Das AKW Temelín. Tscheschische Republik, Juli 2011.

Russisch-amerikanische Manöver um AKW Temelín

Bauprojekte neuer Kernkraftwerke sind eine Seltenheit in Europa, was den Ausbau von Temelín für die Unternehmen umso attraktiver macht. Russen und Amerikaner liefern sich einen Konkurrenzkampf, für den Politiker, Lobbyisten und Geheimdienste mobilisiert werden.

Veröffentlicht am 11 Oktober 2012
Das AKW Temelín. Tscheschische Republik, Juli 2011.

Die Teilnehmer an der Ausschreibung für den Bau zweier neuer Reaktoren für die Anlage von Temelín versichern, dass es nur ums Geschäft geht [Die Auftragshöhe wird auf zwischen 8 und 12 Milairden Euro geschätzt]. Politik interessiere sie nicht, oder nur sehr marginal.

„Je weniger Politiker und Lobbyisten sich einmischen, umso besser wird die Entscheidung“, erklärte beispielsweise Kirill Komarov, Vize-Präsident des russischen Staatskonzerns Rusatom. Die Amerikaner sehen das genauso. „Wir achten nur darauf, dass die Entscheidungsträger vollständige und genaue Informationen bekommen“, betonte Mike Kirst, Vizepräsident des amerikanischen Stromkonzerns Westinghouse.

Aber die Realität ist nuancierter. Ein Milliardenvertrag steht auf dem Spiel, der logischerweise starkes Interesse bei den Unternehmen und den Politikern weckt.

Ein Bericht des tschechischen Geheimdienstes BIS aus dem Jahr 2011 bestätigt, dass Temelín ein Thema von ausschlaggebender Bedeutung ist, bei dem es um mehr als Unternehmensbilanzen geht. Wirtschaftsbereiche wie die Energiebranche ziehen die volle Aufmerksamkeit des russischen Geheimdienstes auf sich. So waren russische Agenten „bei diversen gesellschaftlichen Anlässen anwesend, um alte Beziehungen wieder aufzufrischen oder neue zu knüpfen“.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Geschäfte gehen vor

Im Bericht steht natürlich nichts über die Aktivitäten der amerikanischen und französischen Geheimdienste [der französische Energiekonzern Areva ist vom Bieterverfahren vorzeitig ausgeschieden, da das Unternehmen laut des tschechischen Staatsunternehmens ČEZ nicht die Bedingungen erfüllte]. Die diplomatischen Beziehungen dieser Länder zur Tschechischen Republik sind ausgezeichnet, weshalb es ihnen keinerlei Schwierigkeiten macht, viele Informationen über offizielle Kanäle zu bekommen.

Doch alle Parteien, ob Franzosen, Russen oder Amerikaner, stützen sich auf Lobbyisten, Kommunikationsunternehmen und langjährige Kontakte aus Politik und Wirtschaft. Die Lobbyarbeit reicht bis in die höchsten Sphären der Politik. Der US-Botschafter in Prag streitet diese Tatsache nicht ab: „Westinghouse kann auf die völlige Unterstützung nicht nur seitens der Botschaft, sondern auch seitens der gesamten amerikanischen Regierung zählen.“ Sein russischer und französischer Amtskollege, Sergei Kiselev und Pierre Lévy, vertreten dieselbe Position.

Die in Tschechien sehr sensible Frage der energetischen Sicherheit ist ein Handicap für das Angebot von Rosatom. Hauptargument hierbei ist, dass angesichts der Abhängigkeit der Tschechischen Republik vom russischen Erdöl und –gas der Ausbau neuer Energiequellen nicht den Russen anvertraut werden sollte.

Klaus, der Russlandfreund

Jakub Kulhánek, Forscher beim Verband für Internationalen Handel sieht in der Ausschreibung vor allem ein ökonomisches Thema: „Russische Diplomaten haben mir bestätigt, dass Tschechien früher wegen des Baus der US-Radaranlage im Visier der russischen Geopolitik gewesen ist. Temelín ist eine ganz andere Sache. Sicherlich spielt die Stärkung des politischen Einflusses eine Rolle, aber in erster Linie geht es hier ums Geschäft und um künftigen Profit.“

Er glaubt, dass Wladimir Putin versucht, vor allem über rein wirtschaftliche Beziehungen seine Außenpolitik durchzusetzen. Würde Russland den Zuschlag erhalten, wäre das eine riesige Publicity für Rosatom, die es erleichtern könnte, auch bei anderen Ausschreibungen in der Welt die Nase vorn zu haben. „Nach Gazprom soll aus Rosatom ein neues Wirtschaftsjuwel Russlands werden, das mit den Untenehmen des Westens konkurrieren kann. Das ist die Energiestrategie der Russen“, meint Kulhánek. Doch auch für die Amerikaner führt der Weg zu Profit, Prestige und neuen Aufträgen in Osteuropa über Temelín.

Das letzte Wort aber wird die Regierung haben, die bis dato keine Präferenz hat erkennen lassen. Wer bei Präsident Václav Klaus der weiterhin einen starken Einfluss auf die Regierung ausübt den Vorzug für den Ausbau der Anlage von Temelín geniest, ist leicht zu erraten. Schon bei seinem Russlandbesuch 2009 erklärte er, dass es „eine gute Sache wäre, wenn ein russischer Konzern der Tschechischen Republik beim Ausbau seiner Kernenergie beistehen würde“. Bei einem Treffen 2011 mit seinem damaligen Amtskollegen Dimitri Mewedew erklärte Klaus, dass die Russen diejenigen wären, die im Vergleich zur Konkurrenz, den tschechischen Unternehmen die größten Möglichkeiten als Zulieferer für den Bau böten.

Klaus gilt als Russlandfreund. So finanzierte beispielsweise der Mineralölkonzern Lukoil die Veröffentlichung seines Buchs Modrá, nikoliv zelená planeta [„Blauer Planet in grünen Fesseln“]. Des Weiteren sähe Klaus als seinen Nachfolger gern den Sozialdemokraten Miloš Zeman mit dem russophilen Lobbyisten Miroslav Souf im Hinterzimmer, dessen Präsidentschaftswahlkampf vom einen anderen russischen Energieriesen — Gazprom — finanziert wird. (js)

Energiepolitik

Ein Alleingang, der Prag teuer zu stehen kommen könnte

„Ihr Widerstand gegen den allgemeinen Trend in Europa im Bereich der Energiepolitik könnte den Tschechen teuer zu stehen kommen“, schreibt der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Michal Šnobr in der Tageszeitung Hospodářské noviny.

Die tschechische Republik, drittgrößter Stromexporteur Europas (in 2011, nach Frankreich und Deutschland) verfolgt den Bau von zwei neuen Reaktoren weiter, ohne Blick darauf, was im benachbarten Deutschland geschieht, dem wichtigsten Exportland für Tschechien.

Als ob es in Fragen der Energiepolitik Europa nicht geben würde, „tut man so, als wäre sie eine rein nationale Zuständigkeit“, bedauert das Wirtschaftsblatt und erklärt, dass im Bereich Energie den großen Ländern Diplomatie und ideologische Fragen immer wichtiger sind.

Wenn unter dem Druck Deutschlands, das seinen Atomausstieg bis 2022 plant, die EU-Kommission den Bau neuer Reaktoren stoppen würde, oder die neuen Meiler nicht rentabel sind, wer ist dann verantwortlich? Wer wird zahlen?“, fragt HN und meint:

Die tschechische Regierung wäre gut beraten, ihren Atomfanatismus zu zügeln und darüber nachzudenken, wie die Weichen in der Atompolitik innerhalb der Europäischen Union gestellt werden. Sie muss aufhören, mit der EU Atompoker spielen zu wollen, denn ihr Blatt ist schlecht.

Interessiert Sie dieser Artikel?

Er ist dank der Unterstützung unserer Community frei zugänglich. Die Veröffentlichung und Übersetzung unserer Artikel kostet Geld. Um Sie weiterhin unabhängig informieren zu können, brauchen wir Ihre Unterstützung.

Abonnieren oder Spenden

Sie konnten diesen Artikel in voller Länge lesen.

Möchten Sie unsere Arbeit unterstützen? Voxeurop ist auf die Abonnements und Spenden seiner Leserschaft angewiesen.

Informieren Sie sich über unsere Angebote ab 6 € pro Monat und die exklusiven Vorteile für unsere Abonnierenden.
Abonnieren

Oder stärken Sie unsere Unabhängigkeit mit einer Spende.
Spenden

Seit den 1980er Jahren und der Finanzialisierung der Wirtschaft haben uns die Akteure der Finanzwirtschaft gelehrt, dass sich hinter jeder Gesetzeslücke eine kurzfristige Gewinnmöglichkeit verbirgt. All das und mehr diskutieren wir mit unseren Investigativ-Journalisten Stefano Valentino und Giorgio Michalopoulos. Sie haben für Voxeurop die dunklen Seiten der grünen Finanzwelt aufgedeckt und wurden für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.

Veranstaltung ansehen >

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie Journalismus, der nicht an Grenzen Halt macht.

Nutzen Sie unsere Abo-Angebote oder stärken Sie unsere Unabhängigkeit durch eine Spende.

Zum gleichen Thema