Bild: PE, Electrofervor

Hüte dich vor Doppelsprech

In allen europäischen Sprachen gehören Ausdrücke wie "Klimawandel", "Fairer Handel" und "Kindersterblichkeit" zu unserem alltäglichen Sprachgebrauch. In The Independent schreibt Johann Hari, dass sich hinter diesen Begriffen politische Absichten verstecken, welche die Weise bestimmen, auf welche wir die Welt wahrnehmen. Es ist höchste Zeit, diese über Bord zu werfen.

Veröffentlicht am 15 September 2009 um 15:46
Bild: PE, Electrofervor

Auch Sprache braucht hin und wieder einen Frühjahrsputz. Dabei sollten wir die Redewendungen wie den am Boden festklebenden Schmutz abkratzen und die veralteten Metaphern wegschmeißen, die hinter das Sofa gefallen sind und dort verrotten. Schon George Orwell hatte darauf hingewiesen, dass Sprache im Laufe der Zeit zwangsläufig in Unordnung gerät und dann Redewendungen enthält, die ihre Bedeutung verloren haben. Oder sie werden – und das ist noch schlimmer – umgestaltet und verwendet, um "Lügen glaubwürdiger und Mörder respektabler" * zu machen, sowie bloßem Wind einen Anschein von Beständigkeit zu geben. Sein Ratschlag lautete: "Wenn man sich von diesen schlechten Gewohnheiten befreit, so kann man viel klarer denken. Und klar zu denken ist der notwendige erste Schritt auf dem Weg zu politischer Erholung und Neubildung." *

Ich spreche von Redewendungen die vorgeben, neutrale Beschreibungen der Welt zu sein, hinter denen sich aber politische Absichten verstecken, welche die Wahrnehmung des Zuhörers beeinflussen und seine Meinungen bedingen und mitgestalten. Ein offensichtliches und aktuelles Beispiel ist der Begriff "enhanced interrogation techniques" (engl., "verbesserte Fragetechniken"), eine beschönigende Beschreibung, die vom US-amerikanischen Recht absichtlich geschaffen wurde, um den Begriff der Folter zu vermeiden, und vergleichbare Praktiken als angemessen und begründet hinzustellen.

Unbelastete Ausdrücke gegen dunkle Bilder

Oft wird Sprache aus politischen Gründen auf diese Weise ganz bewusst verbogen und deformiert. In den 1980er Jahren setzten sich die Befürworter des gescheiterten"Krieges gegen Drogen" beispielsweise dafür ein, den einfachen, unkomplizierten und unbelasteten Ausdruck "Drogengebrauch" gegen den Begriff "Drogenmissbrauch" einzutauschen. Viel negativere und dunklere Bilder würde dieser wachrufen. Er erinnert auch ein bisschen an "Kindesmissbrauch". Aber was bedeutet das eigentlich? Wie können diejenigen, die einmal in der Woche Cannabis rauchen, um sich zu entspannen, Personen sein, die Drogen "missbrauchen"? Schlagen sie ihre Joints etwa zusammen?

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Welche Redewendungen würde ich also über Bord werfen? Hier ist eine kurze Liste. Beispielsweise: Nahrungsmittel als "Fairen Handel" auszuweisen. Dieser Ausdruck soll dem Käufer das Gefühl vermitteln, dass es sich um eine zu begrüßende und erfreuliche Abweichung von der Norm handelt, wenn man verzweifelt armen Menschen einen anständigen Lohn zahlt. Eigentlich sollte doch genau das der Normalfall, sowie die Standardsituation eines jeden zivilisierten menschlichen Wesens sein. Wenn wir genau das als normal betrachten würden, dann würde man derartige Aufschriften einfach umdrehen, und somit alle anderen Nahrungsmittel als "unfairen Handel", "habgierigen Handel" oder "Lasst uns einen Hungerlohn zahlen-Handel" ausweisen.

"Kindersterblichkeit". Das hört sich sachlich und nüchtern an. Wen bewegt dieser Ausdruck schon? Dabei sprechen wir, wenn wir diesen Begriff verwenden, von toten Kindern. Hier ein Beispiel: In Malawi in Südostafrika wurde der Boden des Landes aufgrund von übermäßiger Bebauung immer ärmer. Aufgrund dessen hat die demokratische Regierung ganz bewusst eine Strategie entworfen, welche Subventionen für die Verwendung von Düngemitteln vorsah. Den hungrigen Bauern des Landes verkaufte man Säcke mit Düngemitteln zu einem Drittel des eigentlichen Preises. Das Land erblühte wieder. Dann verurteilte die Weltbank das Ganze aber als "Marktverzerrung" und entschied, dass Malawi sofort damit aufhören müsse, wenn es weiterhin Kredite beziehen möchte. Man war dementsprechend gezwungen, die Subventionen einzustellen. Die gesamten Ernten des Landes misslangen. Eine Hungersnot wurde ausgelöst. Die "Kindersterblichkeit schnellte in die Höhe". Was wir damit allerdings meinen ist, dass viele Kinder vollkommen unnötig starben. Vor drei Jahren entschied sich die Regierung Malawis endlich dafür, die Weltbank darum zu bitten, die Kredite einzustellen. Anschließend subventionierten sie Düngemittel wieder. Heute stirbt dort niemand mehr an Hunger und das Land ist das einzige und größte Exportland Südafrikas, welches sogar Getreide für das Welternährungsprogramm exportiert.

"Christliche/Muslimische Kinder". Routinemäßig spricht man bei Kindern von "Christen", "Muslimen" oder "Juden" oder welcher Religion ihre Eltern auch immer angehören. Damit rechtfertigt man, dass man sie in Schulen einsperrt, die sie aufgrund verschiedenen Aberglaubens isolieren. Dort werden sie mit dem entsprechenden Glauben indoktriniert. Richard Dawkins wies allerdings darauf hin, dass Kinder gar keine Religion haben. Sie haben die Schriften nicht gelesen, haben die Ideen nicht durchdacht, um ihre eigenen Schlussfolgerungen auf der Grundlage von verschiedenen Beweisen zu ziehen. Diejenigen, die diese Bezeichnungen vertreten, möchten ja genau das verhindern. Sie wollen sie eben gerade in einem Alter beeinflussen, in dem ihre rationellen Fähigkeiten nur ärmlich ausgeprägt sind. Dann können sie ihren Glauben so tief in ihren Köpfen einpflanzen, dass sie später völlig aus der Fassung gebracht und irritiert sind, wenn sie rationale Gegenargumente zu hören bekommen. Wir täten gut daran, sie als "Kinder christlicher/muslimischer/jüdischer Eltern" zu betrachten und uns darüber im Klaren zu werden, wie wichtig es ist, dass auch sie das Recht haben, sich ihre eigenen Meinungen selbst zu bilden.

"Klimawandel". Diesen Begriff hat der republikanische Meinungsforscher Frank Luntz ins Leben gerufen, als er entdeckte, dass der Ausdruck "globale Erwärmung" viele Testgruppen zu sehr beängstigte. Klimawandel klingt nett und sanft und erinnert behutsam an unser latent vorhandenes Bewusstsein, dass das Klima sich im Verlauf der Geschichte auf ganz natürliche Art und Weise verändert hat. "Globale Erwärmung" ist da schon viel problematischer, weil es uns ein bedrohlicheres Bild vermittelt, so als würden wir unsere Füße geradewegs in die Sonne stecken. Der eigentlich viel treffendere Ausdruck würde "die Auflösung unseres Ökosystems" lauten. Oder aber "Klima-Chaos" oder "katastrophale vom Menschen verursachte globale Erwärmung". Harte Bissen wären das, aber wenigstens ehrlich.

Es gibt noch viele andere Begriffe, die ich hier anführen könnte. Die von republikanischen Kommentatoren und Zeitungen so gerne verwendeten königlichen Titel sind beispielsweise eigenartig. Warum können wir die Windsor-Familie nicht ganz einfach bei ihrem Namen nennen, wie wir das mit allen anderen Menschen auch machen? Warum sollen wir anstatt von "der Queen" nicht vielmehr von "Elisabeth Windsor", und von ihrem Sohn als "Charles Windsor" sprechen? Es würde diese lächerliche und unverdiente Aura zum Bröckeln bringen und eine republikanische Logik der Sprache einläuten. Orwell hatte gesagt, dass wir "die Bedeutung die Worte auswählen lassen müssen, und nicht andersherum".* Wenn es sich um tote Kinder handelt, so sollte man auch von toten Kindern sprechen. Wenn das Ökosystem entgleist, dann sollten wir auch von genau dieser Entgleisung des Ökosystems sprechen. Nur, wenn wir auch auf ehrliche Art und Weise die Welt beschreiben und die Dinge beim Namen nennen, können wir auch damit beginnen, sie zu ändern.

* Übersetzung: Presseurop

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