Ist das ein Gleichnis? Demonstranten fliehen vor Tränengas an der U-Bahn Syntagma-Platz, Athen, 29. Juni 2011.

In Platons Höhle

Wie die Schatten in der Höhle des griechischen Philosophen sind die Maßnahmen, die verhindern sollen, dass die Verschuldung Griechenlands nicht das Aus für den Euro bedeuten, so paradox, dass die Europäer dies nicht sehen wollen, so der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung El Mundo.

Veröffentlicht am 30 Juni 2011 um 14:36
Ist das ein Gleichnis? Demonstranten fliehen vor Tränengas an der U-Bahn Syntagma-Platz, Athen, 29. Juni 2011.

Ich kann mich über das vom griechischen Parlament verabschiedete Sparprogramm, nicht allzu sehr freuen. Hier geschieht gerade etwas ähnliches wie im Höhlengleichnis von Platon, der berühmten Allegorie aus seinem Werk „Politeia“. Wir Europäer sind von Geburt an Sklaven an der Kette und wir können nur die Schatten der Dinge wahrnehmen, die die Hausdiener von Hand zu Hand über die Mauer hinweg reichen. So sind wir auch überzeugt davon, dass die griechische Realität ebendiese Schatten sind. Im Fall Griechenland aber wurde das einem Menschen zumutbare Maß an Widersprüchen überschritten.

Es ist doch so, dass nun zum ersten Mal ein Land als zahlungswürdig eingestuft wird, das faktisch bankrott ist. Die EU besteht darauf, ein ruiniertes Land zu retten, dessen Steuerdefizit bei 10 Prozent des BIP liegt und dessen Verschuldung von 350.000 Milliarden Euro die 150 Prozent seines in einem Jahr erwirtschafteten Reichtums locker übersteigt. Diese Verschuldung lässt sich auch nicht durch die Privatisierung aller Vermögensposten (wenn man davon ausgeht, dass es überhaupt Käufer dafür gibt) eindämmen.

Dieser Widerspruch lässt sich nur durch einen noch größeren Widerspruch erklären, nämlich dem, dass laut Merkel und Sarkozy das freiwillige Engagement in Wirklichkeit doch verpflichtend ist. So haben es die deutschen und französischen Banken verstanden, die dazu aufgefordert wurden, einen Teil der griechischen Schulden zu erlassen. Schließlich gibt es streng genommen auch keinen Schuldenerlass, sondern eine großzügige Neubewertung der Schuldenlast.

Europäer sind von der Sonne geblendet

Ein weiteres Paradoxon ist die Neubewertung Griechenlands, die in Wirklichkeit gar keine ist. Griechenland hat vor einem Jahr bereits 110.000 Millionen erhalten, die nichts gebracht haben. Die Regierung von Giorgos Papandreou, den nun alle Welt so schnell entlastet, sollte ein strenges Sparprogramm umsetzen. Aber dank der universellen Empörung über die den Griechen auferlegten Zwänge, scheint es nun, als sei dies nur noch ein verzerrtes Echo der Wirklichkeit. Der konservative spanische EU-Abgeordnete Antonio López Istúriz enthüllte vor einigen Tagen, dass Athen statt der geforderten Schließung von 55 staatlichen Firmen, um das Steuerdefizit zu senken, im gleichen Zeitraum 41 neue geschaffen habe.

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Ein weiteres Paradoxon ist, dass der Rettungsplan letztlich das Land völlig erdrückt. Der Rechtspolitiker Antonis Samaras hat Recht, wenn er behauptet, dass die Erhöhung der Steuern und Abgaben die Wirtschaft zum Stillstand bringe oder sogar die Steuerflucht noch begünstigen würde. Wenn Papandreou kühner gehandelt hätte, so würde er die Beamtengehälter nicht um 15%, sondern um 25% kürzen und würde nicht nur Staatsanleihen im Wert von 50.000 Millionen Euro privatisieren, wenn er 300.000 zur Verfügung hat. Der Anzahl der Täuschungen im Fall Griechenlands (die sehr anschaulich in der Zeitung MERCADOS vom 26.Juni dargestellt wurden) kann man nur mit wirklich radikalen Methoden beikommen.

Im Platonschen Höhlengleichnis hat es ein Sklave geschafft, sich aus der Höhle zu befreien, er lernte die Welt draussen kennen und kehrte in die Höhle zurück, um seinen Mitstreitern zu berichten, dass die Schatten nicht die Wirklichkeit seien und dass es in der Welt draussen Dinge gab, die die ultima Ratio und Grundlage der Schatten, die sie sahen, seien. Zunächst lachten die Sklaven über ihn und als er später darauf bestand, sie zu befreien, wollten sie ihn sogar töten.

Samaras hat bislang als Einziger die griechische Höhle verlassen und wird deshalb als unverantwortlich bezeichnet. Papandreou hat die Hälfte des Weges noch vor sich und die Mehrheit der Griechen und Europäer sind immer noch von der Sonne geblendet.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

Standpunkte

Ja – sparen für alle!

„ναί!“, „Ja“, titelt Die Presse nach dem Votum der griechischen Abgeordneten für das 78 Milliarden Euro-Sparprogramm der Regierung, das das Land vor der Pleite retten soll. Dieses „Ja“ hat laut der Wiener Tageszeitung Tragweite weit über Griechenland hinaus. In keinem potenziellen Pleitestaat sehe es wirklich anders, ob Portugal, Irland oder Spanien, und sogar Italien – es gelte: radikales Sparen als einziger Ausweg. „Die Proteste sind heftig, der Sparzwang unausweichlich. Regierungen stürzen, und die neuen, ehemals lauthals protestierenden Oppositionellen müssen als Verantwortungsträger dort weitermachen, wo die verschmähten Vorgänger aufgehört haben. Sie alle kämpfen mit verkrusteten Strukturen, einem unflexiblen, ineffizienten Beamtenapparat, mit Privilegien und zu lange verteidigten Pfründen oder unfinanzierbaren Sozialsystemen.“

In der Frankfurter Allgemeinen sieht das „Griechische Exempel“ dann ein wenig anders aus: „Kein Ministerpräsident wird ohne Not den Preis zahlen wollen, den die Regierung Papandreou zahlen muss“, schreibt die deutsche Tageszeitung. „In ungleich höherem Maße, als es für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union üblich und nötig ist, hat die griechische Regierung staatliche Souveränität abgeben müssen. Schon seit Monaten können die gewählten Volksvertreter der Griechen keine eigenständigen Entscheidungen von halbwegs maßgeblicher Bedeutung mehr treffen.“

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