Mitrovicas Serben schauen nach Moskau

Immer mehr Kosovo-Serben beantragen die russische Staatsbürgerschaft. Im Fall, dass Serbien für seinen EU-Beitritt, den Kosovo anerkennt, fürchten sie, der albanischen Mehrheit hilflos ausgeliefert zu sein. Doch auf die “slawische Solidarität”, die sie geltend machen, können sie kaum zählen.

Veröffentlicht am 30 November 2011 um 15:32

Über dem nördlichen Stadtteil von Mitrovica weht eine riesige russische Flagge. Von Plakaten an den Häuserwänden schauen slawische Verbündete auf die Straßen herab: der ehemalige serbische Ministerpräsident Vojislav Kostunica, der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, der russische Präsident Dmitrij Medwedew und dessen Amtskollegen aus der Ukraine und Weißrussland, Viktor Janukowitsch und Alexander Lukaschenko. Der größte Teil der Stadt, südlich des Ibar-Flusses, wird von Albanern bewohnt. Aber den mehrheitlich serbischen Norden Mitrovicas erreicht die Zentralregierung nicht.

Nach dem Versuch Pristinas, die Grenzkontrollen auf den Nordteil der Stadt auszuweiten, kam es zu Unruhen. Seither stehen die Grenzübergänge unter Kontrolle der Europäischen Rechtstaatlichkeitskommission EULEX. Serbische Demonstranten haben vor den von EULEX bewachten Grenzposten Straßensperren errichtet. Es heißt, die Serben täten dies nicht nur aus nationalistischen Gründen, sondern weil sie um die Einnahmen aus dem Schmuggel fürchten.

Es überrascht nicht, dass die Gespräche zwischen Serbien und dem Kosovo zum Grenzverlauf und den gegenseitigen Beziehungen, welche am 21. November wieder aufgenommen wurden, ergebnislos geblieben sind. Zudem sieht es aus, als würden die Serben aus Mitrovica ihrer ehemaligen Hauptstadt nicht mehr trauen. Sie fürchten, dass Brüssel als Bedingung zum EU-Beitritt Serbien die Anerkennung des Kosovo abringt, dass Belgrad nachgeben wird. Aus diesem Grund haben 20.000 Serben einen Antrag auf die russische Staatsbürgerschaft gestellt. Und viele andere werden es noch tun. Denn Russland, meinen die Bewohner von Mitrovica, wird sie gegen die Albaner schützen.

Moskau macht die Lage noch komplizierter

Nach den NATO-Luftangriffen im Jahr 1999 sind die serbischen Truppen aus dem Kosovo abgezogen. Die albanische Bevölkerung hatte danach blutige Rache an den Serben im Land genommen. Viele flüchteten über die Nordgrenze. Jene, die geblieben sind, fühlen sich nur unter dem Schutz der ansonsten von ihnen verhassten internationalen Truppen sicher.

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Der Glauben an einen russischen Schutzschirm wird von Moskau geschickt aufrecht erhalten: “Wir verstehen die Beweggründe der Kosovo-Serben und prüfen sorgfältig ihre Anträge”, erklärte jüngst der russische Außenminister Sergei Lawrow. Dabei unterschlägt er, dass nach russischem Recht die Staatsbürgerschaftskandidaten entweder in Russland residieren oder aus einer ehemaligen Sowjetrepublik stammen müssen, was es den Serben Mitrovicas legal unmöglich macht, russische Staatsbürger zu werden. Indem falsche Hoffnungen bei den Kosovo-Serben geschürt werden, versucht Moskau mit allen Mitteln die Lage vor Ort noch komplizierter zu machen.

Doch in Mitrovica erinnert man gerne daran, dass Russland in Abchasien und Südossetien der Bevölkerung die russische Staatsbürgerschaft gewährt und danach den Georgienkrieg angezettelt habe, um die Unabhängigkeit dieser beiden Gebiete durchzusetzen. Wird es also irgendwann eine unabhängige Russische Republik Serbisch-Mitrovica geben?

Alte Blutbäder

Das ist natürlich nur ein Traum, eine andere Variante der Antwort der Montenegriner eine Minderheit von 600.000 Menschen auf die Frage “Wieviel seid ihr?” “Mit den Russen 140 Millionen”, lautete deren Antwort. Doch Montenegro hat Verrat begangen: Es hat den Kosovo anerkannt und will der EU beitreten. Im Kosovo sind kaum montenegrinische Flaggen zu sehen, ganz im Gegensatz zu den serbischen, von denen es nur so wimmelt. Die serbische Flagge ist eine russische Flagge, die Kopf steht, gleich dem Vorhaben der Serben, russische Staatsbürger zu werden.

Und wenn es auch ein sinnloses Unterfangen ist, so zeigt es doch die echte Verzweiflung einer Bevölkerung, die von der Geschichte für alles Unrecht, das in ihrem Namen begangen wurde, die Quittung bekommen hat. Es wäre wahrscheinlich gerechter, wenn Mitrovica Serbien zugesprochen würde und der Kosovo die von Tito annektierten, aber mehrheitlich von Albanern bewohnten Städte Bujanovac und Preševo zurückbekäme. Doch wagt niemand, die Grenzen im Balkan anzurühren. Aus jedem Versuch wurde bisher ein Blutbad.

So werden die Bewohner von Mitrovica weder ihren Pass mit dem serbischen Adler behalten, noch einen russischen mit Doppeladler bekommen können. Auch der zweiköpfige Adler Albaniens wird ihnen vorenthalten bleiben: Die internationale Gemeinschaft hat den Albanern des Kosovo die offizielle Verwendung dieses Emblems untersagt und anstelle eine andere Flagge mit den Umrissen den Landes und sechs Sternen als Symbol für die sechs ethnischen Gruppen durchgesetzt. Der serbische Stern ist der zweite von links. Oder von rechts, je nachdem. Ein kleiner Stern, Symbol der Schwäche und wie wenig den Serben vom Kosovo gehört. Symbol einer Niederlage, die sie nicht eingestehen wollen. (js)

Aus Serbien

Um EU-Beitritt nicht zu gefährden, entschärft Belgrad den Konflikt

“Im letzten Augenblick vermeidet Serbien die Eskalation”, titelt Danas nach Ende der Ausschreitungen in der Nähe des nordkosovarischen Dorfs Jagnjenica, bei denen mehr als hundert serbische Demonstranten verletzt wurden. 25 KFOR-Soldaten aus Deutschland und Österreich erlitten dabei Schussverletzungen.

Nach Angaben der Tageszeitung aus Belgrad habe der serbische Präsident Boris Tadic die Serben aufgefordert, sich von den Barrikaden zurückzuziehen.

Für Danas handelt es sich dabei “um die Reaktion auf Warnungen aus mehreren europäischen Hauptstädten, die deutlich machten, dass die Zusammenstöße mit der KFOR Serbiens EU-Beitritt gefährden.” Nach Danas zitiert aus diplomatischen Kreisen, wonach es wahrscheinlich sei, dass die Staats- und Regierungschefs der Union, an erster Stelle Deutschland, auf ihrem Gipfeltreffen am 9. Dezember beschließen werden, ihre Entscheidung zum EU-Beitritt Serbiens aufgrund der Zwischenfälle in Nordkosovo aufzuschieben.

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