Nun also doch: Orbán braucht den IWF

Das finanziell geschwächte Ungarn hat um Hilfe des Internationalen Währungsfonds gebeten. Bis Januar 2012 soll eine Einigung gefunden werden. Ist Ministerpräsident Viktor Orbán schlicht gescheitert oder handelt es sich um eine Intrige gegen seine Politik der Unabhängigkeit? Ungarns Presse ist gespalten.

Veröffentlicht am 25 November 2011 um 14:39

Es gibt nichts zu beschönigen: Die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem IWF [am 21. November] kommt einer Kapitulation gleich.

Anders kann man es nicht beschreiben, denn als wir dieser Institution im vergangenen Sommer den Rücken gekehrt haben, nannten wir dies "Unabhängigkeitskrieg" [Ungarn hatte die Diskussionen mit dem IWF abgebrochen. Das Land lehnte die vom Währungsfonds geforderten Auflagen ab. Im Jahr 2008 erhielt es Zahlungen in Höhe von 20 Milliarden Euro von IWF, Weltbank und der Europäischen Union]. Diese Kapitulation ist eine schlechte Nachricht und eine Demütigung für jene, die für diese Unabhängigkeit kämpfen.

Allerdings ist es auch besonders ärgerlich zu sehen, wie die Finanzmärkte auf eine koordinierte und systematische Weise das Land auf diesen Weg hinmanövriert haben. Des Weiteren ist es seltsam, wie sich die Hysterie auf den Finanzmärkten, welche auf Hirngespinsten und unbegründeten, aber vermutlich wissentlich verbreiteten Gerüchten beruht, mit der Ankunft der IWF-Delegation noch verstärkte.

Nach einigen Monaten der Ruhe sind wir also zum nächsten Epizentrum der Krise geworden, welche die Union erschüttert, wie ein Blogger des Wall Street Journals feststellt. Gleichzeitig wirft uns ein Bloomberg-Manager grinsend auf den Müllhaufen. Zwei Ratingagenturen haben Drohgebärden uns gegenüber eingenommen und der Wechselkurs zwischen Forint und Euro bricht alle historischen Rekorde.

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Eine Geschichte wie im Märchen

Wir sind in die Zange genommen worden. Alle Kommentatoren, Analysten und Investoren beteten wie ein Mantra herunter, dass das Unglück noch abgewendet werden könne, sollte Ungarn ein neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds unterzeichnen. Und wie durch ein Wunder, wird dies geschehen. Wie im Märchen, wäre man versucht zu sagen. IWF und Ungarn haben wieder zueinander gefunden. Schenkt man den Erklärungen Gauben, so wird man bis zur Hochzeit aber noch bis Januar warten müssen.

Es versteht sich von selbst, dass wir während dieser Hetzkampagne der Märkte vergeblich auf eine, wenn auch nur symbolische, Unterstützung aus Brüssel gehofft haben. Doch derzeit stehen einzig die Probleme der Eurozone im Mittelpunkt. Wir sind vergessen worden. Oder aber, es passt Brüssel in den Kram, dass man nicht allzu sehr über unsere Unabhängigkeit spricht.

Zu guter Letzt: Wenn ich daran denke, was passiert ist, erinnert mich das an eine Geschichte, wie man sie aus dem heutigen Ungarn kennt: Am Balaton [deutsch: Plattensee] wird ein Restaurant eröffnet. Eines Tages tauchen einige stämmige Landsmänner auf und machen ein Angebot: Wir bräuchten Schutz in dieser gefährlichen Welt und sie könnten ihn gewährleisten. Man lehnt ab, weil man meint, dass man allein zurechtkommt. "Wie Sie wollen", sagen die Kerle. Kurz darauf brennt das Restaurant ab. Und da kommt die Kehrtwende: Mit einem Mal scheint das Angebot attraktiv. (j-s)

Kontrapunkt

Der Feigling Viktor Orbán

"Wenn ein Politiker für den Fall dieser oder jener eventuellen Situation seinen Rücktritt ankündigt ("Kommt der IWF zurück, dann gehe ich.", kann man getrost davon ausgehen, dass besagter Politiker im Amt bleibt, wenn diese Situation dann wirklich eintrifft", spottet Népszabadság und betont, dass Ministerpräsident Viktor Orbán vor kurzem noch versicherte, er werde jegliche Intervention des IWF in Ungarn ablehnen.

"Er hatte mit sich mit aller Macht dagegen gestemmt, in der Hoffnung, dass das Schlimmste vermieden werden könnte", schreibt die linksliberale Tageszeitung. Der Regierungschef "versucht eine Politik zu retten, die nicht mehr zu retten ist und deshalb auch nicht fortgeführt werden kann. Er versucht vor allem, sich selbst zu retten."

"Schauen wir den Tatsachen ins Auge", führt das Blatt fort. "Vor eineinhalb Jahren, als er sich fast alles in diesem Land erlauben konnte —und er erlaubte sich fast alles — übergab er alle Vollmacht einem Wunderheiler [dem Wirtschaftsminister György Matolcsy], auf dessen Wahnvorstellungen er seine sogenannte "Politik der Selbstbestimmung" konstruierte. Eine sicherlich attraktive Politik, aber auch eine dumme, denn sie hat dem Land und den Menschen Schaden zugefügt. Wir sind heute zum Gespött der Welt geworden."

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