Küsse aus Zypern

Man spricht Russisch!

Zehntausende Russen haben sich auf Zypern niedergelassen. Der Trend wirft Fragen über die diplomatischen und finanziellen Beziehungen der zypriotischen Regierung zu Moskau auf.

Veröffentlicht am 2 Februar 2012 um 15:43
Küsse aus Zypern

Ein mysteriöses russisches Frachtschiff suchte diesen Monat im zypriotischen Hafen Limassol vor einem heftigen Sturm Schutz.

Die MS Chariotführte 60 Tonnen Munition für Kalaschnikows und Raketenwerfer an Bord. Die vier Container kamen aus der staatlichen russischen Waffenschmiede Rosoboronexport und waren für die syrische Regierung bestimmt.

Zypern, EU-Mitglied seit 2004, hätte die Ladung beschlagnahmen sollen, schließlich handelte es sich um einen flagranten Verstoß gegen das strenge von der EU verhängte Waffenembargo als Sanktion gegen das syrische Regime, das seit letztem Jahr auf Bürger und Demonstranten schießt.

Stattdessen erlaubten die zypriotischen Behörden dem Schiff, den Hafen zu verlassen, nachdem sie eine vage Zusage erhalten hatten, dass es den Kurs ändern würde. Der Kapitän tankte jedoch einfach nur auf und lief auf direktem Weg den syrischen Hafen Tartus an, wo er seine dubiose Ladung löschte.

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Nur nicht Putin verärgern

Kritiker meinen, diese unklare Geschichte sei ein weiterer Beweis dafür, dass Zypern nicht bereit ist, Moskau zu verärgern. Es ist verständlich, dass Zypern nicht Vladimir Putin Missfallen erregen möchte. Immerhin hat der Kremlin ein 2,5 Milliarden-Euro-Darlehen in Aussicht gestellt, um die zypriotische Wirtschaft zu retten. Russland ist zudem ein unerschütterlicher Fürsprecher von Zypern im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sowie ein unbeugsamer Gegner der nur von Ankara anerkannten türkischen Republik Nordzypern.

Heute leben so viele Russen in Limassol, einem malerischen Hafen mit einer hübschen Altstadt und einer Kreuzritterburg, dass die Stadt den Beinamen “Limassolgrad” erhalten hat. Es gibt eine russische Zeitung, zwei russische Schulen und einen russischen Radiosender. Am Sonntag strömen die Russen ins Kaufhaus. Die Touristenmeile der Stadt ist von Geschäften gesäumt, die Pelzmäntel, Kefir und Baltika, Russlands bekannteste Biermarke, feilbieten. Auch die vielen Bars und Diskos in Limassol sind gut besucht. In den Lokalen am Strand gehen ukrainische, belarussische und Moldauer Prostituierte ihrem Gewerbe nach.

“Limassol gehört zur Russischen Förderation”

Auf Zypern sollen rund 35.000 bis 40.000 russischsprechende Ausländer leben. Dazu gehören viele pontische Russen griechischer Abstammung, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind und in den Neunzigerjahren vom Schwarzen Meer auf die Insel gezogen sind.

“Limassol gehört zur Russischen Förderation”, meint Artyom, Kellner im Taras Bulba, das nach dem Kosakenanführer des gleichnamigen Romans von Nikolai Gogol benannt ist. Warum es die Russen nach Limassol zieht? “Erstens, weil die Steuern niedrig sind. Zweitens, weil Russen leicht ein Visum erhalten”, erklärt er.

Natalia Kardash, Chefredakteurin der russischen Wochenzeitschrift Vestnik Kipra schwärmt: “Zypern ist sehr angenehm. Stellen Sie sich einen russischen Geschäftsmann vor, der hier arbeiten möchte. Er kommt in Begleitung seiner Familie. Seine Frau kann shoppen. Sie braucht nicht einmal Englischkenntnisse, alle sprechen hier Russisch. Es gibt Dutzende von russischen Friseursalons und Nagelstudios. Sogar der Bürgermeister von Limassol spricht unsere Sprache. In Osteuropa sind Russen nicht sehr beliebt, obwohl unser Geld immer willkommen ist.”

Ein Drittel der ausländischen Investitionen kommen aus Russland

In der Tat ist sehr viel russisches Geld auf Zypern gelagert. Mehr als 25 Prozent der Bankeinlagen und etwas ein Drittel der ausländischen Investitionen kommen aus Russland. Russische Investoren gründen meistens Scheinfirmen, um von der niedrigen zypriotischen Körperschaftssteuer von 10 Prozent zu profitieren. Ein Großteil des Geldes wird wieder in Russland angelegt. 2008 waren es 1,4 Milliarden Euro, die nicht in Russland versteuert wurden. Die zypriotischen Behörden bestreiten verärgert die Unterstellung, Zypern sei ein Paradies für Geldwäscher, und unterstreichen, dass Russen weitaus höhere Beträge in Österreich und Großbritannien anlegen.

Die Analysten sind skeptisch: “Russisches Geld wird auf Zypern gewaschen. Die russische Mafia agiert auf Zypern”, so Hubert Faustmann, der an der Universität Nikosia Europäische Studien unterrichtet.

Auf den Hügeln über Limassol stehen luxuriöse Villen mit atemberaubendem Meerblick. Eine große Anzahl wurde von Russen über undurchsichtige Offshore-Investments erworben. Andere gehören reichen Zyprioten. Die Einheimischen beklagen sich über die Inflation, die auf den stetigen Geldstrom aus Russland zurückzuführen ist. Die Architektur ist oft sehr geschmacklos,viele Villen stehen die meiste Zeit leer.

Russische Durchschnittsbürger, die auf Zypern leben, meinen, die Insel biete genau das, was Russland fehlt: Schutz vor galoppierender bürokratischer Korruption. Sie unterstreichen auch, dass die meisten Russen, die hier leben, keine Gangster sind. Sie ziehen das Leben auf dem sonnigen Zypern einem Leben in Putins kaltem, kleptokratischen Russland vor, wo es kaum Sicherheit und keinen gesetzlichen Schutz oder Rechtsbehelfe gibt.

“Das rote Schaf Europas”

Der zypriotische Präsident Demetris Christofias leitet die kommunistische Partei Akel. Er studierte im sowjetischen Moskau und spricht fließend Russisch. US-Diplomaten beschreiben ihn in den auf WikiLeaks veröffentlichten Telegrammen als begeisterten NATO-Kritiker. 2008 nannte er sich bei einem nostalgischen Besuch in Moskau stolz “das rote Schaf Europas”.

Erato Kozakou-Marcoullis, die zypriotische Außenministerin, meinte zum russischen Rettungsschirm: “Ein sehr günstiges Darlehen mit günstigen Bedingungen. Wir werden jeden Rubel zurückzahlen.Wir sind dankbar. Russland hat unsere Unabhängigkeit, Souveränität und Integrität des Staatsgebiets immer unterstützt.”

Auch der russische Spionagedienst soll auf Zypern agieren. Die Insel ist wegen ihrer Nähe zum Nahen Osten, einem traditionellen russischen Einflussbereich, von strategischer Bedeutung. Die waffenschmuggelnde MS Chariot ist kein Einzelfall. Russland betreibt über Zypern einen florierenden Waffenhandel mit dem Nahen Osten, in erster Linie Syrien, Libanon, Iran und Irak. Einigen russischen Quellen zufolge sollen auch China und Indien mit Kampfgeräten versorgt werden.

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