Im Spiegel des Bankrotts

Bis zur letzten Minute ließen Demokraten und Republikaner dem Schreckgespenst eines amerikanischen Staatsbankrotts freien Lauf. Ein tschechischer Ökonom bemerkt aber, dass die US-Wirtschaft weniger verwundbar ist als die heterogenen europäischen Volkswirtschaften.

Veröffentlicht am 1 August 2011 um 15:36

Heute sind Sie wahrscheinlich nach dem Wochenende aufgewacht und haben gelesen, dass Apple mehr liquide Mittel auf seinen Bankkonten hat als die Vereinigten Staaten in ihren Staatskassen, bevor sie an ihre Schuldenobergrenze stoßen. Sie sind auch an einem Tag aufgewacht, an dem – in einer bis zum Hals in Schulden steckenden Eurozone – der teuerste Fußballspieler der Welt, Cristiano Ronaldo vom Real Madrid, den spanischen Bankern als Sicherheit für Notkredite angeboten wird.

In Washington haben die Demokraten und die Republikaner ein „vorläufiges Rahmenabkommen“ ausgearbeitet, um die Staatsschuldengrenze anzuheben. Es soll noch weiter verhandelt werden. In der Eurozone ging es am vorigen Wochenende ebenfalls ziemlich hart her, als ein neuer Rettungsplan für Griechenland angenommen wurde.

Kein Grund zum Optimismus

Fangen Sie nicht gleich an zu feiern. Wir dürfen nicht vergessen, dass die höchste Verschuldung der Industriestaaten in drei historischen Zeiträumen angefallen ist: Zum ersten Mal nach den Napoleonkriegen, dann nach dem Zweiten Weltkrieg – und zum dritten Mal fiel sie gestern an, ist heute präsent und wird auch morgen noch da sein. Ein paar Staaten können die Situation in den Griff bekommen. Doch das ist reine Hypothese, denn es kann noch jeder bankrott gehen.

Amerika hat nun Staatsschulden, die bei etwa 100 Prozent seines Bruttoinlandprodukts liegen. Die Schulden der Eurozone machen rund 88 Prozent ihres BIP aus. Zum Vergleich: Die Staatverschuldung in China liegt bei 17 Prozent, dank seiner starken Wirtschaft, in Brasilien und Indien bei 66 Prozent und in Russland bei 11 Prozent.

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Die Erfahrung der Geschichte sagt uns, dass es keine kritische Grenze für Staatsschulden gibt. In ihrem Buch This Time is Different zeigten Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart, dass in 52 Prozent der Länder, die Konkurs angemeldet haben, die Verschuldung unter 60 Prozent des BIP lag. Die verbleibenden 48 Prozent der Länder brachen unter schwereren Schuldenlasten zusammen. So war etwa Irland 2007 zu 15 Prozent seines BIP verschuldet – weniger als die Verschuldung der Tschechischen Republik heute – und steht immer noch am Rande des Bankrotts.

Drei grundlegende Unterschiede

Es gibt drei wesentliche Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und der Eurozone:

1. Zunächst einmal die Möglichkeit der Schuldenfinanzierung – die so genannte Liquidität. Wie die Bundesregierung der USA können auch einzelne Staaten ihre Schulden zu günstigeren Kosten finanzieren als Mitglieder der Eurozone. Sowohl die Vereinigten Staaten als Ganzes als auch das verschuldete Kalifornien oder der Staat Illinois können heute zu einem Zinssatz von zwei bis vier Prozent Anleihen auf fünf Jahre aufnehmen. Deutschland geht es ähnlich. Griechenland, Irland und Portugal jedoch würde es schwer fallen, einen Zinssatz unter zehn Prozent zu bekommen. Ein Vergleich mit dem Rest der Welt sieht ähnlich aus. Japans Staatsverschuldung liegt bei 233 Prozent des BIP, doch es kann immer noch billiger Anleihen emittierten als Italien, das „nur“ zu 121 Prozent seines BIP verschuldet ist. Großbritannien, dessen Staatsverschuldung derzeit bei 83 Prozent seines Bruttoinlandprodukts liegt, kann Staatsanleihen zu niedrigeren Zinsen emittieren als Spanien, das zu 68 Prozent des BIP verschuldet ist.

2. USA und EU unterscheiden sich auch sehr in ihren Handlungsperspektiven. Die USA haben gewiss kein Erfolgsrezept und alles kann immer noch schief gehen. Dennoch, anders als Griechenland und Co., haben sie alles in der eigenen Hand. Amerika wird mehr von innen bedroht: Ein Jahr vor den Wahlen bugsieren sich die Politiker auf ihre Plätze. Doch nach wie vor sind Investoren und Spekulanten weltweit bereit, ihre Schulden günstig zu verlängern. Die Griechen hingegen werden von außen von Investoren und Spekulanten gemustert – die allerdings freiheraus unwillig sind, die griechischen Schulden zu finanzieren. Und wenn sie es tun, dann zu strafenden Zinssätzen. Wenn die Eurozone die Lage unter Kontrolle bringen will, dann muss sie ihre Sicht klar definieren – entweder kehren Griechenland und die anderen hoch verschuldeten Staaten wieder zu ihrer Landeswährung zurück oder die Eurozone wird föderalistischer und es kommt letztendlich zu einem gemeinsamen Europäischen Finanzministerium und gemeinsamen Anleihen.

3. Der dritte große Unterschied ist die Kreditwürdigkeit des betroffenen Landes. Bei der Lösung jedes spezifischen Schuldenproblems muss zwischen Bonitäts- und Liquiditätsproblemen unterschieden werden. Wenn jemand ein Liquiditätsproblem hat, dann braucht er ein schnelles Darlehen, das ihm über die Runden hilft – im Fall eines Landes halten Darlehen die Wirtschaft am Laufen. Griechenland jedoch ist insolvent. Hilft man ihm aus, kommt es bald und will mehr. Neue Anleihen, Privatisierungen oder teilweiser Schuldenerlass ist langfristig keine Lösung. Das Problem der Insolvenz muss gelöst werden, indem das Land anfängt, sein eigenes Einkommen zu generieren – ganz einfach, um das Geld zum Zahlen dieser Schulden zu verdienen. Und in dieser Hinsicht haben es die USA erneut leichter als die Eurozone, was am Beispiel Griechenland deutlich zu sehen ist: Griechenland muss Unternehmen vorweisen, die erfolgreich ihre Produkte verkaufen, vor allem im Ausland – da die Inlandswirtschaft in einer Rezession steht (im ersten Quartal schrumpfte das BIP um 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), die Arbeitslosigkeit hoch ist (16 Prozent) und der Staat noch weitere Angestellte entlassen wird.

Im Vergleich zu 2005 sind die Lohnstückkosten in der griechischen Industrie heute um 34 Prozent höher. In Deutschland stiegen sie im selben Zeitraum nur um sechs Prozent und in Amerika blieben sie gleich. In der Tschechischen Republik gingen diese Kosten sogar zurück, weil die Unternehmen keine Gehaltserhöhungen ohne entsprechenden Produktivitätsanstieg zuließen – sonst hätten sie im weltweiten Wettbewerb den Kürzeren gezogen, wie es in Griechenland passierte. In Griechenland liegt das Unternehmertum bei Null und alle leiden unter der Abhängigkeit vom Staat. Ohne eine wettbewerbsfähige Industrie gelingt es den Unternehmen nicht, durch Exporte Einkommen zu generieren, also geht nichts ein, um langfristige Schulden zurückzuzahlen.

Nur die Chinesen werden sich an diesem Montag freuen – weil sie wissen, dass sie – sollten sie in die Rezession geraten und selbst Hilfe brauchen – skrupellos all die Anleihen und Anteile nutzen können, die sie von den Unternehmen der USA und der Eurozone gekauft haben. (pl-m)

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