Analyse Medien und Vielfalt

Italiens Medien, eine Hochburg des weißen Privilegs

Nachrichtendebatten in Italien werden fast immer von weißen, privilegierten Männern geführt. Diese Norm zu durchbrechen ist nicht einfach, berichtet das Londoner Magazin The Fix Media.

Veröffentlicht am 9 Februar 2023 um 12:35

In Italien werden Nachrichten im Allgemeinen von weißen Journalisten gemacht. Eine hinlänglich bekannte Tatsache, die sowohl fürs Fernsehen, Radio als auch für digitale Medien gilt. Trotzdem ist es schwierig, dies anhand von Daten zu belegen.

Nicht nur Italien ist betroffen

Das ist natürlich nicht nur ein italienisches Problem; überall auf der Welt mangelt es in den Redaktionen an kultureller Meinungsvielfalt. 2020 lag der Anteil nicht-weißer Journalisten in der Nachrichtenbranche im Vereinigten Königreich bei etwa 8 %. Auch in Kanada waren zwischen November 2020 und Juli 2021 fast 75 % der Nachrichtenredaktionen mit weißen Journalisten besetzt, und in den USA waren 2019 nur 21,9 % der Journalisten nicht-weiß; lediglich 6,5 % waren schwarz.

Der Unterschied ist jedoch, dass in diesen Ländern zumindest eine kontinuierliche Debatte zu diesem Thema stattfindet. Es herrscht ein Bewusstsein dafür, dass ein Mangel an vielfältigen Stimmen in den Nachrichtenmedien redaktionelle Ansätze und Diskussionen beeinflusst. In den USA etwa hat diese Frage im Laufe der Jahre viele Gedanken und Diskussionen ausgelöst.

Weiße Männer, die die Welt erklären und interpretieren 

Das Fehlen italienischer Journalisten aus der neuen Generation mit Daten zu belegen, ist schwierig. Nach Angaben des Nationalen Statistik-Instituts betrug der Anteil der in Italien lebenden Ausländer an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2019, 8,7 %.

Das sind 5.250.000 Personen, die auf etwa 60 Millionen Einwohner in Italien kommen. Da die italienische Volkszählung aber keine Minderheiten ausweist, ist es schwierig, den Stand der Vielfalt in den Nachrichtenmedien über den Ausländeranteil hinaus zu belegen. 


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Die wenigen zur Verfügung stehenden Daten stammen von der Associazione Carta di Roma, die 2011 mit dem Ziel gegründet wurde, “den Verhaltenskodex für Journalisten zum Thema Einwanderung umzusetzen, der 2008 vom Nationalen Journalistenrat (CNOG) und dem Nationalen Verband der italienischen Presse (FNSI) unterzeichnet wurde”.  

In einer Studie von Carta di Roma aus dem Jahr 2020 wurde festgestellt, dass nur in 1 % der Fälle in den Hauptnachrichten über Menschen ausländischer Herkunft berichtet wurde. Darüber hinaus zeigt der Bericht des Global Media Monitoring Project, dass 2020 in 90 % der Fälle die Hauptnachrichtensendungen von weißen Männern präsentiert wurden, die die Welt in Italien erklären und interpretieren – von den Diskussionen über die Migration bis hin zur Änderung der Staatsbürgerschaftgesetze im Land (die auf dem Blutrecht beruhen und deshalb Enkeln und Urenkeln von Italienern, die im Ausland geboren und aufgewachsen sind, mehr Rechte einräumen als Kindern von Migranten, die in Italien geboren und aufgewachsen sind).


Ob ausgeschlossen durch Rasse, Klasse, Geschlecht oder Alter: Die Herausforderungen für nicht-weiße Journalisten in den italienischen Medien sind vielfältig


Überwiegend weiße Männer bestimmen also die Debatten und schüren Ängste bei den Zuschauern, Lesern und Hörern.

Wie die Journalistin Silvia Godano in Voci Globali berichtet, ist es nicht einfach zu wissen, wie viele Journalisten der neuen Generation in Italien arbeiten: “Wenn wir über Vielfalt in den italienischen Medien sprechen, meinen wir vor allem die Gleichstellung im Bezug auf Geschlechter und Behinderungen. Sowohl die RAI [die nationale öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt] als auch private Verlagsgruppen scheinen keine Strategien für die Garantie von Vielfalt zu haben, weder bei der Einstellung und Weiterbildung von Journalisten noch bei der Programmgestaltung.”

In Italien tauchen Beiträge von Journalisten der zweiten oder dritten Generation meist nur dann in den Nachrichten auf, wenn sie über ihr Heimatland oder das ihrer Eltern berichten müssen. Sie werden also in eine Schublade gesteckt, indem sie auf Themen wie Migration, die Staatsbürgerschaftsreform oder die Black-Lives-Matter-Bewegung festgelegt werden, die als “ihre” bezeichnet werden.  

Oiza Q. Obasuyi ist Nachwuchsforscherin und Programmassistentin bei der Menschenrechts-NGO CILD und schreibt für verschiedene italienische Medien. Sie meint, dass das Hauptproblem bei den Redaktionen liege. “Man kann nicht so tun, als würde man über Vielfalt oder Inklusion sprechen, wenn man ignoriert, dass die Redaktionen nach wie vor ‘weiß’ sind. Außerdem würden ihrer Meinung nach Migranten, Flüchtlinge oder Italiener ausländischer Abstammung aus den Debatten ausgeschlossen und sogar daran gehindert, über sie betreffende Themen zu berichten. 

Italiens Medienwächter

Eines der größten Hindernisse für nicht-weiße italienische Journalisten - wie übrigens auch für weiße Italiener, die nicht aus einem privilegierten Umfeld stammen - ist, dass sie oft gar nicht erst in diesem Beruf arbeiten können, denn in Italien wird der Zugang dazu durch den Journalistenorden (Ordine dei Giornalisti) geregelt, dessen Wurzeln bis in die Zeit des Faschismus zurückreichen. 

In gewisser Weise fungiert der Orden noch immer als Wächter, der vielen den Zugang zum Beruf verwehrt. “Wir sind das einzige europäische Land, in dem es einen solchen Journalistenorden gibt, und um ihm beizutreten, muss man große Opfer bringen”, erklärt Leila Belhadj Mohamed, freiberufliche Journalistin und Podcasterin, gegenüber The Fix Media. “Um dort hineinzukommen und offiziell als Journalist anerkannt zu werden, braucht man einen Master-Abschluss, den sich Menschen mit Migrationshintergrund oft objektiv nicht leisten können.” 

Zu den von Belhadj Mohamed erwähnten Opfern gehört, dass sie für ihre journalistische Arbeit erst nach Monaten bezahlt werden, und zwar zu extrem niedrigen Löhnen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.

Adil Mauro, freiberuflicher Journalist und Podcaster, stimmt dem zu. Die mangelnde Einbeziehung verschiedener Stimmen habe einen direkten Einfluss auf die Art der Nachrichtenberichterstattung und es sei ein Problem, dass nicht nur die “Rasse”, sondern auch die soziale Klasse ein Ausschlusskriterium darstelle, sagt Mauro gegenüber The Fix Media. “Ich glaube, dass das Problem der Vielfalt in den italienischen Medien vor allem ein Klassenproblem ist. Es betrifft nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern alle, die aus einer nicht privilegierten Klasse kommen”, sagt er.

Zeichen des Wandels

In letzter Zeit sind jedoch immer mehr nicht-weiße Stimmen zu hören, die versuchen, in den italienischen Medien einen Platz zu finden oder sich neue Räume zu schaffen. 

Eine dieser Stimmen ist DOTZ, ein unabhängiges Medienunternehmen, das von der Videojournalistin Sara Lemlem gegründet wurde. Lemlem und der Großteil der aktuellen DOTZ-Redaktion lernten sich bei einer Kampagne namens #cambieRAI (“die RAI verändern”) kennen. Mit der Kampagne sollte der öffentlich-rechtliche Sender dafür kritisiert werden, dass er die Verwendung des Wortes “negro” [Italienisch für Nigger] in einer Sendung ohne Skrupel und gegen das Verbot rassistischer Sprache in den Medien zugelassen hatte.

"Das war ein einschneidender Moment in Italien, denn das N-Wort wurde live im öffentlichen Fernsehen verwendet [und niemand hat sich dafür entschuldigt, was] eine in Italien noch nie da gewesene Welle der Empörung ausgelöst hat”, erklärt Lemlem gegenüber The Fix Media. “Auch wenn ich die einzige Schwarze hier bin, fühlten sich alle bei DOTZ von der Verwendung des N-Worts getroffen, und zusammen mit vielen anderen Menschen innerhalb und außerhalb Italiens haben wir uns online zusammengetan, um gegen die RAI mobil zu machen.”

Aus dieser Kampagne entwickelte sich die DOTZ, und wie Lemlem betont, kann sich der Newsroom dank eines Zuschusses des Europäischen Kulturfonds ganz der journalistischen Arbeit widmen. Als Journalistin, die nicht zu den Privilegierten gehört und es sich nicht leisten kann, unentgeltlich im Journalismus zu arbeiten, ist Lelem - genau wie ihre Kolleginnen - auf diese Unterstützung angewiesen. 

Ob ausgeschlossen durch Rasse, Klasse, Geschlecht oder Alter: Die Herausforderungen für nicht-weiße Journalisten in den italienischen Medien sind vielfältig, aber sicher ist, dass der Weg zur Schaffung neuer Räume und zur Rückeroberung des Narrativs offen ist und jetzt von vielen beschritten wird.

"Ich denke dabei an redaktionelle Projekte wie DOTZ, Colory, [oder andere Medien wie Griot Mag, Afroitalian Souls und We Africans United], die von Menschen mit unterschiedlichem Background ins Leben gerufen wurden, um Informationen zu präsentieren, die der italienischen Realität entspricht”, sagt Obasuyi von CILD.

👉 Originalartikel auf The Fix Media

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