Der Werdegang zum Journalisten oder zur Journalistin sowie die berufliche Laufbahn sind oft mit einer langen und schwierigen Phase der Unsicherheit verbunden. Dabei hilft, wie die freie Journalistin Sara* aus Italien im ersten Teil dieser Serie erzählt, dass sie ihre Arbeit als „Mission” empfindet, was unter Journalist*innen häufig der Fall ist.
„Die Unsicherheit im Journalismus, zumindest so wie wir sie erlebt haben, ist auch an eine bestimmte Sichtweise auf den Beruf gekoppelt: Ich akzeptiere die Unsicherheit, weil ich mich, wie viele andere in kreativen Bereichen mit dem Beruf identifiziere, an seine Werte glaube und daher alles dafür tun würde, um diese Arbeit zu machen”, erklärt auch Alice Facchini, freiberufliche Journalistin aus Italien und Autorin einer Studie für IrpiMedia über die psychische Gesundheit von Journalist*innen in ihrem Land.
Die spanische Journalistin Esperanza* bestätigt dies: „Ich habe versucht, meine Motivation und Berufung für diesen Beruf beiseite zu schieben und sie anderweitig zu kanalisieren, um mich nicht nur daran festzuklammern, Journalistin zu sein. Ich wollte mein Leben nicht von meinem Beruf abhängig machen.”
Nach einer Erfahrung in einer anderen Branche kehrte Esperanza jedoch zum Journalismus zurück. Auf die Frage, ob es in Spanien möglich sei, diesen Beruf unabhängig von der sozialen Herkunft auszuüben, antwortet sie: „Ehrlich gesagt ist es sehr schwierig, wenn man keine Eltern hat, die einen über einen längeren Zeitraum unterstützen. Die meisten meiner Kommiliton*innen mussten sich der Kommunikation und dem Marketing widmen oder haben lange Zeit von anderen Jobs gelebt, um in ihre Karriere zu ‘investieren’. Das war auch bei mir so: Ich mache noch immer viel Kommunikations- und Marketingarbeit. Journalismus ist Luxus.”
Berufseinstieg: Wie wird man heute Journalist*in?
Man hört immer wieder, dass alle, die sich für Journalismus entscheiden, risikobereit sein müssen: Viel Zeit mit Recherchen zu verbringen, um Themen vorzuschlagen, die für Redaktionen interessant, relevant und originell sind, oder sogar die Kosten für eine Reportage zu übernehmen, ohne die Gewissheit zu haben, dass sie auch veröffentlicht wird. „Oft kriegt man gesagt, dass es am Anfang gut ist, freiberuflich zu arbeiten. Aber Risiken einzugehen fällt leichter, wenn man die Mittel dazu hat. Wenn man nicht weiß, wie man die Miete zahlen soll, ist das nicht nur kompliziert, sondern schlicht unmöglich. Es ist natürlich inakzeptabel, dass man für seine Arbeit auf der Straße landet.” Das sagt Sarah Ichou, Direktorin des Bondy Blog. Dabei handelt es sich um eine unabhängige französische Internetzeitung, die nach den Unruhen in den französischen „Banlieues” im Jahr 2005 gegründet wurde, um die Stimmen der Menschen aus den sogenannten „Arbeiterviertel” zu vertreten.
Bondy ist eine Gemeinde im Departement Seine-Saint-Denis, dem ärmsten und jüngsten des französischen Festlandes. Am Rande einer Redaktionskonferenz, deren Teilnehmer*innen in Bezug auf Ansichten, Kleidung und Herkunft ein Spiegelbild Frankreichs abgeben, sagt Ichou zu mir: „Das Problem, das wir seit zwanzig Jahren anprangern, ist das Profil der Informationsvermittler*innen. […] Wenn die Journalist*innen bei den „traditionellen” Medien vom soziologischen Standpunkt her gesehen mehr unserer Redaktion ähneln würden, hätten wir zumindest teilweise etwas erreicht.”
Alessandra Costante von FNSI, der größten italienischen Journalistengewerkschaft, bringt die Lage von freiberuflichen Journalist*innen auf den Punkt: „Um die Armut in der Zeit bis zur Unterzeichnung eines Festvertrags zu bewältigen, muss man aus einer reichen Familie stammen oder bereit sein, seine Familie finanziell zu belasten.”
Jana Rick ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt mit dem Titel „Prekarisierung im Journalismus“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München. An der zwischen 2019 bis 2024 durchgeführten Studie haben tausend Journalist*innen in Deutschland teilgenommen.
Auf die Frage, ob Journalismus ein Beruf der Oberschicht sei, antwortet sie: „Unsere Forschungen haben gezeigt, dass Journalismus ein Beruf ist, den man sich leisten können muss. Journalisten und Journalistinnen (vor allem Freiberufler*innen) gleichen die Unsicherheit ihres Einkommens durch das ihrer Partner*innen aus oder werden von Familienmitgliedern unterstützt. Dies könnte dazu führen, dass Journalismus zu einem Elite-Beruf wird. Eine Tendenz, die eine Gefahr für die Vielfalt in der Medienbranche darstellt.“
Auch in Österreich, so Harald Fidler von der Wiener Tageszeitung Der Standard, diversifiziert sich der Mediensektor nur langsam: „Der Berufseinstieg ist oft durch schlecht bezahlte Praktika und freiberufliche Tätigkeiten gekennzeichnet, die man sich finanziell leisten können muss. Für Menschen aus Familien mit höherem Einkommen ist das einfacher.” Darüber hinaus ergab der letzte große Journalismusreport vom Medienhaus Wien aus den Jahren 2018/19, dass von den 501 befragten Journalist*innen 62 einen Migrationshintergrund hatten, also etwa 12 %, während der Anteil in der Gesamtbevölkerung bei 23,7 Prozent liegt.
Journalistenschulen als Einstieg in den Beruf
Die Situation ist in Europa von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Ländern wie Frankreich und Italien ist die Journalistenschule der Königsweg, in anderen wird das praxisorientierte Volontariat bevorzugt. In allen Fällen ist jedoch die Frage des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kapitals von zentraler Bedeutung.
In Frankreich gibt es 14 sogenannte grandes écoles: anerkannte Eliteschulen, die auf den Beruf vorbereiten und deren Ausbildungsgänge von der Commission Paritaire Nationale de l’Emploi des journalistes (CPNEJ) anerkannt sind. Ein Journalismus-Studium an der Universität oder ein Masterstudiengang kosten einige hundert Euro pro Jahr; die Ausbildung an privaten Schulen beginnt bei etwa 7.000 Euro jährlich.
Das Gleiche gilt für Italien, wo es neben der Eignungsprüfung der Journalistenkammer auch einen zweijährigen Masterstudiengang gibt, dessen Kosten zwischen 8.000 und über 20.000 Euro pro Jahr liegen.
„Sind es immer Leute aus derselben sozialen Schicht, die Zugang zu diesem Beruf haben und später über die Ereignisse berichten und dabei ganz klare Klassenvorurteile haben. Menschen aus den unteren Schichten dagegen bekommen keine Stimme” – Beatriz Lara, Confederación Nacional del Trabajo
In Spanien scheint die Situation weniger gut strukturiert zu sein. Beatriz Lara, Sekretärin der Abteilung Presse und Kommunikation der Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo, erklärt gegenüber der Zeitung El Confidencial, dass sich ein Trend abzeichnet, demnach „immer mehr private Masterstudiengänge absolviert werden, die oft nicht einmal zu einer Qualifikation führen und zwischen 10.000 und 15.000 Euro kosten. Wer kann schon Journalist*in werden, wenn man für den Einstieg in die Medienbranche so viel Geld zahlen muss, noch dazu ohne die Garantie, dort auch tatsächlich Fuß zu fassen?“ Außerdem, erklärt Lara, „sind es immer Leute aus derselben sozialen Schicht, die Zugang zu diesem Beruf haben und später über die Ereignisse berichten und dabei ganz klare Klassenvorurteile haben. Menschen aus den unteren Schichten dagegen bekommen keine Stimme.”
„Uns wurde gesagt, dass nur Themen wichtig sind, die eine wohlhabende, gut ausgebildete und politisch vernetzte soziale Schicht interessieren. Was sie interessiert, wird zur wichtigsten Nachricht des Tages. Wenn man für diese Schicht schreibt, macht man sich als Journalist*in einen Namen, denn in Wahrheit stehen die meisten Zeitungen in ihrem Dienst", erklärt Mazin Sidahmed in einem Interview mit Lighthouse Report. Er ist Mitbegründer von Documented, einem Medienunternehmen, das gegründet wurde, um den Einwanderergemeinschaften in New York zu dienen - zu dienen, das Verb ist sehr bewusst gewählt.
„Trotz meiner Privilegien kann ich nicht die Schule besuchen, die ich mir gewünscht habe”
Claire* ist 24 Jahre alt und studiert am Institut français de Presse, der ältesten Journalistenschule Frankreichs. In ihrem Kurs, beklagt sie, gebe es zwar eine Vielfalt an „ethnischen“ Hintergründen, aber keine soziale Durchmischung. Sie erklärt mir, dass das Auswahlverfahren für die Zulassung „extrem hart und selektiv“ sei und dass „sehr viele eine Vorbereitungsklasse dafür besuchen“. Die sogenannte „classe préparatoire“ ist ein einjähriges Studium, das auf die Auswahlprüfungen solcher Eliteschulen vorbereitet.
Hinzu kommt eine französische Besonderheit: Die Schule ist bereits entscheidend für den weiteren Verlauf einer Karriere. Um zu wissen, wie man an welche Schule kommt, muss man schon das richtige Gymnasium wählen: „Schon damals wusste ich, was ich machen wollte, sowohl in meiner Familie als auch in der Schule war das völlig klar”, erzählt Claire.
Claires Vater ist Diplomat und ihre Mutter Übersetzerin. Sie hat im Ausland gelebt und ist dort zur Schule gegangen (unter anderem besuchte sie das King's College in London) und spricht vier Sprachen. „Trotz der enormen Privilegien, die ich hatte, konnte ich nicht die Schule besuchen, die ich mir gewünscht hatte“. Ihre erste Wahl war die renommierte Eliteschule für Politikwissenschaften Science Po, deren Auswahlverfahren noch komplexer ist.
Während unseres Gesprächs kritisiert Claire die Härte und die Art der Auswahlverfahren: Es würden zu wenig Leute genommen, die Anforderungen an die Bewerber*innen seien zu hoch, und diejenigen, die bereits den nötigen kulturellen Hintergrund haben, hätten „unverhältnismäßige Vorteile“. Darüber hinaus gibt es an manchen Schulen zusätzlich zum Prüfungsverfahren eine Auswahl auf der Grundlage eines Bewerbungsdossiers. Wer wie sie bereits ein Praktikum absolviert oder in den Medien gearbeitet hat, ist klar im Vorteil: „Ohne meine Eltern wäre das nicht möglich gewesen.”
Eine Lösung für mehr Vielfalt in den Medien
2009 hat der Bondy Blog in Zusammenarbeit mit der Ecole supérieure de journalisme de Lille, eine der renommiertesten Schulen des Landes, die „Prépa égalité des chances” ins Leben gerufen. Diese auf Chancengleichheit konzentrierte Ausbildung ist kostenlos und steht jungen Menschen aus einkommensschwachen Familien offen: „Auch wenn unsere Daten belegen, dass wir damit Erfolg haben, bedeutet das nicht, dass das Problem gelöst ist. Eine Festanstellung in einer Redaktion zu bekommen, bleibt für unsere Absolvent*innen sehr schwierig. Und sobald man Erfahrung gesammelt hat, bleibt auch der Weg zu bestimmten Führungsposten sehr steinig”, erklärt Ichou.
In Frankreich gibt es seit 2007 einen weiteren Verein, der sich um die Ausbildung junger Menschen kümmert, die weniger Zugang zu Eliteschulen haben. Dank rund 350 ehrenamtlichen Journalist*innen bereitet La Chance jedes Jahr etwa 80 Stipendiat*innen auf die Aufnahmeprüfungen der Journalistenschulen in Bordeaux, Paris, Marseille, Toulouse, Straßburg, Grenoble und Rennes vor. „Die Aufnahmeprüfung ist ein obligatorischer Schritt für angehende Journalist*innen, die eine Schule besuchen möchten. Das Problem ist, dass nicht alle jungen Menschen die gleichen Chancen haben, sie zu bestehen. Dauer und Kosten des Studiums schrecken die weniger Privilegierten ab“, erklärt Baptiste Giraud, der sich im Pariser Büro um die Vermittlung der Studierenden kümmert.
Die kostenlose „classe préparatoire“ La Chance „findet von Fall zu Fall entweder nachmittags, abends oder am Wochenende statt“, fährt Giraud fort. „Wir versuchen, Schüler*innen aus besonders förder bedürftigen Stadtvierteln oder aus ländlichen Gebieten anzusprechen.”
Nach Angaben des Vereins kamen die Teilnehmenden letztes Jahr hauptsächlich aus Familien, in denen die Eltern sogenannte „gering qualifizierte“ Berufe ausüben (Reinigungskräfte, Sicherheitspersonal, Haushaltshilfen, Pflegehelfer*innen, Fahrer*innen); dazu gibt es Alleinerziehende und einen hohen Anteil an Arbeiter*innen (14,3 Prozent der Väter und 2,6 Prozent der Mütter); arbeitslose Eltern machen 11,7 Prozent der Väter und 15,6 Prozent der Mütter aus.
„Damit journalistische Informationen hochwertig sind, braucht es Medienschaffende mit unterschiedlichen Profilen. Sonst kommt es zur sozialen Reproduktion, wobei immer derselbe Standpunkt vertreten wird“, sagt Giraud. „Direkt nachdem meine Stelle geschaffen wurde, bekam ich zahlreiche Berichte von ehemaligen Praktikant*innen, die duale Ausbildungsprogramme in Redaktionen absolviert hatten. Sie alle berichteten von zahlreichen Fällen von Diskriminierung (15:25), Rassismus, Homophobie (15:29) und sexueller Gewalt (15:31). Das ist wirklich sehr viel.
„Es gibt tatsächlich wenig Erneuerung in diesem Beruf. Er ist besonders prekär für Menschen aus benachteiligten sozialen Verhältnissen, die oft Opfer von Rassismus werden. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, liegt aber auch daran, dass viele Redaktionen ihre Stellenangebote noch immer nicht öffentlich ausschreiben. Es ist schwierig, sich durchzusetzen, und noch schwieriger, wenn man aus einer sozial schwachen Schicht kommt“, betont Sarah Ichou immer wieder.
*Namen von der Redaktion verändert
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