Auf in die Solar-Blase? Im französischen Institut für Solarenergie in Chambéry.

Schluss mit leichtem grünen Geld

Dank der Krise sank der CO2-Ausstoß, doch gleichzeitig setzt sie die „grüne Industrie“ die EU unter Druck. Subventionen für wenig effiziente Technologien werden in Frage gestellt. Ein Schock, der sich für das Wachstum des Sektors als heilsam herausstellen könnte.

Veröffentlicht am 29 November 2010 um 10:34
Auf in die Solar-Blase? Im französischen Institut für Solarenergie in Chambéry.

Am 12. Oktober 2010 gab die Europäische Umweltagentur [EEA] folgende Pressemitteilung aus: „Ein jüngster Bericht der Europäischen Umweltagentur zeigt, dass die zwischen 2008 und 2009 stark gesunkenen C02-Emissionen es den EU-15 Staaten ermöglichen, das 8-Prozent-Ziel des Kyoto-Protokolls zur Senkung des Treibhausgasausstoßes nicht nur zu erreichen, sondern möglicherweise zu übertreffen.“ Der Berichtbehauptet unter anderem, dass „die 27 EU-Staaten auf bestem Wege sind, das Ziel einer 20-prozentigen CO2-Reduzierung bis 2020 zu erreichen.“ Nach Angaben besagter Studie ist der Ausstoß von CO2 2009 im Vergleich zu 2008 um 6,9 Prozent gesunken, der höchste Rückgang, seitdem CO2-Emissionen gemessen werden.

Insgesamt ist man sich einig, dass sich dieser Rückgang hauptsächlich mit der Wirtschaftskrise erklärt. Dennoch lässt einen der Optimismus des Berichts aufhorchen, ein Optimismus, den man bereits in einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 26. Mai 2010 lesen konnte: „Die Tatsache, dass wir uns dem 20-Prozent-Ziel annähern, im Gegensatz zu dem, was 2008 vermutet wurde, wird sich höchstwahrscheinlich positiv auf jene Herausforderung auswirken, die wir uns gestellt haben: nämlich das Erreichen der 30-Prozent-Marke.“

Eher vorsichtige Worte, die jedoch einer strengen Logik gehorchen. Erste Entwürfe des Berichts sprachen zunächst in heller Begeisterung von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die CO2-Emissionen, was allgemeines Befremden hervorrief, selbst in den Rängen jener, die traditionell einen europäischen Umwelt-Interventionismus befürworten.

So ist in einem internen Dokument der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) zu lesen: „Ein geringeres wirtschaftliches Wachstum sollte nicht als ein Mittel des Klimaschutzes gefeiert werden.“ Andere Industrieverbände in Europa haben es ähnlich oder noch schroffer ausgedrückt.

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Krise sägt am Ast von Europas Öko-Industrie

Die Veröffentlichung des definitiven Berichts hat für Wirbel gesorgt, unter anderem beim europäischen Arbeitgeberverband Business Europeund beim Verband der europäischen Stromindustrie Eurelectric. Zum ersten Mal haben sich die beiden Hauptaktionäre der EU-Exekutive — Deutschland und Frankreich — mit einer gemeinsamen Erklärung ihrer jeweiligen Minister für Industrie vom Projekt distanziert. Offensichtlich ist der hartnäckigste Gegner des EU-Projekts der deutsche EU-Energie-Kommissar Günther Oettinger.

Das Klimadossier wurde der Dänin Connie Hedegaardanvertraut. Seit 2009 leitet sie die eigens für sie geschaffene EU-Direktion für Klimaschutz. Connie Hedegaard hat den Ruf einer „Hardlinerin“. Für viele bleibt sie die „Patin“ des Klimagipfels von Kopenhagen [COP15], der anfangs als ökologische Seligsprechung Barack Obamas gedacht war, sich aber als ein völliges Fiasko erwies: Die Hauptakteure USA, Indien und China lehnten weitere bindende Verpflichtungen nach dem Kyoto-Protokoll ab.

Die Krise hat den Ast, auf dem die Öko-Industrie Europas sitzt, abgesägt. Doch ist vor allem die Nachfrage gesunken: Neue Produktionskapazitäten zu schaffen, ist überflüssig geworden. Die Nachfrage an Primärenergien in den USA ist laut Schätzungen zwischen 2005 und 2010 um 3,4 Prozent gesunken. Man geht heute davon aus, dass die Werte aus der Zeit vor der Krise erst ab 2020 wieder erreicht werden. Laut EU-Kommission wird der Gesamtverbrauch zwischen 2015 und 2030 bestenfalls um 4 Prozent zunehmen, ein Wert, der noch 16 Prozent unter Schätzungen aus dem Jahr 2007 liegt.

Deutschland: Wenn schon, dann grün UND reich

Darüber hinaus ist für alle Europäer der Zugang zu Krediten schwieriger geworden. Ein Phänomen, was vor allem Industrien mit hohen Kapitaleinlagen, hohen Fix- und niedrigen variablen Kosten wie eben die Industrie der erneuerbaren Energien benachteiligt. Es wird also komplizierter, Kapital für neue Anlagen aufzutreiben und fast unmöglich, Forschung und Entwicklung zu finanzieren.

Jüngst wurden in fast allen EU-Ländern die Subventionen gekappt. Italien kürzte die Subventionen für Photovoltaik um durchschnittlich 20 Prozent. In Spanien spricht man bereits offen von einer „Sonnen-Blase“, seitdem die Subventionen für einige Anlagen um bis zu 45 Prozent gekürzt wurden. Zahlreiche Firmen von Photovoltaik-Anlagen und Hersteller von Solarmodulen mussten Insolvenz anmelden. Selbst in Deutschland werden die Zuschüsse schrittweise gesenkt: zuerst um 3 Prozent, dann im Januar 2010 um 13 und schließlich ab 2012 um weitere 21 Prozent. Großbritannien hat seinerseits angekündigt, die Subventionen ab 2013 um 10 Prozent zu kürzen.

Dieser Sinneswandel wirft aber auch tiefer gehende Fragen auf, die nicht nur von der Konjunktur abhängen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass manche Länder — wie Deutschland, Spanien und Dänemark — die Umweltpolitik durch das Prisma ihrer Industriepolitik betrachten: grün, ja, aber wenn, dann schon grün und reich. Ein Konzept, das gescheitert ist. Bestenfalls wurden Reichtümer umverteilt, aber keine neuen Reichtümer geschaffen. Vermutlich wurden mit der Umverteilung eher Reichtümer zerstört.

Grüner Geldsegen ist jetzt außerhalb der EU

War Europa zunächst führend im Bereich der Öko-Technologien, so kann man das heute nicht mehr behaupten. Chinesische Hersteller eroberten mit einer aggressiven Marketing-Politik den Markt. Mit ihren niedrigen Produktionskosten erhöhten sie die ohnehin schon irrwitzigen Margen. Es kam zur einer Verschiebung des grünen Geldsegens außerhalb der Grenzen der EU. Während in Europa Hersteller von Solarmodulen schließen, wird die Solarzellenproduktion in China 2010 um 50 Prozent wachsen — finanziert im Wesentlichen von unseren Subventionen.

Was bleibt, abgesehen von den Resten einer schönen Illusion? Europa lässt sich weiter durch ideologische Trägheit hineinreißen: Beim Klimagipfel von Cancún [COP16/CMP6] wird es erneut mit der Faust auf den Tisch hauen und der Welt seine eigene Tugend preisen. Doch wenn man genauer hinsieht, kann man eine wachsende Zahl von Realisten feststellen, die neue Zielsetzungen und Strategien definieren: Ausgehend von der Erkenntnis, dass nicht alle Energiequellen gleichwertig sind, verdienen sie es auch nicht, gleichwertig mit horrenden Subventionen gefördert zu werden.

Nur knappe Subventionen sind gute Subventionen

Grüne Energien müssen auf den Markt und auf eine strukturierte Nachfrage reagieren können. Man könnte beispielsweise die Subventionen von Biokraftstoffen überdenken und nur jene Technologien fördern, die preisgünstig und auf sonst benachteiligten Gebieten produzieren. Weiterhin sollte sich die Windenergie nur auf windige Gegenden beschränken und auf Anlagen verzichten, die nur 1100 oder 1500 Stunden im Jahr produzieren.

Nur wenn die Kluft zwischen traditioneller und sogenannter sauberer Energie geringer wird, können nicht-ökonomische Zielsetzungen kostengünstig und sozial verträglich werden. Allerdings ist es aber notwendig, vom bis heute gängigen typischen Dirigismus innerhalb der EU— mit festgelegten Preisen und Produktionskapazitäten — abzulassen und zu einer Logik des Wettbewerbs überzugehen, bei der Energiequellen, die wenig CO2 produzieren, bevorzugt werden (beispielsweise durch Einführung einer CO2-Steuer). Natürlich ist wenig oder gar kein CO2 zu produzieren keine Überlebensgarantie. Es mag paradox erscheinen, doch erst wenn man dem leichten Geld ein Ende setzt, kann sich vielleicht die grüne Raupe als ein Schmetterling der Nachhaltigkeit entpuppen. (js)

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