Mälarhöjden, in der Nähe von Stockholm, Oktober 1951. Eine Roma Familie, die soeben von ihrer Zeltstätte vertrieben wurde.

Roma-Register in Schweden

Die neuesten Bekanntgaben zu den Roma-Registern enthüllen die Verfolgungen, denen die Roma ausgesetzt waren, sowie ihre heutige Diskriminierung. Sie stellen nicht nur die schwedische Integration in Frage, sondern auch das Bild, das sich die Schweden von ihrem Land machen.

Veröffentlicht am 27 September 2013 um 16:00
Mälarhöjden, in der Nähe von Stockholm, Oktober 1951. Eine Roma Familie, die soeben von ihrer Zeltstätte vertrieben wurde.

Im Januar 2011 beschloss der [schwedische] Integrationsminister Erik Ullenhag die Veröffentlichung eines Weißbuchs über „die Attacken und Beeinträchtigungen, denen die Roma im 20. Jahrhundert in Schweden zum Opfer fielen“.

Als er es vorstellte, machte Erik Ullenhag keine Umschweife: „Im Lauf der Geschichte fielen die Roma inakzeptablen Persönlichkeitsverletzungen zum Opfer, zum Beispiel erzwungener Sterilisation und Aberkennung des Rechts auf Kindererziehung. Wenn wir vorankommen wollen, dann ist es wichtig, hier einen Schlusspunkt zu setzen. Der Staat muss die begangenen Ungerechtigkeiten anerkennen.“

Ganz ehrlich, was wissen die Schweden über diese Ungerechtigkeiten? Welchen Wissensstand hat die breite Öffentlichkeit zu diesem Thema?

Vorurteile gegen Roma haben sich in ganz Europa verbreitet

Es wäre nicht voreilig zu behaupten, dass es um die Kenntnisse hierzu schlecht bestellt ist. Darüber hinaus haben sich die Vorurteile – und das Gefühl des Grolls – gegenüber den Roma in ganz Europa alarmierend verbreitet. In Ländern wie Ungarn ermordeten Volksmilizen Roma, während die Polizei keinen Finger rührte. In anderen Ländern sind die Roma Opfer einer bitteren Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.

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Die Enthüllungen der Dagens Nyheter über das Roma-Register in Schweden müssen also vor diesem Hintergrund analysiert werden. Wieder einmal wird eine verletzliche Bevölkerungsgruppe an den Misskredit erinnert, dessen Opfer sie bereits ist.

Eine Gesellschaft, die ihrem Land die Dinge nicht erschwert

Es ist schwierig, eine einleuchtende Erklärung für die Registrierung zweijähriger Kinder zu finden. Oder will die schwedische Polizei vielleicht die Erbsünde in das Gesetz einführen? Wann fände denn dann das Vergehen statt? Wenn die Eltern nicht den Ad-Hoc-Familiennamen tragen? Erik Ullenhag scheint allen Grund dazu zu haben, die Veröffentlichung seines Weißbuchs hinauszuschieben.

In den letzten Jahren wurden einige wenige, wenn auch besonders bissige Werke über die dunkelsten Kapitel der schwedischen Geschichte veröffentlicht. Außer der Grausamkeit der geschilderten Geschichten haben ihre Autoren noch etwas gemeinsam: Sie beschreiben eine Gesellschaft, die es lieber vermeidet, ihrem Land die Dinge zu erschweren. Denn in Wahrheit kann ein Land die richtige und die falsche Richtung gleichzeitig einschlagen. Oder, wie es die Schriftstellerin Lawen Mohtadi in einem Interview mit der Sydsvenskan ausdrückte: „Das schwedische Modell war mitten im Aufstieg, sein Schwerpunkt lag auf der Gleichheit. Und gleichzeitig gab es das hier.“

1943 führte Schweden eine „Erfassung der Zigeuner“ durch

Mit „das hier“ meint Lawen Mohtadi die Behandlung der Roma. Sie meint den Untersuchungsausschuss über Landstreicherei, der die Roma 1923 als Bedrohung qualifizierte. Sie meint die Tatsache, dass den Roma von 1914 bis 1954 das Betreten des schwedischen Staatsgebiets verboten wurde. Die Roma, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten, durften also in dieses Land nicht einreisen.

1943 führte Schweden eine „Erfassung der Zigeuner“ durch. Lawen Mohtadi beschreibt sie folgendermaßen: „Mitten im Inferno des Zweiten Weltkriegs, während die Roma in ganz Europa zu Tausenden in die Vernichtungslager der Nazis geschickt wurden, bekamen die Roma in Schweden einen Besuch von uniformierten Polizisten, denen sie ihre ethnische Zugehörigkeit sowie die ihrer Eltern mitteilen und eine ganze Reihe persönlicher und intimer Auskünfte geben mussten.“

Wer mehr über die Behandlung der Roma in Schweden erfahren will, kann auch den öffentlichen Bericht „Das gelb-blaue Glashaus“ lesen, der 2005 veröffentlicht wurde. Darin ist insbesondere zu lesen, dass 1637 die Todesstrafe für „[männliche] Zigeuner, die das Land nicht verlassen hatten,“ eingeführt wurde.

Das Schweden von 2013 kann natürlich nicht mit dem Schweden des 17. Jahrhunderts verglichen werden. Wir haben auch keine Entsprechung mehr zur „Rassenbiologie“, die Anfang des letzten Jahrhunderts en vogue war. Doch wir können nicht so tun als hätten diese Kapitel nicht stattgefunden. Sonst wird es uns nie gelingen, den heute grassierenden Anti-Roma-Rassismus zu analysieren und zu bekämpfen. Die Ordnungshüter und die Behörden verstehen das. Es ist die Bedingung für das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Aus dem Französischen von Patricia Lux-Martel

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