Die Zementfabrik Aalborg Portland in Dänemark, einer der weltweit größten Exporteure. Foto: Bjørn Giesenbauer/Flickr

Mit dem Rotstift durch grüne Unternehmen

Ehrgeizig und tugendhaft. Dieses Bild will Europa vermitteln, um gegen die Klimaerwärmung zu kämpfen. Jedoch will es auch entschieden seine Industrie schützen. Europa fürchtet sich vor dem Kopenhagener Gipfel und könnte veranlassen, dass 164 seiner Industriesektoren um das System der kostenpflichtigen Verschmutzungsrechte herumkommen, berichtet La Tribune.

Veröffentlicht am 28 Oktober 2009 um 16:09
Die Zementfabrik Aalborg Portland in Dänemark, einer der weltweit größten Exporteure. Foto: Bjørn Giesenbauer/Flickr

Ab 2013 müssen die Industriebereiche, die am meisten Kohlendioxid abstoßen, auf einem Finanzmarkt Verschmutzungsrechte kaufen, auf dem eine Tonne Kohlendioxid mehr als 30 € kosten wird. So jedenfalls sieht es in der Theorie aus.

In der Praxis hingegen ist das alles ganz anders. Ursprünglich war geplant, dass man einigen Sektoren dank Quotenregelungen ein paar Gratis-Tonnen zugesteht. Vor allem in den Bereichen, die dem internationalen Wettbewerb besonders stark ausgesetzt sind. Damit sollte vor allem verhindert werden, dass es zu einer „Kohlenstoff-Flucht“ in die umliegenden Umwelt-Paradise kommt. Nun gleicht die Liste der Befreiungen aber eher einem vollständigen Jahrbuch der Industrieaktivitäten. Nicht weniger als 164 "anfällige" Sektoren und Untersektoren hat die Kommission aufgelistet.

Stahl, Zement und Aluminium stehen selbstverständlich auf dieser Liste. Aber auch Unternehmen, die Unterwäsche, Tapete, pharmazeutische Präparate, ätherische Öle, Waffen oder Kehrbesen herstellen, kann man dort finden. Diese Bereiche vereinen allein etwa ein Viertel der Kohlendioxid-Quotenregelung der gesamten Gemeinschaft und sind für bis zu 77 % des Kohlendioxidausstoßes der gesamten verarbeitenden Industrie verantwortlich. Anstatt ab 2013 alle Emissionsquoten zu ersteigern, könnten diese Sektoren also von Quoten profitieren, die kostenlos vergeben werden. "Diese Liste wurde nur für den Fall erstellt, dass wir uns in Kopenhagen nicht einigen können", erklärt Barbara Helfferich, die Sprecherin der Kommission.

Sicherheitsnetz für Kopenhagen

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In den meisten Hauptstädte und vor allem in den Reihen des Unternehmertums ist man überzeugt davon, dass diese Liste der Ausnahmen schon in trockenen Tüchern ist, egal wie die Verhandlungen ausgehen werden. Der EU-Abgeordnete Chris Davies urteilt: "Eine übergroße Liste haben wir hier!" "Hier sieht man wieder, wie stark die politischen Verantwortungsträger sind, wenn es darum geht, ehrgeizige Ziele festzustecken, und wie sich die Dinge verändern, wenn es plötzlich um die Einzelheiten geht", fügt der Brite hinzu. Der Entwurf von Schlussfolgerungen des EU-Gipfels, der am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel stattfinden wird, legt fest, dass "diese Liste unter Berücksichtigung der Verhandlungen in Kopenhagen überarbeitet wird". Falls man sich in Dänemark einigen kann, "wird man sich tatsächlich richtig streiten", kündigt Chris Davies an. Sein deutscher CDU-Kollege Karl-Heinz Florenz gibt ihm in einem Punkt Recht: "Wenn man in Kopenhagen erfolgreich sein sollte, so wird man diese Liste nicht mehr benötigen. Falls man sich aber nicht einigen kann, dann werden wir sie brauchen, um unsere Industrie zu schützen."

Diese Inventurliste mit 164 Sektoren wurde schnell erstellt, um die Unternehmer und die Hauptstädte zu beruhigen. Angela Merkel hat ihre Industrie, angefangen bei Kalk und Ziment, standhaft verteidigt. Silvio Berlusconi hat sogar damit geprahlt, "alles das erreicht zu haben, was er wollte", um die verarbeitende Industrie zu schützen. Anschließend haben sich alle Sektoren in Brüssel hartnäckige Lobby-Aktionen geliefert, um zum Club der Risiko-Sektoren zu gehören. Angesichts der drohenden Standortverlagerungen mussten die Europäer den Klimaschutz und die Arbeitsplätze zusammen in eine Waagschale legen. Für den Fall einer Niederlage wird Europa also mit einem Rettungsring nach Kopenhagen reisen.

CO2

Polen dealt mit seinen Emissionsrechten

In Brüssel ist die polnische Klimapolitik ein Reizthema, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Gerade hat Warschau den aus Berlin kommenden Vorschlag abgelehnt, man solle die 2012 nicht genutzte nationale Emissionsrechte verfallen lassen. Ganz im Gegenteil dazu – und das wäre eine Weltpremiere – will Polen einen Teil seiner Rechte für 40 Millionen Euro an Irland und Spanien verkaufen. Damit könnten die letzteren ihre Versprechen in Sachen Emissionsreduktion einhalten und gleichzeitig ihre Emissionen steigern. Für die Europäische Kommission ist das "ein Schlag ins Gesicht". Für sie sind die Emissionsrechte ein "Geburtsfehler des Kyoto-Protokolls", berichtet die deutsche Tageszeitung. Polen hat sich dazu verpflichtet, seinen Kohlendioxidausstoß gegenüber 1988 bis 2012 um 6 % zu reduzieren. "Wegen des Niedergangs der Schwerindustrie nach 1990 liegt Polen heute aber nicht bei minus sechs, sondern bei minus 29 Prozent." Laut der FAZ, "schafft Polen damit einen Präzedenzfall". Andere osteuropäische Länder, aber auch Russland und die Ukraine besitzen nicht genutzte Emissionsrechte. Nach Schätzungen der Kommission handelt es sich um 10 Milliarden Tonnen.

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