaldschutz organisierte, durch das Arpasul-Tal im Făgăraș-Gebirge. Es ist etwas, was in Österreich auf 1.500 Hektar geschrumpft und bis auf den Nationalpark Kalkalpen kaum öffentlich zugänglich ist – ein echter Urwald, riesenhafte Bäume, die schon standen, als Maria Theresia noch über Siebenbürgen herrschte. Es ist ein vom Menschen unberührtes Gebiet, das seit Jahrtausenden sich selbst überlassen bleibt und in dem die Natur beweist, dass sie die beste Waldmanagerin ist.

Der Grund für den Besuch: Wissenschaftler der Universität Prag führen in dem Tal Langzeit-Untersuchungen im Rahmen des größten Urwaldforschungsprojekts in Europa durch. Sie versuchen zu verstehen, wie die unberührten Wälder mit Störungen wie Wind und Dürre umgehen. In Zeiten des Klimawandels sind das bedeutende Fragestellungen. Gerade auch, seit jüngst ein neuer UN-Bericht zur Artenvielfalt alarmierende Erkenntnisse lieferte. Die 145 Wissenschaftler des Weltbiodiversitätsrates zeigen darin erstmals, dass eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Die Experten warnen in dem Bericht vor „gravierenden Folgen für die gesamte Menschheit“, die weit über reine Umweltaspekte hinausgehen, da sie die politische Stabilität schwächen und Migrationsströme auslösen. Hauptursache des Artenverlusts ist die Vernichtung der letzten verbliebenen Naturräume durch den Menschen.

Das verdeutlicht sich auch im rumänischen Urwald. Dort ist nur ein Teil des wilden Tales geschützt und die Forscher fürchten um ihre Untersuchungsflächen. Die komplexen ökologischen Vorgänge in natürlichen Wäldern geben der Wissenschaft immer noch Rätsel auf, und die Urwälder, in denen sich diese studieren lassen, gibt es in Europa kaum mehr.

Wunderwelt Wald

„Alles hängt hier mit allem zusammen. Jeder umgefallene Baum, jeder Ast und jeder Pilz erfüllt eine Funktion in einem komplexen Ökosystem. Die uralten, wuchtigen Bäume sind über Pilznetzwerke miteinander verbunden, kommunizieren und kooperieren. Sie nehmen große Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf, stabilisieren so unser Klima und bilden hier in den Karpaten die grüne Lunge Europas“, erklärt Schickhofer. Ihm und den Wissenschaftlern geht es darum, möglichst rasch möglichst viele Urwälder zu erfassen, um deren Schutzstatus sicherzustellen. Doch das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Denn solange das nicht geschieht, kann die staatliche Forstverwaltung selbst hier jederzeit Genehmigungen für Abholzungen erteilen. Genau das passiert täglich in Rumäniens Nationalparks und Natura-2000-Gebieten, in denen nur kleine Waldflächen streng geschützt sind.

Das Befüllen des Urwaldkatalogs dümpelt jedoch vor sich hin. Derzeit sind gerade mal 30.000 Hektar inkludiert, das ist nicht einmal ein halbes Prozent der rumänischen Wälder oder ein Fünftel der verbliebenen Urwälder. Die Experten beklagen bürokratische Hürden und wenig Interesse seitens der Prüfungskommission im Waldministerium, die zynischerweise zugleich auch die Genehmigungen für Abholzungen ausstellt. Noch verfügt Rumänien über 120.000 bis 200.000 Hektar an solchen Urwäldern, genaue Zahlen gibt es mangels aktueller Erhebungen durch die Behörden nicht. Weitere 300.000 Hektar sind „Naturwald“, wie man ihn im Westen Europas kaum mehr findet. Kein Land in der EU hat noch einen vergleichbaren Waldschatz.

Auf dem Weg zurück wird klar, was den Wissenschaftlern Sorge bereitet. In den Pfad graben sich bald dicke Furchen von Bulldozern, erste Holzlagerplätze tauchen auf, Seilwinden führen hoch in die Berge, und dicke wuchtige Stämme liegen schon gefällt auf dem Boden – die Holzfäller haben auch hier ihre Claims bereits abgesteckt.

👉 Originalartikel im Addendum.

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