„Wir wissen nicht, was passiert ist. Aber vor einigen Jahren waren die Kassen noch voll!“

Pokern um die Rettung-Light

Nachdem sie wochenlang abstritt, dass der spanische Bankensektor Hilfe brauchte, entschloss sich die Regierung in Madrid doch dazu, die EU um ihre Unterstützung zu ersuchen. Und pokerte geschickt, damit auch die Deutschen mitmachten. Hier die Entschlüsselung.

Veröffentlicht am 11 Juni 2012 um 16:52
„Wir wissen nicht, was passiert ist. Aber vor einigen Jahren waren die Kassen noch voll!“

Wir haben wieder eine Woche am Rande des Schlaganfalls erlebt. Die anhaltenden Gerüchte um einen bevorstehenden Unterstützungsantrag an Brüssel zur Rettung der spanischen Banken wurden von der Regierung immer wieder abgestritten: Man warte auf die Ergebnisse der angeforderten Revisionsberichte.

Seltsamerweise wurde diese Spannung diesmal nicht von einem Börseneinsturz begleitet, sondern – ganz im Gegenteil – von präventiven Aufschwüngen um rund acht Prozent, als Vorgriff auf die bevorstehende Bewältigung der Bankia-Krise. Und am Samstagnachmittag kündigte [Wirtschaftsminister] Luis De Guindos an, die Eurogruppe habe den doch bis zum Vortag streng dementierten Rettungsantrag für die spanischen Banken angenommen. Die scheinbare Ruhe an der Börse bedeutete also nicht, dass wir am Rande des Abgrunds standen – und erst recht nicht am Ende des Tunnels, sondern vielmehr im Auge des Zyklons.

Die spanische Rettung findet statt, während wir die Mitte des von der Eurokrise entfachten Sturms durchqueren, kurz vor dem Donnerschlag der griechischen Wahlen, auf welche der Zerfall der Eurozone folgen könnte. Und diese tiefgreifenden Störungen schlugen sich in Rajoys Regierungsweise nieder.

Er war das Opfer einer Eklipse, als suche er durch seine ursprüngliche Stummheit eine besonders ambivalente Botschaft zu übermitteln: Es ist eine Rettung (also etwas an sich Negatives), zu deren Beantragung ich entgegen meiner vorigen Aussagen gezwungen wurde; doch es ist auch keine Rettung (sondern ein anderer Euphemismus), weil es Spanien vor dem Bankrott retten wird. Und somit sollte man aus seinem Schweigen schließen, dass wir uns glücklich schätzen können, denn eine Nichtbeantragung dieses Rettungsschirms wäre noch schlimmer gewesen.

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Aus der Not eine Tugend machen

Über Schweigen und Euphemismen hinaus: Wie soll diese Rettung beurteilt werden? Der Kulturkrieg, zu dem uns die Polarisierung unseres politischen Lebens zwingt, ist erbarmungslos: Die Linke lehnt den Rettungsschirm ab, die Konservativen applaudieren ihn. Ich will in eine solche Schwarz-Weiß-Malerei gar nicht verfallen und würde sagen, dass mir der Rettungsschirm trotz allem positiv vorkommt.

Nicht nur ist er das kleinere Übel – jede andere Lösung wäre schlimmer gewesen –, sondern er bietet auch die unleugbaren Vorteile, die es eben gibt, wenn man aus der Not eine Tugend macht. Sein erster Vorteil ist sein selektiver Rettungscharakter, der ausschließlich dazu dient, 30 Prozent unseres Finanzsystems zu rekapitalisieren, nämlich den verdorbenen Teil, der sich nach jahrelanger Finanzspekulation durch die klientelistischen Netzwerke aller Parteien angehäuft hat.

Der europäische Chirurg wird also den bösartigen Tumor endlich völlig beseitigen, da wir es alleine nicht tun können. Doch dieser chirurgische Eingriff wird ganz gezielt erfolgen, da der Krebs im Rest des Finanzsystems keine Metastasen gestreut hat. Und somit greift auch der spanische Staat nicht ein.

Der andere Grund zur Freude ist, dass es sich um eine Rettung in der Light-Version handelt. Der Rettungsschirm läuft nämlich über den [2009 zur Sanierung des Sektors gebildeten, staatlichen spanischen Bankenrettungsfonds] FROB und nicht über die Finanzbehörden und es gibt demnach im Gegenzug auch keine makroökonomischen Bedingungen oder Forderungen. Ein geschickter Weg, das deutsche Veto zu umgehen, obwohl er etwas von einer finanziellen Täuschung hat. Letztendlich dienen die Mittel nämlich doch dazu, unsere Staatsschulden zu erleichtern.

Doppelspiel nah am Moral Hazard

Auch eine andere List ermöglichte die Mehrdeutigkeit des FROB, eines Amphibiengebildes, das sich als öffentliche Institution darstellt, um die Deutschen (die ihr Veto gegen die direkte Rettung des Bankensektors eingelegt haben) zu beruhigen, aber zum Privatsektor gehört, wenn es darum geht, bei der EU Kredite zu beantragen (und somit muss Brüssel nicht zur Rettung des spanischen Staats schreiten). Ganz gleich, wie man es betrachtet, hat das alles etwas von einer scheinheiligen Doppelzüngigkeit, einem Doppelspiel, das an ein moralisches Risiko grenzt. Das aber von Merkel akzeptiert wurde.

Daher der zufriedene Gesichtsausdruck des arroganten Rajoy, der mit dieser List seine strenge Kollegin übers Ohr gehauen zu haben scheint, nachdem er ihre legendäre preußische Unnachgiebigkeit mürbe geklopft hatte. Sein Meisterstück war es, so zu tun als sei Spanien ein zu großes Land, um sich einen Zusammenbruch zu erlauben: ein Bluff, den sich Merkel nicht zu kontern traute.

Im Gegensatz zu dem, was er uns vorher zu verstehen gegeben hatte, ist Rajoy nicht [sein sozialistischer Vorgänger] José Luis Rodríguez Zapatero. Seine Zweifel, seine riskanten Improvisationen, seine ewige Verweigerung, sein Mangel an Strategie und an Programm ließen gewiss an das Axiom von Groucho Marx denken: „Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“

Und er erwies sich auch als enttäuschend, indem er uns angesichts der Shakespeare-Frage „Rettung oder nicht Rettung“ sein berühmtes „kommt darauf an“ verabreichte. Doch im Gegensatz zu Zapatero, der sich ausnehmen ließ und beim Euro-Poker alle seine Einsätze verlor, ist es dem guten Mariano gelungen, die Partie zu gewinnen und die Deutschen zu schröpfen. War das nur eine Frage des Glücks? (pl-m)

Kommentar

Obama macht Druck

Seit dem Zusammenbruch der Bankia hat die Regierung unter Mariano Rajoy versucht, ein ausländisches Eingreifen zu vermeiden. Wie Enric Julianain La Vanguardia feststellt wurde dieser Widerstand...:

...anscheinend am Samstagnachmittag gebrochen, mit einem Vorstoß der Deutschen, unterstützt durch den Internationalen Währungsfonds und die Vereinigten Staaten. [...] Aus Washington beobachtete die Obama-Regierung die Situation mit zunehmendem Unbehagen. Seit Monaten betrachtet der amerikanische Präsident das Abdriften Europas als katastrophal, diese Meinung teilen auch China und Russland. Eine plötzliche Verschlimmerung der Krise in der Eurozone könnte sich auf die amerikanische Wahlkampagne auswirken. In diesem Hinblick boten die griechischen Wahlen vom 17. Juni und das in der Luft hängende Schicksal Spaniens noch zusätzliche explosive Risiken. Diese Zeitbombe musste entschärft werden.

Der Hilfsplan für die Banken gibt dem spanischen Ministerpräsidenten trotz allem eine „Sauerstoffzufuhr“, so La Vanguardia.

Rajoy hat gestern seinen 9. Mai erlebt. An diesem Datum im Jahr 2010 hatte José Luís Rodríguez Zapatero einen Anruf von Obama erhalten, er solle den Forderungen der Deutschen nachgeben und seine Politik ändern. [Dieses Mal] haben die USA dazu beigetragen, den spanischen Stolz zu beugen und haben Rajoy vielleicht gerettet.

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