Presseschau Kritische Osten

Risse in der russischen Fassade

Russlands Infrastruktur bröckelt, die Menschen werden immer ärmer, und die Krisen häufen sich. Paulina Siegień von Krytyka Polityczna beleuchtet die Ereignisse an der Ostgrenze der EU.

Veröffentlicht am 1 Februar 2024 um 12:06

Werden Eier Putin zu Fall bringen?

Diese Frage erinnerte mich an das alte Märchen vom unsterblichen Koschtschei, einer Figur der russischen Folklore. Koschtschei entführt Prinzessinnen, und der Held, Iwan Zarewitsch, muss sie retten, indem er Koschtschei tötet. Der Schlüssel, um Koschtscheis Unsterblichkeit zu brechen, liegt in einem Ei, das in einer Reihe von verschachtelten Objekten versteckt ist. Als Iwan Zarewitsch das Ei findet und zerbricht, stirbt Koschtschei. Der Held kehrt im Triumph zurück und lebt mit der Prinzessin glücklich bis an sein Lebensende.

Wladimir Putins todesverachtende Politik macht es leicht, ihn mit Koschtschei zu identifizieren, und Russlands anhaltende „Eierkrise" erinnert an das Volksmärchen. Der Preis für Eier ist in Russland drastisch gestiegen, im letzten Jahr um mehrere zehn Prozent. In einigen Regionen beklagen sich die Menschen über die damit verbundene Knappheit und posten Bilder von leeren Ladenregalen in den sozialen Medien.

Putin hat den Preisanstieg auf steigende Einkommen zurückgeführt. Dabei handelt es sich um ein für die Kreml-Propaganda typisches Wunschdenken. Ein Lieblingssatz von mir bringt es auf den Punkt: „Путин поручил разобраться“. Grob gesagt: Putin hat Anweisungen gegeben, das Problem zu prüfen.

Im Magazin „The Insider“ hat Marina Dulneva das Thema Eier unter die Lupe genommen und Expert*innen und Erzeuger*innen nach ihren eigenen Erklärungen gefragt.

Zunächst scheint es, dass die Sanktionen die Eierproduktion tatsächlich verteuern. Futtermittel, Antibiotika und andere Zaubermittel, die die Hühner produktiv machen – all das kam früher aus dem Westen. Jetzt werden sie über so genannte Parallelimporte, d. h. über Drittländer, nach Russland eingeführt, was höhere Kosten zur Folge hat.

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Zweitens wurden auch die Bruteier, aus denen Hühner und Hähnchen entstehen, größtenteils importiert. Der Lebenszyklus eines Legehuhns beträgt etwa 18 Monate bis 2 Jahre. Das Defizit macht sich also erst jetzt bemerkbar.


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Für die Russ*innen selbst haben Eier eine besondere Bedeutung, denn sie sind eine billige Eiweißquelle als Ersatz für Fleisch, das sich immer weniger Russ*innen leisten können.

Die Realität ist, dass Russland als Folge seines Krieges mit einer zunehmenden Krise konfrontiert ist. Diese Tatsache lässt sich nicht an Indikatoren wie dem BIP oder der Inflation ablesen, da die russische Volkswirtschaft durch die enormen Ausgaben für den Krieg angeheizt wird. Doch wie Holod berichtet, sind sich unabhängige Expert*innen einig, dass dieses Wirtschaftsmodell nicht tragfähig ist und dass 2024 ein schwieriges Jahr für Russland sein wird.

Die russische Infrastruktur bröckelt auch ohne Bomben

Doch nicht nur die Eierkrise lässt für Russland nichts Gutes ahnen.

Bereits im zweiten Jahr in Folge füttert die russische Propaganda die Menschen mit schadenfrohen Bildern von Europa, das ohne russisches Gas friert. Raketen werden auf die ukrainische Heizungsinfrastruktur abgefeuert, um die widerspenstigen Ukrainer*innen auf direkterem Wege ausfrieren zu lassen. Doch im Moment sind es die Russ*innen, die trotz ihres Rufs, winterhart zu sein, frieren.

In einer Reihe von russischen Städten frieren Zehntausende von Menschen in ihren Wohnungen wegen kaputter Heizkessel und geplatzter Wasserleitungen, berichtet Novaya Gazeta Europe. Einfache Russ*innen wärmen sich an den Kohleöfen in ihren Hinterhöfen oder suchen Zuflucht bei Familie oder Freund*innen.

Die russische Infrastruktur bricht von selbst zusammen, weil sie einfach nicht gewartet wird. Für Putins Gasimperium, sein Land der sozialen und wirtschaftlichen Stabilität, ist das eine schlechte Leistung.

Es erweist sich als schwierig, in Fernwärmesysteme zu investieren, wenn für jeden neuen Raketenangriff auf die Ukraine Hunderte Millionen Dollar benötigt werden. Und der Kreml hat seine Prioritäten.

Kurz gesagt ist die russische Infrastruktur marode, die Menschen leben in Armut und die Krisen häufen sich. Putin ist alt, sein politisches System ist ineffizient, und die Gewalt kehrt von der Front in die Heimat zurück. Der Krieg ist zu einem klaren Spiegelbild der kolonialen Struktur des Landes geworden. Das Jahr hat für Putin schlecht begonnen und es wäre schön, wenn sein Regime es nicht überleben würde.

Belarus: eine neue Welle politischer Unterdrückung

Während Russland mit dem Winter kämpft, rollt eine neue Welle gewaltsamer Unterdrückung durch Belarus. In den letzten Tagen haben die Sicherheitsdienste des Regimes die Verwandten von politischen Gefangenen zusammengetrieben. Belarusische Nichtregierungsorganisationen und emigrierte Politiker*innen gehen davon aus, dass etwa 150 Personen verschleppt wurden.

Einer der Gründe für die Verhaftungen ist, dass Familien von politischen Gefangenen – und einige ehemalige Gefangene, die inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sind – finanzielle Unterstützung von belarusischen Organisationen mit Sitz im Ausland erhalten haben.

In Wirklichkeit kann diese neue Welle der Repression mit den bevorstehenden Wahlen in Belarus in Verbindung gebracht werden, die paradoxerweise keine politische Bedeutung haben werden. Die Schriftstellerin Anna Zlatkowskaja glaubt, dass dieses harte Vorgehen ein weiterer Versuch ist, die Solidarität in der belarusischen Gesellschaft abzutöten, indem man sie einfach kriminalisiert.

Unterdessen schreibt das belarusische Portal Zerkalo, dass im Jahr 2023 mindestens 200 Menschen nach ihrer Rückkehr nach Belarus inhaftiert wurden. Das Regime setzt sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche ein, um die Emigrierten zurückzulocken. Es verspricht ihnen Sicherheit, wenn sie Reue für ihre Kritik am Regime und ihre Teilnahme an den Protesten zeigen. Unterdessen macht das Regime es ihnen unmöglich, ihr Eigentum vom Ausland aus zu verwalten und in den belarusischen Konsulaten offizielle Dokumente zu erhalten.

Für jeden, der auch nur eine einzige kritische Bemerkung gegen Aljaksandr Lukaschenka gemacht, geschweige denn eine Aktion oder Initiative organisiert hat, ist es gefährlich, sich in Belarus aufzuhalten. Politische Exilierte befinden sich jedoch in einer schrecklichen Situation, vor allem, wenn ihre Familie in Belarus bleibt.

Polen: Die besiegte Rechte weigert sich, aufzugeben

Die pro-demokratische Koalition, die die polnischen Wahlen im Oktober gewonnen hat, kämpft mit dem Erbe der achtjährigen Herrschaft von Jaroslaw Kaczynski und seinen Kumpan*innen.

Wie Grzegorz Sroczyński in Gazeta.pl betont, war es nie einfach, ein Land zu rehabilitieren, dessen Kontrollmechanismen systematisch abgebaut wurden und in dem der Präsident selbst ein feindlicher Akteur bleibt. Die Polarisierung verschärft sich, stellt Jakub Majmurek in Krytyka Polityczna fest, was eine düstere Atmosphäre schafft und Sorgen um die Lebensfähigkeit der polnischen Institutionen weckt.

Ein Symbol für diesen Kulturkampf ist der Fall der beiden Abgeordneten der ehemaligen Regierungspartei, Mariusz Kaminski und Maciej Wąsik. Die beiden wurden zu zweijährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie vor zwölf Jahren gefälschte Dokumente beschafft hatten, als sie an der Gründung des Zentralen Antikorruptionsbüros beteiligt waren. Von außen sieht ihre Inhaftierung wie eine Komödie der Irrungen aus. Aus der Nähe betrachtet handelt es sich jedoch eher um einen traurigen Fall von politischer Schikane, bei dem der amtierende Präsident Gauner schützt, weil sie zufällig seine Kumpane sind. Diese Begebenheit hat gezeigt, dass weder das Gesetz noch gute politische Sitten zählen, wenn es um die Interessen dieser Partei geht.

Leider könnte dies das Gesicht der polnischen Politik bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2025 sein. Sie werden die erste Gelegenheit bieten, ein Staatsoberhaupt zu wählen, das die Regierungskoalition unterstützt, anstatt ihre Aktionen aus rein parteipolitischen Gründen mutwillig zu sabotieren.

In Zusammenarbeit mit Display Europe, kofinanziert von der Europäischen Union. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologie wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für sie verantwortlich gemacht werden.
ECF, Display Europe, European Union

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