Demonstranten unterstützen Ante Gotovina nach ihrer Verhaftung. Split, 2005..

Kroatien im Angesicht seiner Geschichte

Die Verurteilung am 15. April des Ex-Generals Gotovina wegen Kriegsverbrechen schockiert das kroatische Volk, welches ihn als Kriegshelden im Ex-Jugoslawien-Konflikt verehrt. Dabei sei das Urteil auch die Gelegenheit, sich über die eigene Geschichte Gedanken zu machen, schreibt eine kroatische Publizistin.

Veröffentlicht am 20 April 2011 um 19:22
Demonstranten unterstützen Ante Gotovina nach ihrer Verhaftung. Split, 2005..

Die schlechte Nachricht aus dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) traf die kroatische Regierung unvorbereitet. Sie verschanzte sich, offensichtlich vom Urteil niedergeschlagen, hinter dicken Mauern, von Polizeieinheiten angeschirmt. Die Generäle Ante Gotovina und Mladec Markac wurden wegen Kriegsverbrechen, begangen während der Operation „Oluja“ (Sturm) im Jahr 1995, zu respektive 25 und 18 Jahren Haft verurteilt. Mit jener Operation wurde die Krajina (im Süden des Landes) zurückerobert. Laut ICTY starben dabei 324 Serben und 90.000 weitere wurden zur Flucht gezwungen.

Aus juristischer und politischer Sicht wird das Urteil völlig gegensätzliche Interpretationen hervorrufen, doch wird der Epilog erst nach der Berufung, die von den Verteidigern der Generäle eingelegt wurde, bekannt sein. Bis dahin müssen der empörten kroatischen Öffentlichkeit, die das Urteil als ungerecht und demütigend empfindet, drei Dinge ins Gedächtnis gerufen werden:

Erstens: Der Strafgerichtshof hat mit keinem Wort weder die Legitimität des Kriegs gegen die serbische Besetzung noch die Operation „Sturm“, mit der ein Drittel des kroatischen Territoriums befreit wurde, in Frage gestellt. Den Haag hat somit jenen den Wind aus den Segeln genommen, die behaupten, dass es sich hierbei um ein anti-kroatisches Komplott handele, welches dem Volk das legitime Recht zur Selbstverteidigung abspreche.

Verbrechen gegen serbische Bürger

Zweitens: Der Strafgerichtshof hat in keiner Weise die Schaffung eines unabhängigen kroatischen Staates Anfang der 90er Jahre in Frage gestellt. Zeitgleich war das Land den Angriffen der Truppen von Slobodan Milosevic und einem Aufstand einer [serbischen] Minderheit konfrontiert. Nicht einmal implizit hat das Gericht suggeriert, dass der kroatische Staat auf Verbrechen gegründet sei.

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Drittens: Die Generäle wurden nicht verurteilt, weil sie das Kommando der besagten Operation innehatten. Sie wurden verurteilt, weil sie vor den an serbischen Bürgern begangenen Kriegsverbrechen die Augen verschlossen haben. Sie sind verurteilt worden, weil sie diese Verbrechen nicht verhindert haben und nicht jene aus ihren Reihen genommen haben, die Häuser anzündeten, alte Menschen umbrachten und plünderten. Hätten sie diesen unverzichtbaren Teil der Verantwortung eines jeden Oberbefehlshabers übernommen, wären sie nicht verurteilt worden — es wäre nicht einmal zu einem Verfahren gekommen.

Diese Punkte zu präzisieren ist notwendig, sowohl hinsichtlich der Fairness des Verfahrens als auch unserer nationalen Geschichte. Diese Punkte zu präzisieren ist notwendig, um ein für alle Mal den Manipulationsversuchen ein Ende zu setzen, die jede Verurteilung eines Kroaten wegen Kriegsverbrechen automatisch zum anti-kroatischen Akt hochstilisieren. (js)

Reaktionen

Schock, Demütigung und Ressentiment gegenüber Europa

Die Verurteilung von Ante Gotovina sei ein „Schock“ für die Kroaten, meint Večernji list. Nur ein paar Stunden nach Bekanntwerden des Urteils demonstrierten Tausende von Menschen auf den Straßen Zagrebs und in anderen Städten gegen den „Verrat“ der Regierung. Oftmals wurden dabei Symbole der Europäischen Union beschädigt. Die (rechtsradikale) Kroatische Partei des Rechts (HSP) forderte sogar eine Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen. Laut einer von Jutarnji list kurz nach dem Urteilspruch in Auftrag gegebenen Umfrage sprechen sich nur 23 Prozent der Kroaten für einen EU-Beitritt aus. Demgegenüber empfinden 86,9 Prozent aller Bürger das Urteil des ICTY als „demütigend“ und 95,4 Prozent als „ungerecht“.

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