Letzter Abend für das Londoner Olympiastadion — vorläufig. 12. August 2012.

Lohnt sich das?

Wenn man den Anhängern der Olympischen Spiele Glauben schenkt, haben die kolossalen Investitionen positive Auswirkungen auf den Fremdenverkehr, die Stadterneuerung, ja sogar die Volksgesundheit (Förderung des Breitensports). Die Untersuchungen über die Städte, in denen die letzten Spiele ausgerichtet wurden, zeigen allerdings, dass dies nur sehr selten der Fall ist.

Veröffentlicht am 13 August 2012 um 11:36
Letzter Abend für das Londoner Olympiastadion — vorläufig. 12. August 2012.

Abgesehen von der nie endenden Anziehungskraft der sportlichen Wettkämpfe pflegen die Veranstalter der Olympischen Spiele und ihre multinationalen Sponsoren die enorme Verschwendung öffentlicher Gelder, die eine Olympiade mit sich bringt, mit drei Argumenten zu rechtfertigen. In London waren es 15 Milliarden Euro, wenn man einem Bericht des britischen Parlaments Glauben schenkt, das heißt das Siebenfache des 2005 ursprünglich angesetzten Betrags.

Erstens, so das Argument, hätten die Spiele einen direkten wirtschaftlichen Einfluss, weil sie mehrere Hunderttausend Teilnehmer und Touristen anlocken. Zudem würden sich durch die Anwesenheit Tausender Vertreter weltweit agierender Unternehmen vielzählige Gelegenheiten ergeben, Anleger anzuziehen. David Cameron, der britische Premierminister, erklärte letzte Woche, dass sich die Dividende der Olympischen Spiele für die Wirtschaft auf knapp 16.000 Millionen Euro beläuft.

Zweitens sollen die Spiele und andere Großveranstaltungen die Sanierung heruntergekommener Stadtviertel wie das Londoner East End fördern, wo das Olympiastadion und das Olympische Dorf errichtet wurden. Die Sommerspiele 1992 in Barcelona werden oft als Beispiel der katalytischen Rolle der Wettkämpfe in der Stadterneuerung angeführt.

Und drittens, angesichts des in unserer immer trägeren Gesellschaft grassierenden Übergewichts, würden die straffen Bauchmuskeln von Athleten wie der Siebenkämpferin Jessica Ennis oder dem Sprinter Usain Bolt die Menschen sicher dazu animieren, sich körperlich mehr zu betätigen.

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Touristen bleiben aus

„Allen Studien zufolge entspricht keines der drei Argumente der Wirklichkeit“, meint Mark Perryman, Autor des Buchs Why the Olympics aren't good for us [Warum die Olympischen Spiele uns nicht gut tun, OR Books, 2012].

Dieser Kommentar kann übertrieben wirken. Aber bereits nach einer Woche wurde das erste Argument zugunsten der Spiele in London in Frage gestellt. Im August besuchen normalerweise eineinhalb Millionen in- und ausländische Touristen die englische Hauptstadt. Es wird angenommen, dass gut die Hälfte davon beschlossen hat, dieses Jahr wegen der logistischen Probleme, die durch die Olympiade entstehen, von einem Aufenthalt abzusehen, meint Michael Burke, ein Ökonom, der mit dem ehemaligen Londoner Bürgermeister Ken Livingstone zusammenarbeitet.

Die 800.000 Sportfans, die erwartet werden, machen diesen Ausfall nur teilweise wett. „Die üblichen Touristen sind nicht gekommen, das heißt, dass die Wettkämpfe eine negative Auswirkung auf die Wirtschaft haben werden“, so Michael Burke.

Die einzigen Läden, die sich in den letzten Wochen über steigende Umsätze freuen, sind Filialen internationaler Einzelhandelsketten im brandneuen Einkaufszentrum Westfield, das neben dem Olympiapark in Stratford aus dem Boden gestampft wurde und einem australischen Immobilienkonzern gehört.

Arbeitsplätze schnell wieder abgebaut

Es gibt auch nicht viele Bespiele für anhaltende positive wirtschaftliche Auswirkungen nach den Spielen. In Griechenland stieg das Bruttoinlandsprodukt in den Jahren vor den Olympischen Spielen (1997 bis 2004) um 1,5 Prozent. Dann „verminderte sich der Einfluss, um nicht zu sagen, dass er gänzlich verschwand“, meint Evangelia Kasimati, eine griechische Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Bath, die einen Bericht über die Spiele in Athen verfasste.

Die durch den Bau von Anlagen, die Gewährleistung der Sicherheit der Besucher und die Betreuung der Gäste entstandenen neuen Arbeitsplätze werden bald wieder abgebaut. In den drei Monaten nach den Spielen 2004 in Athen verschwanden Evangelia Kasimati zufolge 70.000 Arbeitsplätze, hauptsächlich im Bauwesen. Den Tausenden von Fremdenführern, Gruppenleitern und Wächtern, die im letzten Augenblick in London von Privatunternehmen wie G4S angeheuert wurden, wird es ebenso ergehen.

Auf längere Sicht hatten die Sommerspiele in Athen, „die beinahe ausschließlich mit öffentlichen Geldern finanziert wurden“, wie sich Evangelia Kasimati erinnert, „einen eher bescheidenen Einfluss auf die Konjunktur“. Viele Griechen denken heute, dass die Spiele die bereits endemische Verschwendungssucht der griechischen Bürokratie noch verschlimmert hätten.

Nur Aerobic-Kurse hatten größeren Zulauf

Das Olympische Dorf und das neue U-Bahn- und Straßenbahnnetz wurden an ausländische Unternehmen wie Siemens oder an den spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava vergeben. Auf der exorbitanten Rechnung blieben die Steuerzahler sitzen: mindestens 12 Milliarden Euro, das heißt das Vierfache des ursprünglichen Budgets. Der griechische Staat ist heute im Rahmen des ihm auferlegten Privatisierungsprogramms bemüht, einige olympische Anlagen zu Schleuderpreisen zu verkaufen.

Die von den Olympischen Spielen initiierte Stadterneuerung entbehrt oft jeder Logik. „In Athen wie in Sydney war es extrem schwierig, die Olympiaparks einer neuen Bestimmung zuzuführen“, erklärt Beatriz García, Expertin für die Olympischen Spiele an der Universität Liverpool.

In Bezug auf die Sanierung des Londoner East End zeigt sich Beatriz García optimistischer als ihre Kollegen Sinclair und Perryman: „Der Stadtteil wird sich zu einem Knotenpunkt entwickeln, der das Wirtschaftswachstum fördert“. Mit der Zeit wird wohl wie in Barcelona „ein Quartier um das Olympische Dorf und die neuen Anlagen entstehen“. Aber wie in Barcelona stellt sich auch in London die Frage, welche Art von Quartier?

Das dritte Argument zugunsten der Olympischen Spiele scheint sich ebenfalls nicht zu bewahrheiten. „Es gibt nur vereinzelte Anzeichen dafür, dass die Spiele einen positiven Einfluss auf die Teilnahme am Breitensport haben“, steht im BerichtA lasting legacy for London [der Universität East London, in dem die langfristigen Auswirkungen der Spiele auf Barcelona, Atlanta, Sydney und Athen untersucht werden].

Nach den Spielen in Sidney verzeichneten nur Aerobic-Kurse einen größeren Zulauf. Nach Athen schnellte die Sportbegeisterung der breiten Öffentlichkeit tatsächlich in die Höhe, legte sich jedoch sehr bald wieder.

Kommentar

Zu viele Spiele verderben die Spiele

„Bei den Olympischen Spielen gibt es Sportarten, die im wahrsten Sinne des Wortes an Spiele erinnern“, stellt der Kolumnist von La Stampa Massimo Gramellini fest. Er fragt sich, ob es nicht zu viele solcher Disziplinen gibt:

Ich unterstütze voll und ganz die jungen Mädchen mit ihren Bändern und Reifen, aber ich muss mich doch fragen, ob wir bei den Olympischen Spielen oder im Zirkus sind? Warum ist Badminton eine olympische Disziplin, Tischfussball aber nicht? Und Flippern? Tauziehen wäre ein hervorragendes Spektakel im Fernsehen, ganz zu schweigen von Sackhüpfen. Sie können sich sicher sein, dass es früher oder später zu einer offiziellen Disziplin wird.

Gramellini glaubt, dass diese Sportarten...

Symptom einer verdorbenen Gesellschaft sind, die unfähig ist, eine Auswahl zu treffen und vom zwanghaften Wusch getrieben wird, jeden Unsinn mitzumachen. […] Zum Glück ist das Gedächtnis selektiv und von den Spielen werden nur die in Erinnerung bleiben, die laufen, schwimmen oder Basket- und Volleyball spielen.

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