Am 12. Mai 2025 kündigte die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) an, sich auflösen zu wollen. Drei Wochen später tauchten in den türkischen sozialen Medien Bilder von Oppositionspolitikern auf, die von Polizisten aufgereiht und festgesetzt wurden. Für viele weckte das Erinnerungen an 2009, als kurdische Politiker nach Massenverhaftungen auf ähnliche Weise öffentlich vorgeführt wurden.
Die Parallele war sowohl beabsichtigt als auch beunruhigend. Zwar hatte die Erdoğan-Regierung einerseits die Möglichkeit neuer Friedensgespräche mit kurdischen Gruppen in Aussicht gestellt. Andererseits hat sie ihr Vorgehen gegen die kurdische und nicht-kurdische Opposition in letzter Zeit immer weiter verschärft. Vor diesem Hintergrund wirkt die Friedensrhetorik nicht wie ein Schritt in Richtung Demokratisierung, sondern vielmehr wie ein kalkulierter Versuch, die autoritäre Kontrolle zu konsolidieren und potenzielle politische Herausforderer zu neutralisieren.
Seit über vier Jahrzehnten führt die PKK einen bewaffneten Kampf gegen die türkische Regierung. Gegründet 1978 mit dem ursprünglichen Ziel, einen unabhängigen kurdischen Staat zu errichten, forderte die Organisation immer wieder mehr politische und kulturelle Rechte für die Kurden in der Türkei. Seit 1984 hat der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK Zehntausende von Menschenleben gefordert und sowohl die kurdische Bewegung als auch die türkische Innenpolitik nachhaltig geprägt. Mehrere Friedensverhandlungen, darunter ein viel beachteter Versuch zwischen 2013 und 2015, sind letztlich gescheitert und haben ein Erbe des Misstrauens und der Gewalt hinterlassen.
Was steckt hinter der Entscheidung der PKK?
Dass die kurdische Bewegung sich zuletzt überhaupt wieder auf Gespräche einließ, hat vor allem mit strukturellen Zwängen und den Kosten der ewigen Konfrontation zu tun. In den letzten Jahren hat die Türkei den bewaffneten Konflikt erfolgreich ins Ausland verlagert. Militärische Auseinandersetzungen, an denen die PKK beteiligt ist, finden jetzt fast ausschließlich im Nordirak und Nordsyrien statt. Die PKK hat zwar gelegentlich bewiesen, dass sie weiterhin in der Lage ist, Anschläge innerhalb der Türkei zu verüben, doch ihr bewaffneter Kampf hat im Inland weitgehend an Bedeutung verloren. Auch deshalb ist der bewaffnete Widerstand, der von der Organisation einst als politisches Druckmittel verstanden wurde, mittlerweile eher zu einer Belastung geworden. Wie aus dem Länderbericht 2024 des Bertelsmann Transformationsindex (BTI) hervorgeht, hat der türkische Staat sein Gewaltmonopol innerhalb seiner Grenzen weitgehend zurückerobert, was sich in einem verbesserten Wert von 8 (von 10) Punkten widerspiegelt. In den Vorjahren waren es nur 6 Punkte gewesen.
In der Zwischenzeit ist die prokurdische Partei für Gleichheit und Demokratie (DEM) weiterhin starkem politischen Druck ausgesetzt. Die Regierung droht ihr etwa damit, sie unter die Verwaltung von Treuhändern zu stellen, oder mit anderen rechtlichen Repressionen. All das hat in Kombination mit der allgemeinen Kriminalisierung der Zivilgesellschaft und oppositioneller Akteure dazu geführt, dass Verhandlungen mit der Regierung für die PKK nicht mehr wie die schlechteste Option scheinen. In diesem politischen Klima können selbst kleine Verhandlungserfolge als bedeutender politischer Gewinn verbucht werden. Zudem sind zuletzt auch ehrgeizigere Diskussionen über verfassungsmäßige Garantien für kurdische Rechte wieder aufgeflammt.
Auf Seiten der Regierung stehen die aktuellen Friedensangebote in engem Zusammenhang mit dem persönlichen politischen Bedürfnis von Präsident Erdoğan, die verfassungsmäßige Amtszeitbeschränkung aufzuheben. Diese hindert ihn bislang daran, erneut zu kandidieren, sofern keine vorgezogenen Wahlen angesetzt werden. Eine Verfassungsänderung könnte hier Abhilfe schaffen, doch würde diese nicht nur mehr Abgeordnetenstimmen verlangen, als Erdogan derzeit hinter sich weiß – sie müsste auch gesellschaftlich legitimiert werden. Die Wiederbelebung der Friedensgespräche mit den Kurden passt in dieses Bild. Das ist jedoch nur die taktische Ebene. Das tiefere, strategischere Ziel liegt anderswo: Erdoğan will die politische Opposition der Türkei umbauen und seine autoritäre Herrschaft langfristig konsolidieren.

Die wichtigste Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP), wird deshalb zunehmend denselben Schikanen unterworfen, die einst der prokurdischen DEM vorbehalten waren: Schauprozessen, Kriminalisierung und der ständigen Drohung staatlicher Intervention. In mehreren Gemeinden sind bereits Gerichtsverfahren im Gange, die das Ziel haben, gewählte CHP-Bürgermeister durch gerichtlich bestellte Treuhänder zu ersetzen. Eine Strategie, die zuerst gegen die DEM angewandt wurde. Eine der prominentesten Persönlichkeiten der Partei ist diesem Bestreben der Regierung bereits zum Opfer gefallen: Ekrem İmamoğlu. Der Bürgermeister von Istanbul und offiziell erklärte Kandidat der CHP für die nächsten Präsidentschaftswahlen befindet sich derzeit in Haft, einer umstrittenen Gerichtsentscheidung zufolge.
Da sich die staatliche Repression mittlerweile auch über die lokale Verwaltung hinaus auszudehnen scheint, könnten die nächsten Schritte der Regierung darin bestehen, auch die nationalen Führungen der Oppositionsparteien unter Kontrolle zu bringen: entweder indem sie komplett aus dem Weg geräumt oder durch Druck gefügig gemacht werden. Erdoğan zählt auf eine Doppelstrategie aus Unterdrückung und Kooptation, aus Ausgrenzung und Toleranz: Einerseits wird die Opposition hart bekämpft, andererseits toleriert man sie dort, wo sie keinen Schaden anrichten kann, um den demokratischen Schein zu wahren.
Das übergeordnete Ziel des Regimes besteht darin, die Opposition zu fragmentieren und zu kontrollieren und die Türkei von einem autoritären Wettbewerbsregime in ein hegemoniales autoritäres Regime zu verwandeln, in dem Wahlen zwar noch stattfinden, aber keinen sinnvollen Weg zum Machtwechsel mehr bieten. In dieser entstehenden politischen Ordnung wird die Opposition nicht einfach unterdrückt, sondern umgestaltet: Rollen werden neu verteilt, Loyalitäten getestet – und Schweigen und Passivität werden belohnt. Die Verwaltung politischer Gräben, einst ein potenzieller Ort für demokratische Versöhnung, dient nun der Stabilisierung autoritärer Herrschaft durch Fragmentierung und selektive Einbindung.
Die Syrien-Perspektive
Auch wenn die primären Beweggründe für die aktuellen Friedensangebote in der Konsolidierung der Macht im eigenen Land liegen, spielen die Entwicklungen im Nachbarland Syrien ebenfalls eine wichtige Rolle. Der syrische Kontext und die innenpolitische Strategie der Türkei sind nicht nur eine externe Variable, sondern hängen zunehmend voneinander ab und beeinflussen und verstärken sich gegenseitig.
Eine wichtige Entwicklung fand am 10. März statt, als die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und das Regime in Damaskus die Vereinbarung trafen, SDF-nahe Gruppen und Organisationen in staatliche Institutionen zu überführen. Die türkische Regierung, die seit langem auf der Auflösung der SDF besteht, reagierte darauf zunächst mit einer für sie untypischen Zurückhaltung. Der Grund: Ein Ende der SDF könnte schlussendlich auch zu einer kurdischen Selbstverwaltung in Syrien führen, die Ankara bislang strikt abgelehnt hat.
Sollte Damaskus am Ende die volle staatliche Kontrolle behalten, dann ist auch vorstellbar, dass die Türkei dieser Idee irgendwann offener gegenübersteht. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass die Gespräche mit der PKK nicht erneut scheitern.
Ein Frieden, der dem Autoritarismus nutzt?
Vor diesem Hintergrund ist die Annäherung zwischen den Kurden und der türkischen Regierung nicht unbedingt Ausdruck einer Rückkehr zur demokratischen Normalität. Sie steht vielmehr für eine Neukalibrierung der autoritären Herrschaft Erdoğans. Die Zerschlagung der PKK mag zwar das Ende einer Ära des internen Konflikts in der Türkei markieren, doch es ist mehr als unwahrscheinlich, dass sie zu einer anhaltenden Versöhnung führt, wenn sie nicht von umfassenderen Strukturreformen begleitet wird. Stattdessen scheint der Prozess darauf abzuzielen, den bewaffneten Widerstand zu beseitigen, die Opposition zu zersplittern und künftige Verfassungsänderungen zu legitimieren.
Wenn diese Strategie aufgeht, wird sie nicht nur die innenpolitische Machtdynamik, sondern auch die regionale Position der Türkei, insbesondere in Syrien, verändern. Die sich daraus ergebende Ordnung mag stabiler sein, aber sie wird auch strenger kontrolliert werden. Es wäre ein Frieden, der Erdoğan eher stärkt als seine Herrschaft in Frage zu stellen.
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