Ellen Mulderij ist 2007 mit ihrer Familie von Friesland nach Schweden ausgewandert. „In den Niederlanden haben es alle eilig. Jüngst bin ich dorthin zurückgereist und habe mir gesagt: „Nehmt ihr euch denn nie Zeit?“, erzählt Ellen Milderij bei sich zu Hause in Hjulsjö, einem verlassenen 50-Seelen-Dorf. Ihr niederländischer Ehemann Rudy arbeitet in der Forstwirtschaft und ihre drei Kinder gehen zur Schule. Es herrscht eine tiefe Stille in diesem prächtigen Waldgebiet. Die meisten einheimischen Bewohner sind bereits vor Jahren auf der Suche nach Arbeit weggezogen.
Es gibt rund 8300 niederländische Einwanderer in Schweden — jene, die nur auf Zeit kommen ausgenommen — Tendenz steigend. Seit 2000 zieht es jährlich tausend Niederländer in ihre neue, skandinavische Heimat.
„Vor allem nach dem 11. September, den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, hat sich die Zahl der Niederländer, die nach Schweden gehen, stark erhöht“, sagt Rob Floris in seinem Büro in Kalmar. „Die Probleme um Pim Fortuyn spielten eine Rolle. Und danach kam Theo Van Gogh und heute Geert Wilders. Jedes Mal wenn Wilders Schlagzeilen macht, bekomme ich Anfragen von Niederländern, die auswandern wollen.“
Keine Staus, weniger Verbrechen, mehr Respekt
Floris ist Sachbearbeiter bei EURES, einem EU-Netzwerk, das Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der EU fördert. Ihm zufolge fühlen sich viele Niederländer von der politischen Stabilität in Schweden angezogen. „Dann sage ich: nehmt die rosa Brille ab“ und spielt dabei auf den Mord der Ministerin Anna Lindh im Jahr 2003 an. Tatsache aber ist, dass Schweden elfmal größer als die Niederlande ist, bei nur 9,2 Millionen Einwohnern, von denen rund 3 Millionen im Stockholmer Großraum leben. „Es ist hier weniger stressig. In Stockholm gibt es keine Staus, die Kriminalität ist geringer als in den Niederlanden und die Menschen behandeln sich mit mehr Respekt“, sagt Floris.
Was die Niederländer anzieht, ist vor allem die Ruhe, der Platz und die Natur. In Gesprächen mit den Niederländern in Schweden tauchen diese Worte immer wieder auf. Zudem ist in Schweden das Leben billiger. „Für 100.000 Euro findet man ein großes Einfamilienhaus mit einen Hektar Land“, erklärt Floris. Die monatlichen Kosten sind niedriger, weil Haus- und Kfz-Versicherungen als auch Benzin günstiger sind. Man muss auch keine Krankenversicherung bezahlen, weil jeder in Schweden automatisch über die Steuererklärung versichert wird.
Darüber hinaus ist die schwedische Wirtschaft „so stark wie Pippi Langstrumpf“, wie es kürzlich der Generalsekretär der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa) zusammenfasste. Das Land überstand die Finanzkrise unversehrt und bietet momentan Hunderte von freien Stellen im IT-Sektor und im Gesundheitswesen. „Die Niederländer kommen mit der ganzen Familie, lernen schnell die Sprache und haben eine gute Arbeitsmoral. Dazu sind Niederländer geschäftstüchtig. Das haben wir in den Genen, die Mentalität aus Zeiten der Ostindien-Kompanie“, meint Floris.
Wer erträgt Dunkelheit nachmittags um Drei?
Unternehmergeist legt auch Ellen Mulderij an den Tag. In der weitgehend verlassenen Gegend um Hjulsjö, einem Örtchen mit rund 50 Einwohnern, bringt sie mit einem Bio-Café und Tante-Emma-Laden wieder Leben ins Dorf. Das Haus ist noch eine Ruine. „Nichts funktioniert richtig, es ist wirklich heruntergekommen.“ Doch auch das packt sie an. „Es ist harte Arbeit, um zu überleben“, sagt Mulderij, die für die ihren Laden und ihre Schafzucht Fördergelder von der EU bekommt.
Die meisten Niederländer lassen sich in den Provinzen Värmland und Dalarna nieder, eine wunderschöne Gegend, mit Hügeln und Wäldern, die sie aus den Ferien kennen. „Aber auf dem Land gibt es wenig Arbeit“, warnt Floris. „Dennoch wollen viele ein Bed & Breakfast eröffnen, doch so etwas läuft nur acht Wochen im Jahr. Davon kann man nicht leben.“
Laut Rob Floris ist es wichtig, sich vor der Entscheidung zur Auswanderung Zeit zu nehmen. „Reisen Sie vorher nicht nur im Sommer nach Schweden, sondern auch zu anderen Jahreszeiten. Mögen Sie Schweden immer noch, wenn es im Winter um drei Uhr nachmittags dunkel wird und sie morgens einen Meter Schnee wegschaufeln müssen, der über Nacht gefallen ist? Wenn ja, dann ist Schweden für Sie gemacht.“
Aus dem Niederländischen von Jörg Stickan